Der erste Schrei eines Babys ist auch heute noch ein besonders emotionaler Moment. Bei aller Erleichterung und Aufregung spielt dabei die Tatsache, dass dieser erste Schrei bereits in der "Muttersprache" erfolgt, für die frisch gebackenen Eltern vermutlich kaum eine Rolle. Wissenschaftlich gesehen ist diese Beobachtung jedoch fundamental, denn sie bestätigt, dass Babys bereits im Mutterleib lernen und aktiv kommunizieren können.
Bereits 2009 fand eine Studie unter Leitung der Uni Würzburg heraus, dass deutsche und französische Babys unterschiedlich schreien: Schreie französischer Neugeborener schwellen von einer niedrigen Frequenz in eine höhere an. Deutsche Säuglinge beginnen hingegen hoch und laut, enden dann aber leiser und tiefer. Damit ahmen sie bereits von Geburt an die Sprachmelodie ihrer – im wahrsten Sinne des Wortes – "Muttersprache" nach. Denn die Babys lernen ihre Erstsprache bereits während des letzten Drittels der Schwangerschaft im Bauch der Mutter kennen. Sie kommunizieren also vom ersten Schrei an mit ihrer Umgebung.
Wenn das Baby Mandarin spricht
Professor Kathleen Wermke, Leiterin des Zentrums für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen des Universitätsklinikums Würzburg und bereits an dieser ersten Studie federführend beteiligt, hat mit ihrem Team weiter zu dem Thema geforscht und herausgefunden, dass diese Ergebnisse für alle Sprachen übertragbar sind. Dafür hat sie das Weinen von Neugeborenen untersucht, die eine so genannte tonale Muttersprache haben. Hochchinesich bzw. Mandarin ist zum Beispiel eine solche tonale Sprachen.
Anders als beispielsweise im Deutschen, Französischen oder Englischen tragen bei tonalen Sprachen auch die Tonhöhen zur Bedeutung bei. Der scheinbar gleiche Laut kann also völlig unterschiedliche Dinge bezeichnen – je nachdem, ob er in einer hohen oder tiefen Tonlage oder mit einem besonderen Tonverlauf ausgesprochen wird.
„Das Weinen von Neugeborenen, deren Mütter eine tonale Sprache sprechen, zeigt eine deutlich stärkere melodische Variation, verglichen beispielsweise mit deutschen Neugeborenen“
Professor Kathleen Wermke
Unterschiedliche Melodien, gleiches Muster
Die Sprachentwicklung hingegen folgt einem universellen Muster. Jedes Baby nutzt zwar die Melodie seiner Muttersprache, wenn es beginnt Silben zu brabbeln. Die Verdoppelung und Verbindung dieser ersten Silben lässt sich jedoch sprachunabhängig beobachten. Alle Babys sagen also "ma-ma-ma", es hört sich bloß schon ganz unterschiedlich an.
„Der Erwerb von Bausteinen für die spätere Sprache beginnt bereits gleich nach der Geburt; nicht erst, wenn Babys anfangen zu babbeln oder erste Wörter produzieren“
Prof. Dr. Kathleen Wermke
Heißt das jetzt, dass es Sinn macht, seinem Ungeborenen schon im Bauch regelmäßig Chinesich- oder Englisch-Lektionen via Kopfgörer zu gönnen? Nein, sehr wahrscheinlich nicht. Denn weitere Umwelteinflüsse haben anscheinend keine Auswirkungen auf den Erwerb der "Muttersprache": „Wir haben Neugeborene aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen untersucht“, sagt Kathleen Wermke. Auf der einen Seite Neugeborene aus Peking, die umgeben von allen Einflüssen moderner Zivilisation – Radio, Fernsehen, Smartphone – herangewachsen sind. Auf der anderen Seite die Kinder vom Volk der Nso, welches im Nordwesten Kameruns lebt und in dem die tonale Sprache Lamnso gesprochen wird. Die geschätzt 280.000 Menschen, wohnen in hochgelegenen Dörfern des Graslandes leben und betreiben Ackerbau. Die Kinder sind also in einer sehr ländlichen Umgebung zur Welt gekommen, ohne technische Errungenschaften der Moderne. Wir können unseren Babys also beruhigt vorlesen, erzählen und vorspielen, was immer wir wollen, denn der Ton und die Melodie machen für unsere Babys die Sprache.
Auch wenn das Baby euch schon in der passenden Sprache anspricht: So ein kleines Wesen verändert das Leben von Grund auf.
Quelle: Julius-Maximilian-Universität Würzburg
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