Die gefühlte Wahrheit ist mächtig. Gerade im Bereich der Elternzeit ist immer wieder zu hören, dass Väter, die sich länger um ihren Nachwuchs kümmern mit Nachteilen im Beruf rechnen müssen. Eine neue Väter-Umfrage hat erneut gezeigt, dass Männer und Frauen das glauben. Dabei ist die Realität eine andere.
Umfrage zur Elternzeit
Das Meinungsforschungsinstitut Yougov hat, im Auftrag von Linkedin 1000 Väter und Mütter zum Thema Elternzeit und Karriereplanung sowie verhinderte Berufschancen befragt. Die Erkenntnis, die rein auf der Wahrnehmung der Befragten fußt: Eine Frau kann sich eine Elternzeit eher erlauben, weil der Arbeitgeber und die Kolleginnen und Kollegen dies eher tolerieren. Die Befragten nehmen an, dass die Elternzeit der Karriere von Müttern nicht schade, der von Vätern allerdings schon.
Gefühlte Wahrheit: Männer dürfen keine lange Elternzeit machen
62% der befragten Frauen gaben an, dass Kolleginnen und Kollegen Verständnis für eine Elternzeit hätten, die länger als sieben Monate dauerte. Bei den Männern stimmten dieser Aussage 51% zu. 46 % der befragten Frauen erklärten, dass ihre Arbeitgeber einer längeren Elternzeit positiv gegenüberstehen würden. Dagegen hatten nur 36% der Männer diesen Eindruck. Und noch eine Zahl: 58% der Frauen glauben nicht, dass sich die Elternzeit negativ auf ihre Karriere auswirken wird, bei den Männern sind es nur 45%.
Ergebnisse zeigen nur die gefühlte Wahrheit
Natürlich ist diese Umfrage nicht repräsentativ. Gleichzeitig lässt sich aber, ob der Unterschiedlichkeit der Antworten Rückschlüsse auf die Gesellschaft zu. Denn wenn die Mehrheit der Frauen nach wie vor davon ausgeht, dass sie keine Karriereeinbußen erlebt, wenn sie länger in Elternzeit geht, dann muss sich ja eigentlich auch nichts ändern. Dann nehmen Väter weiterhin, wenn überhaupt, nur die obligatorischen zwei Monate Elternzeit, die genommen werden sollten, um das Elterngeld maximal auszuschöpfen. Doch diese Väter-Umfrage ist eben ein Trugschluss.
Forschung zu Elternzeit
Schaut man auf die Studie der Soziologin Lena Hipp, die an der Universität Potsdam 2018 zu Elternzeit forschte, wendet sich das Blatt nämlich. In einem Experiment schickte Hipp fiktive Bewerbungen von Frauen und Männern an Unternehmen. Sie beantwortete 718 Inserate. Die Qualifikation der angeblichen Bewerber*innen war stets gleich, nur die Dauer der Elternzeit unterschied sich. Manchmal hatten die fiktiven Bewerber zwei Monate Elternzeit genommen, manchmal zwölf. Das (wenig) überraschende Ergebnis der Studie: Bei Vätern spielt die Länge der Elternzeit keine Rolle für die Chance, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
Mütter, die kurze Elternzeit nehmen, bekommen weniger Vorstellungsgespräche
Bei den Müttern, die, wie bei Vätern nach wie vor üblich, nur zwei Monate Elternzeit nahmen, war das Ergebnis eindeutig. Sie wurden signifikant seltener von Unternehmen eingeladen. Im Schnitt mussten diese Frauen eineinhalb mal so viele Bewerbungen schreiben, um genau so viele Vorstellungsgespräche zu bekommen, wie die die Mütter, die zwölf Monate zuhause geblieben waren. Und das, obwohl sie durch die kürzere Elternzeit mehr Berufserfahrung sammeln konnten.
Kurze Elternzeit bei Frauen macht unsympathisch
Als Lena Hipp den Studierenden der Uni Potsdam die fiktiven Lebensläufe vorlegte und eine Einschätzung bat, zeigte sich das gleiche Bild. Bei den Vätern hatte die Dauer der Elternzeit keinen Einfluss auf die Sympathie. Die Mütter mit der kürzeren Elternzeit wurden als unsympathischer bewertet als die, die lange Elternzeit genommen haben.
Gefühlte Wahrheit sollte hinterfragt werden
Es wäre als wünschenswert, wenn Väter sich an den Ergebnissen von Lena Hipp orientieren, und nicht an denen der Yougov-Umfrage. Denn Hipp zeigt sehr deutlich: Männer, die längere Elternzeit nehmen, fürchten zu Unrecht Karrierenachteile. Für Frauen ist die Studie allerdings nicht gerade ermutigend. Sie können nur verlieren. Eine lange Elternzeit geht mit fehlender Berufserfahrung einher. Eine kurze Elternzeit wird negativ bewertet. Es wird Zeit, dass mehr Männer sich für längere Elternzeit entscheiden, um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken.
Quelle: Sueddeutsche.de
Mein Fazit
Ich gestehe: Mich macht das Thema Elternzeit müde. Und wütend. Weil mir nach wie vor nicht in den Kopf will, wie wir als Gesellschaft jemals vorwärts, und hin zu Gleichberechtigung kommen wollen, wenn Väter nur zwei Monate Elternzeit machen, während Mütter zwölf Monate zuhause bleiben. Ich finde das Elterngeld eine wertvolle Unterstützung für Familien, aber oft zementiert es auch Geschlechterklischees. Denn wenn der Mann mehr verdient (was bei vielen Familien die Realität ist), dann werden viele Bestrebungen mit: "Wir brauchen das Geld" vom Tisch gewischt. Es verlangt viel vom einzelnen Elternpaar, sich dem entgegenzustellen, monetär und mental. Für Kinder, die mit Mutter und Vater aufwachsen, ist es aber wertvoll zu erleben: Mama UND Papa kümmern sich um mich. Und schauen, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bekommen. Die Studie von Lena Hipp hat mich erschüttert. Auch, weil ich immer weniger Elternzeit als mein Mann genommen habe.
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