Neugeborene sehen erstmal alle aus wie der Papa – dieser Mythos hält sich hartnäckig. Aber was ist wirklich dran? Wissenschaftler glauben heute, dass es sich dabei um ein (unbewusstes) Täuschungsverhalten der Mütter handelt.
Das Ergebnis einer Studie der Binghamton Universität im US-Bundesstaat New York sagt, dass Babys, die ihrem Vater ähnlich sehen, mit einem Jahr gesünder seien als Kinder, die ihrem Vater wenig ähneln. Aber gibt es das überhaupt – Babys, die ihrem Vater nicht ähneln? Denn sollen nicht alle Neugeborenen ihrem Papa wie aus dem Gesicht geschnitten sein? So zumindest heißt es doch immer – und die meisten Mütter werden das auch bestätigen.
Aus Sicht der Evolution macht es Sinn, dass Neugeborene aussehen wie der Papa
Diese Väter-Ähnlichkeit ist nur logisch, schließlich investieren Männer mehr (Zeit, Kraft, Geld und Nerven) in ihren Nachwuchs, wenn sie davon überzeugt sind, dass dieser auch wirklich von ihnen ist. Das haben verschiedene Studien in der Vergangenheit immer wieder belegt. Und rein aus Sicht der Evolution ist es auch nur plausibel, dass sich ein Mann mehr für das gesunde Heranwachsen eines Kindes engagiert, wenn es seine Gene weiterträgt.
Doch wie kann sich ein Mann dessen wirklich sicher sein? Anders als Frauen, die das Kind schließlich neun Monate in sich tragen und zur Welt bringen, hat der Mann – ohne medizinischen Nachweis wie einem DNA-Test – ja rein theoretisch nie die 100 % Sicherheit, dass das Kind auch wirklich von ihm ist. Immerhin sind 5-10 % der Kinder weltweit sogenannte Kuckuckskinder – werden also von Männern aufgezogen, die unwissentlich nicht ihre biologische Väter sind.
Vor diesem Hintergrund ist es doch praktisch, wenn der Nachwuchs nach der Geburt eindeutig optische Züge vom Papa hat und damit klar zugeordnet werden kann. Das wäre letzten Endes auch zum Vorteil für das Kind, denn, wie schon erklärt, kann sich ein Kind der Zuneigung und Pflege des Papas sicherer sein, wenn dieser von seiner Vaterschaft überzeugt ist.
Das ist übrigens auch der Grund für die Studienergebnisse aus Binghamton: Die Väter, die sich in ihren Kindern aufgrund der Ähnlichkeit wiedererkannten, investierten mehr Aufmerksamkeit und Zeit für ihren Nachwuchs, wodurch das Kind eine bessere Betreuung erfuhr und der Vater mehr Wissen um die Gesundheit des Kindes hatte.
Aber zurück zur Theorie: Stimmt es also, dass Neugeborene dem Papa ähnlich sehen, damit dieser sich auch ganz bestimmt um sie kümmert? Jein.
Säuglinge sehen nicht zwangsläufig dem Papa ähnlich – Mamas sehen es trotzdem so!
Lange ging man davon aus, dass Säuglinge genau aus diesem Grund häufig eher dem Vater als der Mutter ähnlich sehen: Die Mama ist sich der Mutterschaft sicher, der Papa muss erst noch überzeugt werden. Doch mittlerweile belegen viele Studien, dass es eine garantierte optische Ähnlichkeit von Neugeborenen zu ihren Vätern nicht gibt. Im Gegenteil, häufig sehen Babys nach der Geburt vor allem der Mama ähnlich – nur sehen genau die das meist ganz anders!
In einer 2007 veröffentlichten Studie der französischen Universität Montpellier wurden 209 unabhängigen Gutachtern Bilder von 69 Familien vorgelegt. Die Gutachter sollten bestimmen, welchem Elternteil die neugeborenen Söhne der Familien ähnlich sehen. Nur etwa ein Drittel der Probanden gaben an, dass sie eine Ähnlichkeit zum Vater feststellen können. Ganz im Gegenteil zu den Müttern, die allesamt davon überzeugt waren, der Sohn wäre das Ebenbild seines Vaters.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen im Jahr 2000 auch schon Forscher der Georgia Southern University. Sie befragten Mütter ein bis drei Tage nach der Geburt, wem das Kind ähnlich sähe. Die Mehrheit der Mütter sah vor allem Ähnlichkeiten zum Vater, während unabhängige Beobachter im Gesicht des Neugeborenen eher die Mutter wiedererkannteSchachzug der Natur: Mamas Irrglaube an Ähnlichkeit mit Papa
Schachzug der Natur: Mamas Irrglaube an Ähnlichkeit mit Papa
Ganz objektiv betrachtet weisen Neugeborene also nicht zwangsläufig eine Ähnlichkeit zum Vater aus, Mütter sehen das jedoch meist anders. Wissenschaftler halten dies für einen geschickten Schachzug der Natur: Um die Versorgung von sich und ihrem Baby zu sichern, versuchen Mütter die Väter davon zu überzeugen, dass das Kind unbestreitbar ihr eigenes ist. Das klingt gemein und berechnend, ist aber vermutlich einfach ein Überbleibsel der Evolution, als die Frauen bei der „Aufzucht der Jungen“ noch auf den Schutz und die Unterstützung der Männer angewiesen waren. Meist sind sich Frauen diesem „Täuschungsversuch“ gar nicht bewusst, da sie wirklich davon überzeugt sind, Ähnlichkeiten zum Vater zu sehen. Faszinierend, oder?
Forscher erklären das durch den hormonellen Ausnahmezustand der Mutter nach der Geburt. Das bei der Geburt und beim Stillen ausgeschüttete „Bindungshormon“ Oxytocin sorgt demnach dafür, dass sie ein Gefühl von Vertrautheit gegenüber Ihrem Kind empfinden, wodurch sie meinen, Ähnlichkeiten zu ihrem Partner wiederzuerkennen. Außerdem geht es wohl ebenfalls auf das Hormonchaos zurück, dass sich Frauen in ihrem verletzlichen und geschwächten Zustand nach der Geburt nach Schutz und einer harmonischen Familie sehnen, dessen sie sich bei ihrem Partner rückversichern wollen.
Anfangs Baby, später ganz der Papa oder die Mama
Die Theorie, dass Neugeborene anfangs immer dem Papa ähnlich sehen, um ihr Überleben zu sichern, kann heutzutage also stark angezweifelt werden. Dafür haben die Kleinen ein ganz anderes Ass im Ärmel, was jeder Mutter, jeder Vater und jeder unabhängige Gutachter bestätigen wird: Sie sind einfach unbeschreiblich süß! Das Stichwort lautet: Kindchenschema. Mit ihren großen Kulleraugen, der kleinen Stupsnase und ihren kurzen Gliedmaßen wecken Säuglinge sofort unseren Beschützerinstinkt. Und das unabhängig davon, ob man mit dem kleinen Wesen verwandt ist oder nicht.
Auch wenn es sicherlich den einen oder anderen Gesichtszug gibt, der der Mama oder dem Papa schon im Säuglingsalter ähnlich sehen könnte, entwickelt sich die optische Ähnlichkeit zu den Eltern meist erst später. Und dann ist es in der Regel so, dass spätestens in der Pubertät die Jungs eher nach dem Papa kommen, während die Mädchen in der Pubertät eher der Mama ähneln.
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