Von schlimmen Ängsten bis zum größten Glück: Wie Babys unsere Gefühle wahrnehmen – und was das für uns als Eltern bedeutet.
Es kam ganz schön dicke! In den ersten beiden Lebensjahren meiner Tochter habe ich meinen Arbeitsplatz verloren und mein Vater starb. Es war eine ziemlich anstrengende, aufwühlende Zeit. Zum Glück war mein Mann in diesen Monaten ein wahrer Fels in der Brandung. Er kümmerte sich hingebungsvoll um unsere kleine Dame, während ich beim Arbeitsamt saß oder mit meiner Mutter die Beerdigung besprach. Trotzdem fragte ich mich: Was bekommt die Kleine mit? Leidet sie daran, dass ihre Mama gerade ganz schön gestresst ist?
Im Bauch sind die Babys an die Gefühle der Mutter angeschlossen
Sicher ist: Schon Ungeborene sind an das emotionale Erleben der Mutter „angeschlossen“. Durch Hormone und andere Botenstoffe gelangen Informationen über die Befindlichkeiten des mütterlichen Organismus in den Fötus. Ist die Mutter sehr traurig oder steht unter Druck, bildet ihr Körper unter anderem das Stresshormon Cortisol.
Babys können sich vor extremem Stress nicht schützen
In der Regel schützt die Natur die Babys im Bauch gut gegen diesen Einfluss. Solange der mütterliche Stresslevel „normal“ ist, kann ein Enzym in der Plazenta das mütterliche Stresshormon deaktivieren. Erst wenn die Mutter extrem belastet ist, kann nicht genug von diesem „Stressabwehr“-Enzym bereitgestellt werden. Der Neurobiologe Prof. Gerald Hüther sagt deshalb: „Schwangere vor Belastungen zu schützen, ist eine der wichtigsten Investitionen in unsere Zukunft“.
Gefühle 'im normalen Bereich' können Babys gut verarbeiten
Beruhigend dabei: Normale Gefühlsschwankungen, die man selbstverständlich auch während einer Schwangerschaft erlebt, wirken sich nicht negativ auf die Babys aus. Denn: Wut und Angst gehören genauso zum Leben dazu wie Liebe und Freude. Eine Mutter, die sich erlaubt, die ganze Palette menschlicher Gefühle zuzulassen, und sie in erwachsener Weise für sich nutzt, unterstützt auf ganz grundlegender Ebene die emotionale Entwicklung ihres ungeborenen Babys.
Babys ermitteln in Sachen Gefühlen den Mittelwert
Ähnlich geht es nach der Geburt weiter. Solange die Grundmelodie stimmt, entwickeln sich Babys gut, auch wenn ihre Mutter mal übellaunig und gestresst ist oder der Papa in einem Moment gar nicht feinfühlig ist. „Babys ,verzeihen‘ Fehler. Sie bilden gewissermaßen den Mittelwert ihrer Erfahrungen“, sagt der Münchner Bindungsforscher Karl Heinz Brisch.
Merkt mein Neugeborenes, wenn ich weine?
Nach der Geburt fahren die Hormone Achterbahn. Wir Mamas fühlen uns manchmal so hundeelend, dass wir uns nur noch in eine Ecke kauern wollen und heulen. Als ob das nicht schlimm genug wäre, überkommt uns dann sofort das schlechte Gewissen, dass sich unsere Traurigkeit negativ auf das Baby auswirken könnte. Ein super doofer Teufelskreis!
Zum Glück brauchst Du Dir hier keine Sorgen machen! Gelegentliche Down-Phasen, Heulattacken und Decke-über-den-Kopf-Tage gehören zum Leben mit Baby dazu wie überquellende Windeln und Milch-Spuckerle. Es kommen wieder bessere Tage, versprochen!
Falls die Du allerdings länger leidest und vielleicht an einer Wochenbett-Depression leidest, solltest Du unbedingt mit deiner Hebamme sprechen oder direkt hier eine Anlaufstelle suchen.
Nach der Geburt werden Gefühle per Körpersignale an Babys getragen
Jetzt bekommen Babys Informationen über uns aber nicht mehr über Hormone durch die Nabelschnur, sondern über unsere Körpersignale. Sie spüren an unserer Muskelspannung, am Tonfall und an der Mimik, ob wir angespannt und unruhig oder ruhig und gelassen sind. Geht es uns gut, sprechen wir zum Beispiel oft in der Ammensprache mit ihnen, intuitives elterliches Verhalten.
Dieser Singsang weckt das Wohlbefinden bei unseren Babys. Stehen wir aber unter Druck, sind geplagt von Belastungen und Nöten, lässt unsere Neigung, in diesem Tonfall zu kommunizieren, deutlich nach, so der Bindungsforscher Dr. Karl Heinz Brisch. Die Folge: Das Baby ist beunruhigt. Tatsächlich konnte mein Mann in der Zeit, in der ich stark belastet war, unser Baby oft besser beruhigen als ich.
Babys brauchen viele Ruhepausen
Erst wenn es uns wieder besser geht, verfallen wir wieder in die liebevolle Ammensprache und können beruhigend auf unser Baby einwirken. Deshalb ist es auch so wichtig, in der ersten Zeit mit Baby so oft wie möglich Ruhepausen einzulegen, sich zu entspannen und neue Kraftreserven zu sammeln. Dann können wir unserem Baby am besten das geben, was es am meisten braucht: feinfühlige Zuwendung und ganz viel Geborgenheit. Entspannte, glückliche Eltern sind für Babys Entwicklung der beste Motor, wichtiger als ein tolles Förderprogramm, das möglicherweise nur noch zusätzlichen Stress ins Familienleben bringt.
Die Vermittlung von Gefühlen ist kulturabhängig
Wie Eltern Geborgenheit und auch andere Gefühle vermitteln, ist übrigens kulturabhängig. „Dieses Gefühl kann auf sehr unterschiedliche Art und Weise entstehen“, sagt die Osnabrücker Entwicklungspsychologin Prof. Heidi Keller. „In westlichen Mittelschichtfamilien spielt hier zum Beispiel die Sprache und Konversation mit dem Kind eine wichtige Rolle. Kuckuck- oder Frage-und-Antwort-Spiele, ausführliches Zeigen und Erklären sollen dem Kind das Gefühl geben, beachtet und geborgen zu sein“. In anderen Kulturen stehen dagegen die physische Präsenz und der Körperkontakt im Vordergrund.
Kinder lernen von den Eltern, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen
Kinder bekommen also von klein auf mit, wie wir unsere Gefühle ausdrücken, und lernen von uns, wie man mit ihnen umgehen kann. Ich hoffe, meine Tochter hat in den vergangenen Jahren bei uns beobachten können, dass schmerzliche Gefühle zum Leben dazugehören. Aber auch, dass man mit ihnen leben und wieder zurück zu Zufriedenheit und Glück finden kann.