Das Bild von der „perfekten“ Mutter ist das Bild, auf dem sie ihrem Kind die Brust gibt. Doch nicht jede Frau kann oder will ihr Baby stillen. Gesellschaftlich akzeptiert wird das trotzdem oft immer noch nicht. Gibt eine Frau offen zu, dass ihr Sohn oder ihre Tochter keine Muttermilch bekommt oder holt sie im Rückbildungskurs die Flasche statt der Brust raus, gibt es immer wieder mal schiefe Blicke und vorwurfsvolle und verletzende Kommentare.
Der Druck, Stillen zu müssen, ist immer noch groß
Obwohl unsere Gesellschaft an vielen Stellen emanzipierter wird und Frauen immer mehr Recht auf Selbstbestimmung fordern, werden Mütter, die nicht stillen, noch oft von anderen Frauen (oder schlimmstenfalls auch Männern) verurteilt. Schon im Geburtsvorbereitungskurs wird davon ausgegangen, dass jede Mutter stillen wird, im Krankenhaus geht es dann weiter.
Doch nicht alle Frauen kommen mit dem Druck, einen Menschen allein mit ihrem Körper zu ernähren, klar. Nicht jede erträgt es, ihre Brust immer verfügbar machen zu müssen, stundenlang dazusitzen und Schmerzen zu haben. Andere wiederum entscheiden sich von vornherein dafür, die Flasche zu geben: Sie möchten nach der Schwangerschaft nicht noch länger ihren Körper hergeben oder finden es schön und auch entlastend, wenn der Partner oder die Partnerin das Baby ebenfalls füttern kann.
Doch kommen mit dem Nein zum Stillen und der Entlastung auf der einen Seite Gefühle des Versagens und ein schlechtes Gewissen auf der anderen Seite. Der gesellschaftliche und psychische Druck und vor allem der von Hebammen und anderen Müttern ist oft so groß, dass sich Frauen, die ihrem Kind Milchnahrung statt Muttermilch geben, oft als Rabenmutter hingestellt fühlen. Von subtilen bis offensiven Vorwürfen ist dann alles dabei.
8 Klischeesätze, die nicht-stillende Mütter ertragen müssen
#1 „Aber Stillen ist doch das Beste für das Kind“
Okay, diese Aussage ist natürlich wahr. Stillen hat so viele Vorteile, die auch die beste Milchnahrung nicht ersetzen kann. Doch wer diesen Satz zu einer Nicht-Stillenden sagt, meint oft auch: „Du willst wohl nicht das Beste für dein Kind.“ Stillen ist vielleicht der gesündeste, aber nicht immer der beste Weg für Mutter und Kind. Muss sich eine Frau stark überwinden, ihrem Baby die Brust zu geben oder fühlt sich in ihrem Leben extrem eingeschränkt und unwohl, weil sie das Gefühl hat, es tun zu müssen, macht sie dieser Zwang oft nur unglücklich. Und welches Baby möchte schon eine unglückliche Mutter, vor allem in den intensiven und intimen Monaten nach der Geburt?
#2 „Klar tut es weh, da mussten wir alle durch“
Die meisten Frauen, die stillen, haben in den ersten Wochen nach der Geburt wunde Brustwarzen und leichte bis starke Schmerzen. Bei vielen verschwinden diese irgendwann und das Stillen wird einfacher. Doch bei manchen Müttern bleiben die Schmerzen oder kommen immer wieder. Genauso wie Brustentzündungen, Milchstau, rissige Brustwarzen. Und nicht jede hat die Kraft, das durchzustehen oder das Geld, sich eine Stillberaterin zu holen. Allein die Aussage „da muss man durch“ zeigt schon, dass es eine starke Überwindung sein kann. Und muss diese wirklich monatelang sein?
Ich habe gestillt, aber oft unter Schmerzen
Ich selbst habe meinen Sohn bis zu seinem 1. Geburtstag gestillt. Doch rückblickend waren vor allem die ersten Monate teilweise richtig hart. Ich hatte oft so starke Schmerzen, dass ich beim ersten Anlegen laut aufschreien musste und jede Stillmahlzeit dauerte fast eine Stunde. Erst mit Einführen der Beikost wurde es besser. Heute weiß ich nicht, ob ich mir das nochmal so lange antun würde. Wenn eine Frau schon früh abstillt oder es aus bestimmten Gründen gar nicht möchte, kann ich das sehr gut nachvollziehen.
#3 „Du bist so egoistisch“
Die Ansicht, dass eine gute Mutter nun mal zurückstecken und sich den Bedürfnissen ihres Babys anpassen müsse, ist auch heute noch weit verbreitet. Dass viele Frauen aber nach 9 Monaten Schwangerschaft ihren Körper wieder für sich haben und wieder essen und trinken wollen, wonach ihnen ist oder mal einen Abend ohne das Baby verbringen wollen, sehen Außenstehende oder andere Mütter daher gerne kritisch. Denn der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit nach der Geburt bedeutet ja automatisch, dass man nur an sich denkt. Du willst mal eine Nacht durchschlafen und dein Partner soll die Flasche geben? Wie egoistisch von dir! Du möchtest früh zurück in deinen Beruf, aber nicht ständig abpumpen müssen? Wie egoistisch von dir!
#4 „Die Gesundheit deines Kindes ist dir wohl nicht wichtig genug“
Ärzte, Hebammen und Gesundheitsorganisationen wie die WHO predigen heutzutage jeder Mutter, dass Stillen in den ersten 6 Lebensmonaten, wenn nicht sogar 2 Jahren, das Beste für das Kind ist. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass Flasche geben ungesund ist. Es ist lediglich die zweite Wahl – falls man denn eine hat. Die Zusammensetzung von Premilch, 1er Nahrung und Co. ist mittlerweile so gut, dass das Baby alles bekommt, was es an Nährstoffen braucht und eine Mangelernährung oder Gefährdung der Gesundheit wirklich sehr unwahrscheinlich ist. Zwar trägt das Brustgeben auch viel zur Entwicklung des Immunsystems bei, was jedoch nicht heißt, dass gestillte Kinder selten krank werden und Flaschenkinder ständig. Denn hier spielen auch Umwelteinflüsse und die Genetik eine Rolle.
#5 „Willst du, dass dein Kind später Allergiker wird?“
Es gibt einige Studien, die zeigen, dass Babys, die mindestens 4 Monate gestillt wurden, später weniger anfällig für Allergien waren. Aus diesem Grund wird Stillen auch als Allergieprävention angesehen. Ganz so einfach ist es jedoch leider nicht. So werden beispielsweise Kinder von Eltern, die beide Allergiker sind, in vielen Fällen ebenfalls Allergiker, ob gestillt oder nicht. Zu sagen, dass man also bewusst in Kauf nimmt, dass das eigene Kind durch das Nicht-Stillen Allergien entwickelt, ist totaler Schwachsinn.
#6 „… dann hast du es nicht richtig versucht“
Anatomisch gesehen können 97 bis 99 % der Frauen stillen. Doch es gibt so viele Gründe, warum es manchmal nicht klappt. Psychischer Druck, Stress und Schmerzen verhindern oft eine glückliche Stillbeziehung. Doch es gibt auch Fälle, in denen das Baby nichts anderes tut, als die Brust anzuschreien oder die Brust aus anderen Gründen verweigert. Der Vorwurf, dass man einfach nicht genug gegeben hat und das Stillen deswegen nicht klappt, ist also total verletzend.
Meine Hebamme war so vorwurfsvoll
Ich hatte einfach so gut wie keine Milch, sollte pumpen, pumpen, pumpen, um das in Gang zu bekommen, aber es hat nicht geklappt und nur gefrustet. Meine Hebamme hat mir vorwurfsvoll gesagt, dass ich es nicht konsequent genug versucht habe. Das war beim ersten Kind. Auch im Krankenhaus habe ich schon Sprüche bekommen. Beim zweiten Kind war ich dann schon ganz eingeschüchtert, war fast froh, keine Hebamme bekommen zu haben. Bei der Kinderärztin habe ich mich kaum getraut zu sagen, dass ich nicht stille. Sie schaute mich an und meinte: „Aber deswegen müssen Sie sich doch nicht so schlecht fühlen, die Kindernahrung ist doch heute sehr gut.“ Danach habe ich mich soo viel besser gefühlt.
#7 „Damit störst du die Verbindung zwischen dir und deinem Kind!“
Das Stillen schafft eine ganz besondere Beziehung zwischen Mutter und Kind. Doch diese kann gestört sein, wenn es der Mama mental oder körperlich nicht gut geht. Das kann die Bindung durchaus negativ beeinflussen. Der Entschluss, nicht zu stillen, schafft für die Mutter dann oft Erleichterung statt einer Bindungsstörung und sie kann die Zeit mit ihrem Kind mehr genießen. Und auch beim Kuscheln und Füttern mit der Flasche kann sich übrigens Nähe aufbauen, wusstet ihr das?!
#8 „Wer nicht stillt, ist keine gute Mutter“
Vor ein paar Jahren trendete der Hashtag #stillenistliebe auf Instagram und löste vielerorts eine Debatte aus. Sollte das im Umkehrschluss heißen, wenn man seinem Kind die Flasche gibt, liebt man es nicht? Eine Mutter, die sich mehrmals täglich hinstellt, Wasser warm macht und Milchpulver anrührt, ist dadurch nicht automatisch liebloser, denn die Liebe einer Mutter kann man sicherlich nicht nur am Stillen messen. Eine Frau kann ihr Kind jahrelang stillen und trotzdem eine schlechte Mutter sein, weil sie es ansonsten vernachlässigt oder schlecht behandelt. Solch eine Aussage ist also, wie alle anderen hier, einfach nur anmaßend.
Kurioses Wissen: Übrigens können auch Männer stillen. Ein Scherz? Finde es heraus.
Egal, ob du stillst oder nicht. Dein Leben mit Baby wird anders als zuvor ...