Wenn in der Stillzeit plötzlich Gelenk- oder Muskelschmerzen auftauchen, die Glieder sich irgendwie steif anfühlen und vor allem Hände und Füße betroffen sind, liegt der Gedanke an eine rheumatische Erkrankung nahe. Tatsächlich kursiert in den sozialen Medien und im Internet ein Begriff für dieses Phänomen: Stillrheuma. Doch ganz so einfach ist es mit der Einordnung dieser Symptome leider nicht.
Was ist eigentlich Rheuma?
Hinter dem Begriff „Rheuma" verbirgt sich nicht eine bestimmte Krankheit, sondern viele verschiedene. Häufig wird Rheuma mit der sogenannten „Rheumatoider Arthritis" gleichgesetzt, die aber nur eine von hunderten Einzelerkrankungen des Rheumatischen Formenkreises ist. Viele dieser Einzelerkrankungen beruhen dabei auf entzündlichen Prozessen im Körper, bei denen sich das eigene Immunsystem gegen körpereigene Zellen wendet. In diesen Fällen spricht man von einer Autoimmunerkrankung. Entzündungen treten häufig an den Gelenken auf. Es können aber auch innere Organe betroffen sein.
Ist Stillrheuma wirklich eine rheumatische Erkrankung?
Obwohl die Symptome sehr ähnlich sind wie beispielsweise bei der Rheumatoiden Arthritis, ist Stillrheuma keine rheumatische Erkrankung und gehört nicht zum Rheumatischen Formenkreis. Der ICD-10, ein international anerkanntes, statistisches Klassifizierungssystem für Krankheiten, kennt den Begriff Stillrheuma nicht. Er ist somit auch keine offizielle Diagnose.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Symptome, die sehr viele Frauen in Stillzeit und Schwangerschaft beschreiben, nicht existieren. Ihre Ursache liegt nur eben nicht in einer rheumatischen Erkrankung, sondern woanders.
Stillrheuma vs. Still-Rheuma
Stillrheuma ist kein valider medizinischer Begriff und keine Diagnose des ICD-10. Auch wenn die Schmerzen, die viele Frauen in der Schwangerschaft und beim Stillen empfinden, denen von Rheuma-Patienten ähneln, ist die Ursache der Schmerzen eine andere. Es gibt allerdings eine Krankheit, die Still-Rheuma heißt. Dahinter verbirgt sich der sogenannte „adulte Morbus-Still", auch „Still-Syndrom" genannt. Das ist eine sehr selten auftretende Autoimmunerkrankung, deren Symptome u.a. Fieber, Gelenkschmerzen und Hautausschlag sind.
Zwei Gründe für rheuma-artige Beschwerden in Schwangerschaft und Stillzeit
Der einfachste und auch sehr naheliegende Grund für die Gelenk- und Muskelschmerzen sowie das morgendliche Steifigkeitsgefühl wird bei stillenden Frauen in der oft suboptimalen Haltung in der Nacht gesehen. Das Baby wird im Halbschlaf an die Brust gezogen, die Mama schläft in der Stillposition wieder ein oder möchte sich so wenig wie möglich bewegen, damit das Kind nicht wieder wach wird. Die unbequeme Haltung wird in Kauf genommen und am nächsten Morgen tut einem buchstäblich alles weh.
Da die rheuma-artigen Beschwerden jedoch nicht nur von stillenden, sondern auch von schwangeren Frauen beschrieben werden, wird noch eine weitere Ursache ins Feld geführt: Schuld sind die Hormone. Genauer gesagt Prolaktin und Östrogen.
Das Hormon Prolaktin wird nicht nur ausgeschüttet, wenn ihr euer Baby anlegt, sondern auch, wenn ein Kind (ob euer eigenes oder ein fremdes) in der Nähe weint. In der Schwangerschaft steigt euer Prolaktin-Spiegel ebenfalls an – und mit ansteigendem Prolaktin-Spiegel sinkt der des Östrogens. Und genau hier liegt das Problem: Da das Hormon Östrogen unter anderem die Aufgabe hat, eure Schleimhäute zu befeuchten, kann das Absinken des Östrogen-Spiegels dazu führen, das eure Gelenke nicht genug Gelenkschmiere haben. Dadurch entstehen dann die rheuma-artigen Schmerzen, die in diesem Fall aber nichts mit einer rheumatischen Erkrankung im eigentlichen Sinne zu tun haben.
Was hilft gegen die Beschwerden, die beim „Stillrheuma" auftreten?
Sind die rheuma-artigen Schmerzen auf eine verspannte Muskulatur und Fehlhaltung beim Schlafen und Stillen zurückzuführen, kann euch eine Stillberaterin weiterhelfen. Sie zeigt euch, wie ihr euer Baby bestmöglich und schonend anlegen könnt, sodass ihr bald wieder schmerzfrei das Stillen genießen könnt. Fühlen sich die Gelenke morgens steif an, kann es auch helfen, Hände und Füße mit gezielter Bewegung aufzuwärmen und so die Durchblutung zu verbessern.
Liegt die Ursache im Anstieg des Prolaktin-Spiegels bzw. in dem damit einhergehenden Mangel an Östrogen, verschwinden die Schmerzen leider erst, wenn die Still-Frequenz sinkt bzw. wenn ihr abgestillt habt. Sind die Schmerzen sehr stark und sind sie vor allem nicht erst in der Schwangerschaft oder Stillzeit aufgetreten, solltet ihr immer Rücksprache mit eurer Hebamme, Gynäkologin oder Allgemeinärztin halten.
Quellen: Dr. Konstantin Wagner/ Gynäko.Logisch DocCheck, Netdoktor, Deutsche Rheuma-Liga
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