Eine Mutter-Tochter-Beziehung verändert sich im Laufe der Zeit aus vielen Ursachen heraus. Wenn das Kind zum Jugendlichen wird, sind Konflikte vorprogrammiert und wenn die Tochter erwachsen ist und selber Kinder bekommt, verändern sich die Rollen. Wir haben mit Psychotherapeutin Valeska Zarwell gesprochen, wie man in diesen Lebensphasen besser aufeinander eingehen kann und wie sich ein Mutter-Tochter-Konflikt am besten lösen lässt. Bei einer psychischen Erkrankung oder Persönlichkeitsstörung ist ein gestörtes Mutter-Tochter-Verhältnis eine besondere Herausforderung.
- 1.Mutter-Tochter-Beziehung in der Pubertät: Typische Konflikte und Lösungen
- 1.1.Warum es bei Teenager-Tochter und Mutter zu Konflikten kommt
- 1.2.Wie wir Teenager besser verstehen & Kompromisse eingehen
- 1.3.Wenn gar nichts mehr geht: So können sich Eltern Hilfe holen
- 2.Mutter-Tochter-Konflikt bei psychischen Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen
- 2.1.Bei narzisstischen Müttern oder Müttern mit Persönlichkeitsstörung
- 2.2.Bei Müttern mit Depressionen oder Angststörung
- 3.Mutter kritisiert ständig erwachsene Tochter: Den Mutter-Tochter-Konflikt lösen
- 3.1.Warum das Konfliktpotential zunimmt, wenn Enkelkinder da sind
- 3.2.Wege aus dem Mutter-Tochter-Konflikt: Emotionen verstehen und Bedürfnisse erkennen
- 4.Unlösbarer Mutter-Tochter-Konflikt: Kann Kontaktabbruch eine Lösung sein?
Mutter-Tochter-Beziehung in der Pubertät: Typische Konflikte und Lösungen
Die Teenagerzeit, in der das Mädchen zur Frau und das Kind zur Jugendlichen wird, ist eine besondere Phase im Leben, in der die ersten größeren Konflikte entstehen können. Bei der Tochter entwickelt sich in der Phase der Pubertät das Selbst bzw. das Individuum bildet sich heraus. Das Ich des Kindes ist sehr fragil, die Stimmung schwankt ständig und es prasseln viele Fragen, neue Eindrücke und Themen auf die Jugendliche ein.
Warum es bei Teenager-Tochter und Mutter zu Konflikten kommt
In der Zeit der Pubertät kommt es besonders häufig zu Mutter-Tochter-Konflikten: Eine Mutter hat bestimmte Vorstellungen vom Leben ihrer Tochter bzw. tritt mit einem bestimmten Bedürfnis und Ziel an die Tochter heran. Dieses kann Vorstellungen oder (veraltete) Rollenklischees enthalten wie z. B. dass die Tochter erfolgreich sein soll oder einen Mann finden und eine Familie gründen soll. Diese Vorstellungen der Mutter treffen in einer Phase auf die Tochter, in der sie erst herausfinden muss, wer sie selbst ist und was sie möchte.
Das bisherige Selbst der Tochter ist geprägt von den ganzen Erfahrungen und Informationen, die ihre Eltern oder engsten Bezugspersonen ihr vorgelebt haben. Sie ist mit deren Regeln und Rollen aufgewachsen. Diese Familie hat den Rahmen für das Verhalten des Kindes gesteckt.
Im Teenageralter beginnt die Tochter diese erlernten Regeln und Rollen nun infrage zu stellen. Die Konflikte entstehen dann häufig aus fehlendem gegenseitigen Verständnis für das jeweilige Bedürfnis oder Ziel. Eine Jugendliche möchte eben in dieser Lebensphase häufig nicht dasselbe wie die Mutter.
"Teenager reagieren dann auf einmal gar nicht mehr so, wie ich das haben möchte als Elternteil. Sie wollen z.B.den ganzen Tag lieber herumhängen, aber die Eltern möchten, dass sie lernen oder etwas unternehmen. Dann entsteht Ärger bei uns Eltern und wir schimpfen mit dem Kind. Dieser Ärger ist jedoch nur die sekundäre Emotion, die primäre ist z. B. die Angst, dass aus meinem Kind später nichts wird. Doch bei dem Kind kommt diese Sorge, die eigentlich nur auf Liebe basiert, nicht an. Es bemerkt nur den Ärger, den Vorwurf und fühlt sich in seinem Bedürfnis nicht gesehen. Denkt möglicherweise sogar, es wäre nicht richtig oder nicht genug."
Wie wir Teenager besser verstehen & Kompromisse eingehen
Der Schlüssel für eine bessere Mutter-Tochter-Beziehung in der Phase der Pubertät ist für die Diplompsychologin vor allem genaues Zuhören und die Bedürfnisse der anderen zu verstehen und ernst zu nehmen. Dazu müssen Mutter und Tochter unbedingt lernen, ihre eigenen Gefühle zuzulassen, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu formulieren: Was möchte ich als Mutter eigentlich? Was möchte ich als Tochter?
Es hilft sehr, wenn sich Mutter und Tochter Zeit nehmen, ihre Ziele verständlich zu erklären. Hört einander also einmal ruhig zu, lasst euch ausreden und bleibt offen für die Situation der anderen. Wer als Mutter immer nur etwas fordert, wird der eigenen Tochter und ihren Bedürfnissen nicht näher kommen.
Diese Bedürfnisse sind im Teenageralter natürlich ganz anders, als diejenigen, die eine Mutter hat: Die Tochter möchte Zeit mit ihren Freundinnen verbringen und Dinge tun, die ihr als junger Frau Spaß machen. Manchmal fühlt sie sich aber auch in ihrem Körper mit all den neuen Entwicklungen unwohl und möchte sich nur verkriechen. Drücke ich als Mutter meiner Tochter nur meine Wünsche auf und meinen vorgefertigten Weg? Geht es nicht viel eher darum, dass sie herausfindet, wer sie ist und was sie gern machen möchte?
Häufig sind die Emotionen und Bedürfnisse einer Teenietocher auch sehr fluide und können täglich bis wöchentlich wechseln. Die Mutter denkt vielleicht nur an die Zukunft ihrer Tochter und möchte daher, dass sie in der Schule vorankommt und gute Noten bringt, um später eine gute Ausbildung machen zu können. Doch für die Tochter zählen aktuell in ihrem Teenager-Universum ganz andere Dinge und sie hat diesen Weitblick noch gar nicht.
Wenn gar nichts mehr geht: So können sich Eltern Hilfe holen
Die Auseinandersetzungen und Konflikte in der Teenager-Eltern-Beziehung können extrem herausfordernd, emotional aufgeladen und schwierig sein. Es ist für Eltern nicht leicht, sich wirklich in ihre Kinder in diesem Alter hineinzuversetzen und immer Geduld und Verständnis aufzubringen. Und für Teenager sind Eltern, die immer nur von guten Schulleistungen reden, total anstrengend und wirken lediglich total gestresst. Wenn dann noch sehr verschiedene Temperamente aufeinandertreffen, kann das die Konflikte noch verschärfen und ausweglos erscheinen.
Therapeutin Valeska Zarwell empfiehlt Eltern, die nicht weiter wissen, sich Hilfe von außen zu holen. Zum Beispiel hat das Jugendamt speziell geschulte Ansprechpartner*innen für diese familiären Herausforderungen. Also wendet euch jederzeit an eurer örtliches Jugendamt, schildert euer Problem und dann wird sich ein Experte bzw. Expertin Zeit für euch nehmen.
Das Jugendamt greift nicht erst ein, wenn eine Familie schon total zerrüttet ist. Es ist vor allem dafür da, präventiv Hilfestellungen zu geben, damit eine Situation nicht eskaliert. Spätestens wenn das Kind die Schule verweigert oder das Thema Drogen dazukommen, ist Hilfe gefragt. Damit seid ihr nicht allein!
Gut zu wissen: Das Teenagergehirn tickt anders
Die Psychologin erklärt mir, dass die Teeniezeit so schwierig für Jugendliche ist, weil es hier auch zu Hirnveränderungen kommt. Grob vereinfacht kann man sagen, dass der Bereich im Gehirn, wo das vorausschauende Handeln gesteuert wird, vorübergehend ausgeschaltet ist. Das lymbische System, das die Gefühle steuert, übernimmt dessen Aufgabe. Das ist einer der Gründe, weshalb Jugendliche in dieser Zeit stark gefühlsabhängige Entscheidungen treffen.
Das Hirn entwickelt sich in dieser Zeit stark und das strengt die Kinder sehr an – Müdigkeit und Lustlosigkeit sind vorprogrammiert. Noch dazu kommt die hormonelle Umstellung. Ein Teenager lebt in einer sehr anstrengenden Phase während der gesamten Pubertät.
Mutter-Tochter-Konflikt bei psychischen Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen
Wenn ein Kind die eigenen Bedürfnisse nicht entdecken, äußern und ausleben darf, ist das problematisch. Bei psychisch erkrankten Eltern müssen Kinder häufig zurückstecken und werden mit ihren eigentlichen Bedürfnissen nicht gesehen.
Bei narzisstischen Müttern oder Müttern mit Persönlichkeitsstörung
Kinder von Eltern mit Persönlichkeitsakzentuierungen oder sogar Persönlichkeitsstörung wie zum Beispiel Narzissmus haben es oft schwer, ihre Persönlichkeit frei zu entdecken und zu entfalten. Da narzisstische Eltern (z. B. narzisstische Mütter oder narzisstische Väter) häufig einen starken Fokus auf die eigenen Bedürfnisse und deren Bedürfnisbefriedigung legen, werden dabei die Bedürfnisse der Kinder vernachlässigt. Die Kinder passen sich diesen Rahmenbedingungen stark an und lernen nicht, was sie selbst brauchen, wer sie sind und wie sie erreichen können, was sie benötigen.
Da es sich bei Persönlichkeitsstörungen um Erkrankungen handelt, die ein langes Bestehen haben, haben Kinder auch keinen Vorher-Nachher-Vergleich. Die Familiendynamik ist damit beständig durch die Persönlichkeitsstörung des Elternteils geprägt.
Häufig können Kinder narzisstischer Eltern bis ins hohe Alter nicht erkennen, in welchen dysfunktionalen Beziehungsmustern sie groß geworden sind. Sie haben gelernt, sich selbst und ihre Bedürfnisse dem erkrankten Elternteil immer unterzuordnen.
Denn das Bedürfnis einer narzisstischen Mutter ist es z. B., dass die Tochter alles so macht, wie es die Mutter möchte. Und wenn die Tochter das nicht tut, bricht für die Mutter alles zusammen und sie gibt dem Kind die Schuld für ihre Situation. Narzisstische Persönlichkeiten verhalten sich sehr manipulativ.
Eine Tochter, die in einem solch schwierigen Mutter-Tochter-Verhältnis aufwächst, wird auch selber Probleme in ihren privaten Beziehungen oder einer Partnerschaft haben. Denn sie hat ihr Verhalten von der Mutter erlernt und kennt es gar nicht anders.
Erkennst du dich darin wieder? So kannst du Hilfe bekommen
Die Therapeutin empfiehlt Kindern, die vermuten oder wissen, dass ihre Eltern eine solche Persönlichkeitsstörung bzw. ein solches Verhalten aufweisen, sich Hilfe zu holen. Sie können und sollten sich in der Schule an Sozialarbeiter*innen wenden und offen darüber sprechen, wie es ihnen zu Hause geht. Nützlich seien auch Selbsthilfegruppe für Kinder betroffener Eltern, in denen man sich austauschen kann mit Menschen, die Ähnliches erleben.
Zusätzlich ist eine Therapie immer ein guter Weg, um ein gesundes Selbstbild zu entwickeln. Wer von klein auf in solchen dysfunktionalen Verhältnissen aufgewachsen ist, passt sich an und hat das eigene problematische Verhalten auch automatisiert. Es ist sehr schwer, da alleine herauszukommen. Auch im hohen Erwachsenenalter ist es nie zu spät, sich therapeutische Hilfe zu holen.
Psychologin und Autorin Stefanie Stahl redet auch vom Bild des "Inneren Kindes": Im Video-Interview erläutert sie, was sie damit meint, dass wir "unser inneres Kind heilen sollen".
Bei Müttern mit Depressionen oder Angststörung
Bei einer Erkrankung wie der Depression, erklärt mir Valeska Zarwell, gibt es meist ein Vorher und ein Nachher. Die Krankheitseinsicht sei dann auch meistens da. Teenager mit depressiven Eltern können sich ebenfalls an Vertrauenspersonen in ihrer Schule wenden. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man ihnen helfen kann. In einer solch schwierigen Umgebung aufzuwachsen, ist nichts, was man ohne Begleitung und ganz alleine schaffen muss.
Depressive Eltern bekommen vom Staat auch Unterstützung von Haushaltshilfen bis Kinderbetreuung. Da gibt es ein großes Hilfsnetzwerk, das man in Anspruch nehmen kann. Tipps haben wir für Angehörige von Depressiven auch in diesem Ratgeber:
Mutter kritisiert ständig erwachsene Tochter: Den Mutter-Tochter-Konflikt lösen
Wenn eine Tochter selber Mutter wird, verändern sich die Verhältnisse und Rollen. Das bringt eine ganz neue Dynamik und Herausforderung mit sich. Dann kommt es natürlich häufiger vor, dass eine Mutter ihre erwachsene Tochter kritisiert.
Warum das Konfliktpotential zunimmt, wenn Enkelkinder da sind
Häufig werden Frauen heutzutage viel später Mutter als früher: In der Zeit der Zwanziger kümmert man sich um die Karriere und findet heraus, wer man ist. Man führt Partnerschaften und hat viel Zeit, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie man selbst als Elternteil sein möchte. Wenn man dann zwischen 30 und 40 Mutter wird, hat man ein festes Mindset und einen gewissen Erziehungsplan.
Auf diese heutige Mutter, die schon sehr gefestigt ist und meist alles mit ihrem Kind richtig machen möchte, trifft dann die eigene Mutter bzw. Oma mit ihren häufig veralteten Vorstellungen von Erziehung. Dabei ist es normal, dass es erneut zum Mutter-Tochter-Konflikt kommt.
Die Oma sieht sich selbst immer noch als Mutter und möchte ihrer Tochter mit dem Enkelkind gern helfen, ihren Erfahrungsschatz weitergeben. Die Tochter fühlt sich womöglich davon angegriffen, weil sie einiges anders machen möchte. Letztlich geht es hier auch darum, dass wir die Bedürfnisse hinter dem Konflikt erkennen und akzeptieren.
Dafür nennt Valeska Zarwell drei wichtige Schritte, die man gehen kann, um einen solchen Mutter-Tochter-Konflikt besser zu lösen:
- Die Forderung hinter dem Konflikt verstehen: Das zeigt – ich nehme dich wahr.
- Das Bedürfnis hinter der Forderung verstehen: Das zeigt – Ich sehe dich und dein Bedürfnis.
- Nach vorn gucken und die Ziele vereinheitlichen. Wir haben diese gemeinsamen oder unterschiedlichen Ziele – wie kommen wir da zusammen?
Wege aus dem Mutter-Tochter-Konflikt: Emotionen verstehen und Bedürfnisse erkennen
Wer den genannten Weg der Konfliktlösung anwendet, kann schon deutlich dagegen steuern, dass aus einem Mutter-Tochter-Konflikt ein gestörtes Mutter-Tochter-Verhältnis wird. Natürlich wird das nicht immer so funktionieren. Bei einem Konflikt gibt es immer zwei Seiten. Wenn beide erkennen, dass es ein Kommunikationsproblem gibt und offen sind, dann lässt sich daran arbeiten. Wenn eine Seite das gar nicht erkennt oder zulassen möchte, wird bzw. bleibt es schwierig.
Wenn ihr verzweifelt seid und die Situation ausweglos erscheint, dann könnt ihr euch Hilfe holen. Der Bund bietet bei vielen Themen Familienberatung an. Ihr könnt euch an euer örtliches Jugendamt wenden, an Pro Familia, die Caritas oder Diakonie.
"Versucht immer hinter die Forderung zu schauen und einander erstmal zu verstehen. Was möchte ich, was möchte die andere? Wen man beginnt, einander zuzuhören und die Gefühle der anderen hört, ist das der erste Schritt zur Konfliktlösung. Dann kann man empathisch sein und die eigenen Ängste und Wünsche formulieren. Letztlich steht dann meist ein Bedürfnis dem anderen gegenüber. Dann muss man Kompromisse schließen. Wenn man das gemeinsame Ziel hat, dass es dem Kind/Enkelkind gut gehen soll, kann es leichter fallen aufeinander zuzugehen."
Unlösbarer Mutter-Tochter-Konflikt: Kann Kontaktabbruch eine Lösung sein?
Es gibt Fälle, wo ein solcher Konflikt unlösbar scheint. Schwierig kann das vor allem sein, wenn viele Jahre des Kontaktabbruches sogar schon zwischen euch liegen. Einen generellen Tipp gibt es von der Psychologin nicht, weil jeder Einzelfall betrachtet werden muss: Wenn man sich aufgrund eines Streits lange nicht gesehen hat, aber sich wieder annähern möchte, ist es gut, wenn einer wieder den Kontakt sucht. Doch wenn die Mutter oder die Tochter das nicht möchte, muss man das akzeptieren.
Wer nach langer Zeit den ersten Schritt machen möchte, sollte sich klare Grenzen setzen: Wenn ich wieder den Kontakt möchte, wie findet dieser statt, in welchem Rahmen, wo und wie lange, welche Themen sind eventuell tabu. Daran muss sich dann auch die andere Person halten, sonst wird es schwierig.
In manchen Fällen, vor allem wenn Persönlichkeitsstörungen oder psychische Erkrankungen eine Rolle spielen, kann Kontaktabbruch der bessere Weg für alle Beteiligten sein. Das müsst ihr in eurem persönlichen Fall selber entscheiden. Ein Therapeut bzw. eine Therapeutin kann euch innerhalb einer Therapie bei der Entscheidung unterstützen – oder auch eine Selbsthilfegruppe oder Beratung.
Dipl. Psychologin Valeska Zarwell ist approbierte Psychotherapeutin mit einer eigenen Praxis in Berlin. Dort betreut sie Patientinnen und Patienten mit der Methode der kognitiven Verhaltenstherapie.