Die Ursprünge unserer Sinnlichkeit beginnen schon in unserer Kindheit: Unsere Eltern und Bezugspersonen leben uns vor, wie sie miteinander umgehen und vermitteln uns sogenannte Glaubenssätze über Sex und unseren Körper. Diese Gedanken prägen unsere sexuelle Entwicklung ein Leben lang. Indem du dir dieser falschen Sätze bewusst wirst, die du verinnerlicht hast, kannst du wieder mehr Lust empfinden und dich gemeinsam mit deinem Partner/Partnerin ganz neu entdecken. Hier kommen einige typische Sätze, die wir alle in der einen oder anderen Form kennen, und ihre positiven Alternativen für deine sexuelle Befreiung!
Sexualtherapeutin Julia Henchen erklärt in ihrem sexuellen Ratgeber “Lustfaktor”:“Glaubenssätze sind Botschaften, die wir bereits in jungen Jahren von unseren Eltern oder Bezugspersonen erleben und die unbewusst unser Verhalten steuern. Das beinhaltet auch all die negativen Ideen über unsere Person, unseren Körper und unsere Sexualität. (Sie) können deine Vorstellung über dich so sehr verzerren, dass du in Selbsthass versinkst”.
Viele Menschen haben gar keinen richtigen Zugang zu ihrer Lust oder unterdrücken ihre innersten Wünsche, weil sie diese Gedanken verinnerlicht haben. Die systemische Therapeutin hat nützliche Tipps, sich daraus zu befreien: “Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es die stärkste Waffe eines jeden Menschen ist, sich dieser Glaubenssätze bewusst zu werden, um wieder einen guten Bezug zu seinem Körper und seiner Psyche herzustellen.(…) Für deinen Alltag ist es wichtig, dass du spürst, wann diese Gedanken kommen, damit du diese nun positiv veränderst.” Los geht’s!
#1 Frauen, die Spaß an Sex haben, sind meistens Schlampen
Falsch! Besser: Frauen dürfen so viel Spaß am Sex haben, wie sie möchten.
Häufig werden Frauen, die sehr gern viel Sex haben, abgewertet oder abgestempelt. Dabei ist nur wichtig, dass du das machst, was dir guttut und jeder der Beteiligten einverstanden ist. Unterdrücke deine Lust nicht, weil andere denken, das “gehört sich nicht”.
#2 Du musst dich schon entscheiden, wen du sexuell anziehend findest
Falsch! Besser: Liebe, wen und wie du willst!
Du darfst frei entscheiden, welches Geschlecht du liebst und musst dich überhaupt nicht festlegen. Sexuelle Orientierung entwickelt sich nicht von heute auf morgen und kann auch fluide sein. Warum solltest du dich einschränken lassen von gesellschaftlichen Ansprüchen oder Tabus?
#3 Männer haben viel mehr und öfter Lust als Frauen
Falsch! Besser: Jeder hat ein eigenes Lustbedürfnis, das sich ständig ändert.
Dass Männer ständig können und wollen, gehört zu den großen Sexmythen. Wie auch bei Frauen ändert sich ihr Verlangen und ist von zahlreichen Einflüssen geprägt. Hier gibt es keinen Standard, an den man sich zu halten hat.
#4 Ich bin zu fett/dünn/hässlich für Sex
Falsch! Besser: Jeder Mensch hat ein sexuelles Verlangen und ist sexuell attraktiv. Das hängt nicht von der Körperform ab.
Wurde dir schon seit deiner Kindheit gepredigt, dass du zu- oder abnehmen müsstest, um sexuell attraktiv zu sein? Das ist vollkommener Schwachsinn. Du musst dich in deinem Körper wohlfühlen und dann strahlst du eine natürliche Attraktivität aus. Wenn du etwas an deinem Körper ändern willst, dann tu das nur für dich, nicht für andere.
#5 Gutaussehende Menschen haben besseren Sex
Falsch! Besser: Guter Sex definiert sich nicht über körperliches Aussehen, sondern über deine Lust und die deines Partners, deiner Partnerin.
Du fühlst dich nicht wie die strahlende Frau, die sich sexy auf dem Bett räkelt? Musst du auch gar nicht! Sex hat überhaupt nichts mit einem bestimmten Aussehen zu tun, das einer Norm entspricht, sondern erotische Anziehung basiert auf viel mehr als nur auf Optik.
#6 Immer wenn er/sie Lust hat, muss ich automatisch auch Lust haben
Falsch! Besser: Du darfst entscheiden, ob und wann du Lust hast und das auch kommunizieren.
Dass Frauen immer für Männer verfügbar sein müssen, dieses Gerücht hält sich teilweise hartnäckig. Daher haben manche Frauen häufig Sex, obwohl sie gar keine Lust darauf haben. Sex sollte immer auf Konsens basieren: Alle Beteiligten haben Lust darauf und sind einverstanden. Wenn der oder die andere gerade keine Lust auf Sex hat, dann darf das deutlich kommuniziert werden. Das schadet sonst langfristig eurer Psyche! Keine*r darf frei über euch verfügen, wie er möchte und ihr solltet dies im Gegenzug auch nicht tun.
#7 Wer sich viel selber befriedigt, ist mit dem Partner nicht zufrieden
Falsch! Besser: Wer Solosex hat, liebt sich selbst.
Selbstbefriedigung ist vollkommen natürlich und sehr wichtig für die eigene Sexualität. Wenn du regelmäßig Solosex hast, und in einer Beziehung bist, ist das noch lange kein Zeichen, dass dein Partner oder deine Partnerin dir nicht genügt. Du tust dies für dich selbst. Das hat nicht unbedingt etwas mit eurem gemeinsamen Sex zu tun. Doch sollte das so sein, dann rede unbedingt mit dem oder der anderen.
#8 Selbstbefriedigung in der Partnerschaft ist ein No-Go und fast wie Betrug
Falsch! Besser: Selbstbefriedigung gehört zur Selbstliebe.
Wer eine gesunde Beziehung zum eigenen Körper hat, genießt Selbstbefriedigung. Das kann sich sogar äußerst positiv auf euer Paarsexleben auswirken. Lege die falsche Scham ab, die dir antrainiert wurde: Früher hieß es oft, Solosex sei etwas “Schmutziges”. Auch so ein veraltetes Narrativ und historischer Mythos der Sexualität.
#9 Frauen, die sich sexy kleiden, wollen nur das EINE
Falsch! Besser: Frauen, die sich sexy kleiden, lieben ihren Körper.
Puh. Wenn man dachte, dass dieses Thema seit #metoo vom Tisch ist, hat man sich getäuscht. Immer noch kursiert die Annahme, dass sexy Kleidung etwas damit zu tun hat, dass man Sex haben möchte. Wenn eine Frau sich sexy kleidet, dann weil sie sich selbst so zeigen mag und sich wohlfühlt. Das kann letztlich dazu führen, dass man offener für Sex ist, hat aber ursächlich nichts damit zu tun, dass man ständig verfügbar sein will. Ein ausgeschnittenes Dekolleté ist genau das und keine Einladung zum Sex. Es hat eher etwas mit dem Betrachter und dessen Interpretation zu tun als mit einem selbst.
#10 Frauen haben viel größere Schwierigkeiten einen Orgasmus zu bekommen
Falsch! Besser: Einigen Frauen fällt es schwerer, einen Orgasmus zu haben.
Eine Frau kann auf vielfältige Weise zum Höhepunkt kommen. Lass dir nicht einreden, nur weil du eine Frau bist, ist es generell schwieriger. Das kann so viele Gründe haben, wenn es bei dir nicht so häufig klappt. Hier gibt es keine allgemeine Regel. Wir haben einige Tipps, wie du leichter zum vaginalen Orgasmus kommst.
#11 Frauen, die selten kommen, können sich einfach nicht fallen lassen
Falsch! Besser: Sie haben nur noch nicht herausgefunden, wie es geht.
Sexualität ist eine Reise. Es gibt Menschen, die von Kindheit an ein offenes Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Sexualität haben und genau wissen, wie sie kommen können. Andere machen differenzierte Erfahrungen und erleben Sex noch nicht als erfüllend oder diese ganzen Glaubenssätze sind einfach zu stark. Es ist ganz normal, wenn wir Jahre brauchen, um herauszufinden, was wir mögen. Das heißt nicht, dass es bei dir nicht geht oder du ein Problem hast. Solltest du jedoch darunter leiden, dann spricht mit deiner Gynäkologin oder mit einer Therapeutin wie Julia Henchen.
#12 Wer keine Lust auf Sex hat, ist total frigide.
Falsch! Besser: Wer keine Lust auf Sex hat, hat keine Lust auf Sex.
Es gibt in der Sexualität keine Leitlinie, in welchem Alter man mit wem wie viel und welche Art von Sex haben sollte. Finde in deinem Tempo heraus, was dich erotisch anzieht, lerne deinen Körper kennen und entdecke schrittweise in deinem Tempo deine Lust. Frigidität ist ein alter Begriff aus der Medizinsprache und bedeutet “sexuelle Funktionsstörung”. So lapidar dahingesagt wertet er ein Individuum total ab und zielt mal wieder darauf ab, bei demjenigen stimme etwas nicht. Es kann durchaus medizinische Gründe haben, warum man Schmerzen beim Sex oder sexuelle Unlust empfindet. Doch lass dich von solchen Äußerungen nicht abwerten.
#13 Sex mit mehreren Sexualpartnern gleichzeitig gehört sich nicht
Falsch! Besser: Sex ist immer dann okay, wenn er freiwillig passiert und alle Beteiligten daran Spaß haben.
Da gibt’s nicht mehr viel zu sagen, oder? Probiert euch einfach aus!
#14 Wenn er oder sie keine Lust auf Sex mehr hat, geht er/sie garantiert fremd oder findet dich nicht mehr erotisch
Falsch! Besser: Fehlende Lust auf Sex ist phasenweise völlig normal, genau wie extreme Lust auf viel Sex.
Sexuelle Lust wird von so vielen Faktoren bestimmt. Es gibt keine Messlatte, an die ihr euch halten müsst. Findet heraus, was ihr wollt und euch beiden gemeinsam guttut. Sucht nicht sofort die “Schuld” für eine sexuelle Flaute bei Dingen wie Attraktivität. Wichtig ist, dass ihr darüber redet und miteinander rausfindet, wie ihr euch fühlt bzw. ob euch etwas daran stört.
#15 Analsex ist schmutzig
Falsch! Besser: Analsex ist eine Form vom Sex.
Obwohl die Menschen seit Jahrhunderten Analsex praktizieren, gilt er häufig immer noch als schmutziges Tabu. Kaum jemand redet darüber, dass er ihn hat oder ihn gut findet. Dabei ist es auch völlig okay, wenn du anale Befriedigung nicht magst. Doch gib nicht auf, es auszuprobieren, weil du das Gefühl hast “das gehört sich nicht”. Solange dein Partner das auch möchte, ist es genau richtig. Jede*r hat eben andere Vorlieben. Doch viele Probieren es aus Scham leider gar nicht erst aus.
#16 Wer beim Sex stöhnt, ist total peinlich.
Falsch! Besser: Stöhnen beim Sex ist völlig okay, wenn du es so fühlst.
Die Reaktionen auf einen Orgasmus können ganz individuell sein. Wenn du es als lustvoll erlebst, dabei zu stöhnen, ist das vollkommen okay. Genauso ist es okay, wenn sich das bei dir anders äußert. Wichtig ist, dass du nicht nur darum stöhnst, um deinem Sexualpartner bzw. deiner Sexualpartnerin zu gefallen. Nur weil in Pornos ein bestimmtes Bild von Sex vermittelt wird, heißt das nicht, dass jede*r es genau so machen muss. Tue nur, was dir ganz natürlich vorkommt und weil du es so fühlst.
#17 Wenn eine*r keine sexuelle Lust mehr hat, ist die Beziehung vorbei
Falsch! Besser: Wenn eine*r keine Lust mehr empfindet, solltet ihr darüber reden und herausfinden, woran es liegt.
Wie schon erwähnt, ist sexuelle Lust etwas sehr Individuelles und verändert sich im Laufe unseres Lebens. Wichtig ist, dass ihr darüber redet, wie es euch damit geht und welche Wünsche ihr miteinander habt.
#18 Über die Vagina redet man nicht
Falsch! Besser: Über die Vagina und Vulva müssen wir unbedingt endlich mehr sprechen.
Aus dem Buch “Lustfaktor” von Julia Henchen habe ich gelernt, dass der weibliche Orgasmus und die Vulva bzw Vagina bis vor wenigen Jahren noch vollkommen rückständig erforscht war. Erst jetzt ändert sich das und veraltete Tabus brechen so langsam auf. Noch im 19. Jahrhundert gestand man der Frau überhaupt keinen Orgasmus zu. Die Vagina war ein vollkommenes Tabuthema und als Organ lediglich dazu da, der Befriedigung des Mannes zu dienen und Kinder auf die Welt zu befördern. Es ist überhaupt nicht schamvoll über die Vagina und Vulva zu reden, sondern gehört unbedingt mit zur sexuellen Aufklärung. Genau wie die Themen weiblicher Ausfluss, klitoraler Orgasmus oder Squirten.
#19 Weiblicher Ausfluss und Sperma sind eklig.
Falsch! Besser: Körperflüssigkeiten gehören zum menschlichen Körper.
Wenn euch diese Themen unangenehm sind, habt ihr schonmal überlegt, woher das kommt? Meistens auch aus eurer Kindheit und Jugend bzw. wie eure Eltern euch den Umgang mit sexuellen Themen und eurem Körper gelernt haben. Vielen Eltern waren genitale Themen äußerst unangenehm und schamvoll. “Darüber spricht man nicht” sorgt oft dafür, dass Kinder sich dort kaum berühren. Dabei entdecken schon Kleinkinder sehr früh ihre Organe und man sollte sie darin eher bestärken bzw. es ihnen auf keinen Fall verbieten oder etwas “Ekelhaftes” daraus machen. Das kann dazu führen, dass man Ausfluss oder auch Sperma in der Sexualität dann eklig findet.
Diese und viele weitere Botschaften sorgen meist unbewusst dafür, dass wir sexuell gehemmt sind. Trau dich, zu erkennen, woher deine Gedanken kommen. Es gibt hier kein eindeutiges Richtig und kein Falsch, vieles liegt auch dazwischen. Es ist nie zu spät, sich sexuell zu entwickeln und völlig neu anzufangen, solange es dir gut dabei geht und allen, die beteiligt sind. Viel Spaß bei deiner sexuellen Reise!
Video-Interview: Zurück zur eigenen Lust nach einer Geburt
Wir haben mit Inga von Amorelie darüber gesprochen, wie Frauen nach einer Geburt ihr Lust mithilfe von Sextoys wieder neu entdecken können und wie Sextoys auch helfen können, Neues mit dem Partner auszuprobieren.