Collien Ulmen-Fernandes macht sich stark für eine vorurteilsfreie Erziehung von Kindern. Mädchen brauchen geistiges Empowerment und Jungen sollten Emotionen zeigen dürfen. Wir haben mit der Schauspielerin und Moderatorin über Erziehung und Gerüchte gesprochen, die sich verselbstständigen.
Wie erzieht ihr eigentlich eure Kinder? Lieber lassiez-faire oder eher streng, mit klaren Regeln oder vollkommen wild und ohne Verbote? Erziehung ist eigentlich immer ein Streitthema, weil verschiedene Ansichten aufeinandertreffen.
Was aber unbestreitbar ist: Die Gesellschaft hat leider viele Erwartungen und Vorurteile in Bezug auf Jungen und Mädchen. Dabei sollten wir gerade da viel großzügiger sein und Kinder einfach Kinder sein lassen. Collien Ulmen-Fernandes sieht das genauso.
Spielzeug für Jungen oder Mädchen?
Sie sind Mutter einer Tochter. Mit welchen Spielsachen spielt sie denn am liebsten?
Collien Ulmen-Fernandes: Meine Tochter hat alles in ihrem Kinderzimmer, das geht von Einhörnern bis zu Robotern.
Die Schlagzeilen rund um die Erziehung Ihres Kindes gingen ja in die Richtung, Sie würden Ihr Kind geschlechtsneutral erziehen. Was bedeutet das denn für Sie und ihr Kind?
Ja, das habe ich auch gelesen. Es stimmt aber nicht. Ich erziehe mein Kind nicht geschlechtsneutral. Dieses Gerücht hat sich verselbstständigt, ohne dass mal jemand nachgefragt hat, ob es stimmt. Ich erziehe mein Kind vorurteilsfrei, das ist etwas anderes. Es gibt zahlreiche Studien zu diesem Thema die zeigen, dass man z.B. mit Mädchen häufiger über ihr Äußeres spricht: „Du hast aber ein schönes Kleid an“, „Du bist aber eine Hübsche“, etc. Dadurch lernen Mädchen, dass sie für Äußerlichkeiten zuständig sind.
Mädchen fehlt geistiges Empowerment
Auf Mädchen-T-Shirts stehen häufiger Begriffe wie „Pretty", „Cutie“, „Beauty“, während geistiges Empowerment eher in der Jungsabteilung zu finden ist, mit Aufdrucken wie „born to be legendary“, „Genie im Wachstum“. Warum gibt es diese Shirts nicht auch in der Mädchenabteilung? Durch dieses Gendermarketing, welches in den vergangenen Jahren massiv zugenommen hat, halten Mädchen sich für weniger schlau, wie Studien belegen.
Wenn man sich in dieser Mädchen-Welt, in Büchern und Serien für sie umschaut, hat man das Gefühl, dass es für Mädchen genau eine Berufsoption gibt: Prinzessin. Das war's! Ich habe meiner Tochter daher die Astronautin-Barbie geschenkt. Vielleicht fliegt sie ja irgendwann mal ins All.
Nicht auf Teufel komm raus verbieten
So von Mutter zu Mutter: Ist das Wichtigste nicht, dass unsere Kinder von uns den Rückhalt bekommen, dass sie ok so sind, wie sie sind? Es kann ja auch schnell anstrengend fürs Kind werden, wenn es nun auf Teufel komm raus nur noch mit Holzblöcken spielen soll, obwohl es sich nach dem kreischrosa Plastikpferd sehnt.
Ja, absolut. Genau so sollte es sein. Wenn mein Kind sich ein kreischrosa Plastikpferd wünscht, dann bekommt es ein kreischrosa Plastikpferd. Rosa Plastikpferde sind tatsächlich keine Mangelware in ihrem Kinderzimmer. Meine Tochter spielt mit Plastikpferden – aber auch mit Holzblöcken und Robotern. Generell finde ich das Spiel an sich wichtig, um Kindern auch soziale Fähigkeiten wie Empathie zu vermitteln.
Empathie ist wichtig
Mein Ziel ist es, meine Tochter bestmöglich auf ihre Zukunft vorzubereiten und ihr Fähigkeiten mitzugeben und zu fördern, die ihr in ihrem späteren emotionalen, schulischen und auch sozialen Leben helfen. Und da gehört Empathie für mich einfach dazu.
Das sehen übrigens 93 Prozent der deutschen Eltern genauso, wie eine Umfrage von Barbie gerade erst ergeben hat. Ein besseres Verständnis anderer Menschen und ihrer Emotionen hilft uns dabei, Konflikte zu lösen und Probleme aus der Welt zu schaffen. Deshalb finde ich es auch sehr wichtig, dass Kinder dies schon frühzeitig erlernen. Dazu gehört es dann auch zu akzeptieren und zu verstehen, wenn man verabredet ist und die Freundin lieber mit dem kreischrosa Plastikpferd spielen will, man selbst aber mit den Holzblöcken.
Wir brauchen mehr Achtsamkeit
Was glauben Sie, wie viel Einfluss haben wir Eltern wirklich auf die geschlechtsneutrale Entwicklung unserer Kinder? Es gibt ja auch die vielen Einflüsse von außen, die die meisten guten Ideen, die wir so haben, im Keim ersticken.
Wir brauchen keine geschlechtsneutrale Entwicklung unserer Kinder. Mir geht es um Achtsamkeit und die Vorurteile, die wir selbst auf unsere Kinder laden, ohne es zu merken. Dazu gibt es ein sehr spannendes Experiment, aus England. Dort hat man Erwachsene gebeten mit Kindern zu spielen. Bei diesen Kindern, ein zweijähriges Mädchen und ein zweijähriger Junge, hat man zuvor die Kleidung getauscht.
Klischees in den Köpfen der Eltern
Die Erwachsenen hielten also den Jungen für das Mädchen und umgekehrt. Interessanterweise haben sie dem vermeintlichen Mädchen nur rosa Plüschzeugs hingelegt und am Ende gesagt, dass das Mädchen ja „ein richtiges Mädchen“ gewesen sei und immer nur nach dem rosa Plüschzeugs gegriffen hätte. Erst später auf den Aufnahmen haben sie gesehen, dass sie selbst es waren, die dem vermeintlichen Mädchen nur das rosa Plüschzeugs hingelegt haben.
In den Köpfen vieler Eltern gibt es halt noch diese Vorurteile „mein Sohn darf doch nicht mit Puppen spielen“. Mir erzählte neulich ein erwachsener Mann, dass er immer heimlich mit seinen Barbies gespielt hat, weil er sich nicht traute, offen mit diesem „Mädchenspielzeug“ zu spielen. Dabei ist es doch so wichtig, auch die sozial-emotionalen Kompetenzen unserer Jungs zu stärken!
Daher sollten wir aufhören, den Jungs das Spiel mit Puppen vorzuenthalten. Diese aktuelle Studie von Barbie hat gerade erst gezeigt, dass das Spielen mit Puppen nachweislich das Erlernen von Empathie fördern kann. Und wir wollen doch alle später empathische Familienväter und Ehemänner haben. Insofern helfen wir damit auch uns selbst. (lacht)
Vergessen wir die Jungen nicht!
Vergessen wir im Empowern der Mädchen nicht manchmal die Jungs, die zart und zurückhaltend sind und eben nicht so wild? Ich habe das Gefühl, dass die Gesellschaft da oft nicht so genau hinschaut, wie sie es inzwischen bei den Mädchen tut. Was denken Sie?
Absolut. Die Geschlechtervorurteile gibt es auf beiden Seiten, daher habe ich mich im zweiten Teil meines Buches auch stark auf die Jungs fokussiert, da eben auch Jungs gewissen Klischees ausgesetzt sind. Stichwort: „Jungen weinen nicht“, „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Dabei ist es total viel wert, wenn Jungen sensibel und einfühlsam sind, ihre Emotionen verbalisieren können und man nicht versucht, ihnen das abzutrainieren, weil sie Jungs sind.
Meine Meinung
Wir sollten viel mehr über die Klischees reden, die wir im Umgang mit Kindern an den Tag legen. Als Mutter von zwei Jungen und einem Mädchen habe ich glaube ich alles gehört, was es da so zu sagen gibt. Unvergessen sind so wirklich blöde Aussagen wie "Der ist viel zu hübsch für einen Jungen". Oder "ZIehen Sie dem mal was ordentliches an, Röcke sind nur für Mädchen".
Manchmal erkläre ich Menschen dann, dass wir alle unterschiedlich sind, dass Kleidung manchmal einfach nur ausdrücken soll, wie jemand sich fühlt und meine Kinder sich nicht über ihr Geschlecht definieren. Aber mir ist auch klar, umso älter sie werden, um so schwieriger wird es, sie für diesen Aussagen zu schützen.
Deswegen liegt es an uns allen, offener auf Kinder zuzugeben und sie nicht sofort in Kategorien einzuordnen, die eigentlich total überholt sind.
Bildquelle: © Mattel 2020
Jens Koch