Nun also Lockdown Nummer Drei. Oder Fünf? Acht? Wer weiß das schon so genau in diesen Tagen, die seit Monaten alle irgendwie gleich sind und wir vom Lockdown in die leichte Öffnung und dann in Lockdown light und hard rutschen. Diese neuen Maßnahmen zeigen vor allem, dass Familien nach wie vor nicht mitgedacht werden.
Habt ihr noch im Ohr, wie im Sommer gebetsmühlenartig von Politiker*innen betont wurde, dass bei allen zukünftigen schweren Entscheidungen Familien stärker in den Fokus genommen werden sollen? Wie versprochen wurde, dass in der Zukunft viel mehr die Situation von Familien berücksichtigt werden sollte. Damit sich die Versäumnisse aus dem ersten Lockdown nicht wiederholen?
Schulen und Kitas zu
Im Frühjahr explodierte die Gewalt gegen Kinder und Frauen, die Frauenhäuser und Sozialeinrichtungen schlugen Alarm. Eine Folge davon im Herbst: Schulen und Kitas auf, um jeden Preis. Die Parole war plötzlich: Wir lassen die Kinder auf jeden Fall dort.
Und dann wieder auf, um jeden Preis
Diese Strategie hatte als Konsequenz dann aber nur weiterhin hohe Fallzahlen zur Folge. Denn die Kinder steckten sich in den Schulen, die der Pandemie nur Unterricht bei geöffnetem Fenster entgegenzusetzen hatten, an. In den Kitas sah es ähnlich aus. Lehrer*innen, Erzieher*innen und Kinder erkrankten, teilweise wurden ganze Einrichtungen in Quarantäne geschickt.
Schulen und Kitas auf um jeden Preis ist als Strategie also kurz vor Weihnachten dann doch wieder verworfen worden. Und nun heißt es harter Lockdown. Fühlt ihr euch auch so unendlich erschöpft? Denn es ist leider so, dass Familien auch bei den neuen Maßnahmen eher am Rande mit gedacht wurden.
Corona- Sonderurlaub und Kind-Krank-Tage
Viele Erleichterungen für Eltern gibt es nur in der Theorie. Corona-Sonderurlaub ist theoretisch möglich, faktisch aber wird das kaum eine Familie wirklich in Anspruch nehmen können. Die zusätzlichen Kind-Krank-Tage, bei denen aktuell noch Unsicherheit herrscht, wie sie genutzt werden dürfen, zwingen Eltern nicht nur zur Lüge, wenn der Nachwuchs gar nicht krank ist, sie müssen auch auf Geld verzichten, weil Kind-Krank-Tage nicht mit 100 % Lohnausfall kompensiert werden.
Jede Familie ist anders
Jede Familie hat ihre eigene Wahrheit, ihre eigenen Erfahrungen in den letzten Wochen und Monaten gesammelt. Familien sind keine homogene Maße, in der alle das gleiche brauchen. Das weiß ich natürlich, aber ich stelle es auch immer wieder fest, wenn ich Stimmungsbilder unter Familien überall in Deutschland abfrage.
Da rufen die einen, weil bei ihnen überhaupt gar kein Homeoffice möglich ist, nach schnellen Öffnungen von Schulen und Kitas. Die anderen brauchen Entlastung im Homeoffice, wollen ihre Kinder aber nicht in die Notbetreuung schicken oder haben kein Anrecht darauf.
Während die einen froh sind, wenn in der Notbetreuung der Schulen Unterricht stattfindet, weil sie dann nicht nach Feierabend noch mit ihren Kindern Aufgaben lösen müssen, finden die anderen das unfair und rufen nach Chancengleichheit.
Im Zweifelsfall handelt jede Schule eigenständig, lässt die eine Kita alle Kinder kommen und die andere hält sich streng daran, nur Kinder von Eltern aufzunehmen, die systemrelevant sind. Es ist ein einziger großer Flickenteppich an Möglichkeiten und es gibt nur ein Hangeln von Tag zu Tag.
Wir sind alle erschöpft
Das macht mürbe. Und wir sind doch alle schon so müde. Wir Menschen haben ein großes Bedürfnis nach Sicherheit, genau das bekommen wir im Moment aber von keiner Seite vermittelt. Statt dessen prasselt Hiobsbotschaft nach Hiobsbotschaft auf uns ein und sorgt dafür, dass wir eigentlich gar keine Nachrichten mehr verfolgen wollen.
Verständlicherweise ist die eigene Situation immer die, die am schwersten zu ertragen ist, und so werden in diesen Zeiten unfassbar ätzende Grabenkämpfe zwischen Eltern geführt, um zu verdeutlichen, wem es wie nun viel schlechter geht. Aber sind wir mal ganz ehrlich: Die allermeisten von uns haben es, bei aller individueller Herausforderung, immer noch recht gut.
Grabenkämpfe zwischen Eltern
Wer im Homeoffice arbeitet und die Nerven über all das Kindergeschrei langsam verliert, der vergisst, weil die eigene Situation so herausfordernd ist, dass viele Eltern überhaupt nicht von Zuhause aus arbeiten können. Weil eine Notbetreuung angeboten wird, müssen vielerorts aber auch weiter Kitagebühren gezahlt werden. Das geht empfindlich ins Geld und da überlegen Eltern sehr genau, ob sie ihre Kinder nicht doch in die Betreuung schicken.
Schließt man die Schulen und Kitas nicht wie im Frühjahr, werden die Betreuungsgelder nicht erstattet. Ich kenne einige Eltern, die genau aus diesem Grund ihre Kinder weiter in die Kita schicken.
Cathy Tarnow, eine Mutter aus Hamburg
Es ist erschreckend, wie wenige Arbeitgeber ihren Angestellten das Arbeiten im Homeoffice überhaupt ermöglichen. Im ersten Lockdown war das deutlich anders, inzwischen wird vielerorts wieder auf Anwesenheitspflicht gedrängt, teilweise wird das Tragen einer Maske nicht angeordnet. Wieso setzt die Regierung hier nicht an? Wer beschließen kann, die Kontakte im Privaten auf eine weitere Person zu minimieren, der kann ganz sicher auch hier eingreifen.
Ich weiß nicht mehr, wie ich meinen Kindern erklären soll, dass sie niemanden treffen dürfen, aber Papa ins Büro muss. Diese Inkonsequenz ist einfach ermüdend.
Cathy Tarnow, eine Mutter aus Hamburg
Warum gibt es kein verpflichtendes Homeoffice?
Will ich einen Staat, der alles bestimmt? Sicherlich nicht. Aber ich finde die Diskrepanz zwischen den Eingriffen ins Privatleben und denen gegenüber der Wirtschaft einfach frappierend. Wieso nicht Bußgelder verhängen für all diejenigen, die ihre Mitarbeiter*innen aus reinem Kontrollzwang die tägliche Pendelei und das Arbeiten in Großraumbüros zumuten? Natürlich lässt sich nicht jede Arbeit ins Homeoffice verlagern, aber sicher deutlich mehr als jetzt.
Kinderbetreuung im Homeoffice zumutbar?
Die Bundesregierung ist ja, wie viele Arbeitgeber auch der Meinung, dass die Arbeit im Homeoffice mit der Kinderbetreuung eine für alle Beteiligten eine zumutbare Arbeitsalternative ist. Und deswegen wünsche ich mir, dass zukünftig alle Eltern in allen Telefonkonferenzen und Videocalls und gern auch im Büro ihre Kinder vorzeigen. Sorgt eben NICHT für eine ruhige Hintergrundatmosphäre, sondern zeigt allen, was das wirklich bedeutet, zu versuchen, die Arbeit nicht zu vernachlässigen, die eigenen Kinder aber auch nicht.
Zeigt eure Kinder in Konferenzen!
Ich weiß, dass das Mut braucht. Denn die genervte Stimmung im Kollegium muss man aushalten können, zusätzlich zu all dem, was wir Eltern eh gerade schultern müssen. Und ja, es ist eine ungewöhnliche Idee. Aber seit März 2020 haben wir durchgehalten und organisiert, haben versucht unseren Kindern, unseren eigenen Ansprüchen und den Forderungen der Arbeitgeber gerecht zu werden. Wir hatten keine Verschnaufpause und nun geht der ganze Albtraum einfach weiter.
Eltern wünschen sich Veränderung, sie wünschen Sichtbarkeit und sie fordern, dass sie endlich von den Politiker*innen wahrgenommen werden. Aber das alles wird nicht geschehen, wenn wir alle weiterhin für eine für unser Gegenüber angenehme Gesprächsatmosphäre und Ruhe sorgen, indem wir die Kinder vor dem Fernseher parken.
Wie bereitet ihr eure Kinder auf das Homeoffice vor?
Wie stressig sind denn die Minuten vor einem Call bei euch? Da wird alles vorbereitet, von Apfelschnitzen über Malbücher bis hin zu "nachher machen wir was Schönes"- Versprechen. Alles, damit die Kinder ruhig sind. Wir reiben uns auf, um den Laden am Laufen zu halten. Aber das ist eigentlich nicht schaffbar. Und vielleicht sollten wir einfach aufhören da mitzumachen bei diesem Wettbewerb, der suggeriert, dass es doch irgendwie geht. Für die allermeisten geht es nicht. Und jeder neue Termin schafft neuen Stress.
Dass Home Office als adäquaten Betreuungsersatz angesehen wird, zeigt mir, wie wenig unsere Regierung von Kindern versteht. Mal eine Woche bekommt man das bestimmt kompensiert. Aber auf Dauer leidet alles: Die Arbeitsleistung, die Lernleistung, der Familienfriede leiden.
Cathy Tarnow, eine Mutter aus Hamburg
Familien haben wenig Kontakte
Der harte Lockdown hat mich ehrlich gesagt nur noch mit den Augen rollen lassen. Natürlich sind die Einschränkungen wie der 15 km- Radius und das Beschränken auf eine weitere Person extrem. Aber die allermeisten Familien haben auch vorher ihre Kontakte schon sehr weit eingeschränkt, bis auf die, die wegen Kita, Schule und Arbeit sowieso entstanden sind. Die allermeisten von uns haben jede Entscheidung, egal wie viel persönliche Kraft das erforderte, mitgetragen. Aber wir können einfach nicht mehr.
Schule geht im harten Lockdown wieder los
Während am Montag in einigen Bundesländern das Distanzlernen gerade erst beginnt, planen andere bereits den schrittweisen Rückgang in den Schulbetrieb. Mich lässt das alles ratlos zurück. Natürlich wünsche ich mir, dass mein Kind wieder im normalen Umfeld lernen kann. Aber während es Kontaktbeschränkungen gibt, die nur eine weitere Person erlauben, soll mein (Berliner) Kind in kurzer Zeit wieder auf die halbe Klasse treffen? Ich verstehe den Ansatz dahinter nicht.
Ich habe Angst vor der verpflichtenden Schulöffnung! Die Entwicklung der Infektionszahlen in Großbritannien zeigt deutlich, dass die Mutation sehr stark auch Kinder angreift. Und sollte der Krankheitsverlauf mild sein: Was ist mit den Langzeitfolgen? Da sind wir wieder beim Beschützen meiner Kinder. Ich will nicht, dass sie ggf. ihr Leben lang leiden, nur weil sie jetzt mal eine Weile nicht in Kita und Schule waren.
Cathy Tarnow, eine Mutter aus Hamburg
Warum gibt es keine familienfreundlichen Lösungen?
Und tatsächlich ist das etwas, was ich der Regierung vorwerfe. Die wenigsten Maßnahmen sind nachvollziehbar, die allermeisten gehen zu Lasten von Kindern und Familien. Wir alle haben aber, genau wie ältere Menschen, wie Kinderlose, ein Recht auf Schutz und Unterstützung. Denn wir wollen unsere Kinder beschützen. Wir wollen für sie da sein. Und wir wollen uns nicht komplett aufreiben zwischen all den Ansprüchen, die an uns gestellt werden. Deswegen muss eine familienfreundlichere Lösung her. Ich plädiere für bezahlten (!) Corona-Sonderurlaub für die Zeit dieses harten Lockdowns.
Wie geht es euch? - Stimmungsbild von Familien
Wer ein Stimmungsbild möchte, wie es Familien in Deutschland gerade geht, kann unter meinem Tweet Aussagen von verschiedenen Familien nachlesen. Dafür einfach auf das Bild klicken, dann könnt ihr alle Antworten lesen.
Schreibt mir anschließend gern. Denn natürlich interessiert uns, wie es euch geht. Was braucht ihr? Was wünscht ihr euch? Welche Lösung wäre für euch die Beste?
Mein Fazit
Ich gestehe: An dieser Kolumne habe ich aus mehreren Gründen länger als üblich gesessen. Zum einen, weil meine Kinder mich, stärker noch als im ersten Lockdown, vom Schreiben abgehalten haben. Da wurde 200 mal geflucht, weil ein Kind die Matheaufgabe auf dem Arbeitsblatt nicht verstanden hat und wir Eltern nicht sofort griffbereit waren.
Ein anderes Kind hat mir ein Ohr abgekaut, weil die Kopfhörer unbequem sind und das Malheft keinen Spaß macht und sowieso alles "kacka" ist. Was das dritte Kind getan hat, verschweige ich an der Stelle einfach. Ich sage nur soviel: Weihnachtsdeko fürs nächste Jahr müsste ich dann beizeiten mal neu besorgen...
Was mir das Schreiben dieses Textes aber auch erschwerte, ist, dass es in diesem Lockdown so unterschiedliche Herausforderungen gibt. Dass die Regeln dann doch überall anders sind und für jeden andere Konsequenzen haben. Mir fehlt in der Berichterstattung über Familien oft die Betonung darauf, dass alle mit anderen Herausforderungen zu kämpfen haben. Das liegt auch daran, dass Journalist*innen sich natürlich in einer Blase bewegen. Die muss aber nicht unbedingt die Lebensrealität der Leser*innen abdecken.
Deswegen auch hier noch mal der Appell, schreibt uns doch, wie es euch geht. Denn oft fehlt mir die Solidarität unter den Eltern. Weil wir die Lebenswelt der anderen gar nicht kennen.
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