Manchmal höre ich Menschen darüber reden, das Karma "aufzupolieren" oder "nicht so viel negatives Karma anzuhäufen". Als wäre es eine Tabelle, die von unsichtbarer Hand geführt wird und uns am Ende des Lebens in Himmel oder Hölle verbannt (bzw. uns die Reinkarnation als Mensch oder Regenwurm erlaubt). Als zertifizierte Yoga-Lehrerin kann ich sagen: Wir haben Karma völlig falsch verstanden. Wie das Gesetz von Aktion und Reaktion wirklich funktioniert und wie du es für dich nutzen kannst.
Karma: Das Prinzip von Ursache und Wirkung
Das Wort "Karma" stammt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie "Handlung" oder schlicht "Tat". Und so viel schonmal vorweg: Da sitzt niemand, der zählt, wie viele gute und schlechte Taten du vollbringst. Karma ist viel eher das, was dich auf den rechten Weg zurück leiten soll. Schadest du jemandem absichtlich, wird das negative Konsequenzen haben. Nicht aus purem bösen Willen (wie gesagt, da sitzt niemand, der dich verurteilt) oder um dich zu bestrafen. Sondern weil du offensichtlich eine Lektion zu lernen hast, die du oftmals nur durch eigene schmerzliche Erfahrungen wahrhaftig verstehen kannst.
Da mich "Ursache-Wirkungs-Prinzip" zu sehr an die Sozialwissenschaften erinnert, bezeichne ich persönlich Karma eher als "Gesetz von Aktion und Reaktion". Stupide gesagt: Was auch immer du tust, wird eine Konsequenz haben. Und diese kann positiv oder negativ sein. Eine ähnliche Theorie ist beispielsweise der Schmetterlingseffekt.
Korrekterweise muss aber auch gesagt werden: Karma ist nicht EIN Gesetz, es beinhaltet sehr, sehr viele. Fünf Arten von Gesetzen, um genau zu sein.
Die 5 Gesetze des Karmas
Diese fünf Arten von Karma-Gesetzen beschreiben die möglichen Verbindungen und Prinzipien zwischen Aktion und Reaktion. Leider ist das nicht ganz so einfach, wie es zunächst klingt, denn diese Verbindungen sind selten eindeutig und können sich auch gegenseitig überschneiden. Hier die Kurzfassung.
#1 Direktes Karma
Direktes Karma ist wohl das banalste von allen. Wie du handelst, wie du denkst und was du sagst, wird eine direkte (aber nicht zwingend unmittelbare) Folge haben. Physikalische, chemische und biologische Gesetze, unsere Gesundheit oder unser beruflicher Erfolg sind laut Yoga Vidya Beispiele dieses Karmas.
Es wird in drei Phasen eingeteilt:
- Agami Karma: Die Phase einer konkreten Handlung, mit der du eine (spätere) Reaktion hervorrufst.
- Sanchita Karma: Die Zeit, bevor die mit Agami Karma kreierte Reaktion eintrifft und zunächst einmal keine direkten Konsequenzen spürbar sind.
- Prarabdha Karma: Die unmittelbaren oder später eintretenden Folgen dessen, was man durch Agami Karma hervorgerufen hat.
#2 Karma der Gedankenkraft
Das Karma der Gedankenkraft klingt da schon etwas komplizierter, ist aber im Grunde genommen nichts anderes als die Tatsache, dass unsere Gedanken einen Einfluss auf unsere Umwelt haben. Es ist nur logisch, dass unsere mentale Einstellung determiniert, wie wir unseren Alltag wahrnehmen und dieser Alltag wiederum unsere Weltanschauung widerspiegelt.
Ein Beispiel aus meinem Nähkästchen
Ich habe mein Leben lang mit meinem Selbstbewusstsein gestruggelt und immer mal wieder Zeiten, in denen mein Selbstwertgefühl in den Keller sinkt. Dafür schäme ich mich auch nicht, denn ich glaube, das geht den meisten so. Jedenfalls, wenn wir mal ehrlich mit uns sind.
Seit Teenager-Zeiten habe ich oft das Gefühl, nicht richtig erwünscht, sondern maximal geduldet zu sein, selbst wenn ich mit Freundinnen und Freunden zusammen bin. Das führt dazu, dass ich mich häufig von Events fernhalte oder Termine kurzfristig absage. Ich schließe mich selbst aus, weil ich davon ausgehe, dass es sowieso niemanden interessiert, ob ich nun komme oder nicht. Und ta-da – meine Einstellung bestätigt sich, denn jetzt habe ich (mehr oder weniger unbewusst) genau das erzeugt, wovor ich mich fürchte: Ich bin nicht Teil der Gruppe, sondern sitze allein zu Hause und habe das Gefühl, dass ich alles verpasse.
Wissenschaftlich lässt sich übrigens nachweisen, dass sich Form und Struktur des menschlichen Gehirns verändert, wenn wir ein sehr negatives Selbstbild haben. Wer also glaubt, nichts wert zu sein, nichts zu wissen, nichts zu können, keine Liebe und respektvolle Behandlung zu verdienen, schafft sich diese Realität selbst.
#3 Karma der Kompensation
Dies ist wohl das bekannteste Gesetz des Karmas – aber es ist eben nur ein Teil von Karma, nicht die Definition von Karma an sich. Die Redewendung "Wie du in den Wald rufst, so schallt es auch heraus" ist Sinnbild dieses Prinzips.
Dahinter steckt die Idee einer höheren Macht, die für gerechten Ausgleich sorgt. Und auch das ist in vielerlei Hinsicht nur logisch. Wenn du deine Mitmenschen hintergehst, um beispielsweise beruflich eine bessere Stellung zu erlangen, dann wird dir selbst höchstwahrscheinlich irgendwann genau das zustoßen, was du anderen dadurch angetan hast: Du hast eine wettbewerbsorientierte Atmosphäre geschaffen, in der jede*r auf sich selbst schaut, um zu überleben. Früher oder später wird jemand also auch dich für die eigenen Vorteile hintergehen. Das ist in gewisser Hinsicht nur fair.
Mein ist die Rache, spricht der Herr.
Wichtig zu wissen: Essenziell ist die Absicht, die hinter der Tat steckt, weniger aber das Ergebnis. Letztendlich werden also die Hintergründe deiner Handlungen auf dich zurückfallen, womit wir wieder bei der Gedankenkraft sind.
Dieses Gesetz besagt auch, dass Rache vollkommen sinnbefreit ist, da es nur neues Karma erzeugt.
#4 Karma der Evolution
Warum existieren wir überhaupt? Weshalb sind wir hier? Mit Sicherheit hat sich das jede*r schon mindestens einmal im Leben gefragt. Das Karma der Evolution betrachtet das Leben als Schule. Wir sind hier, um zu lernen, zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Aber dazu müssen wir Erfahrungen sammeln, gewisse Fertigkeiten erlernen und weniger nützliche Denk- und Handelsweisen ablegen.
Im Hinduismus und der Philosophie des Yogas gilt die menschliche Wiedergeburt als der größte Segen und die größte Herausforderung zugleich. Herausforderung deshalb, weil die humane Existenz die wohl komplexeste ist auf Erden und schier unendlich viele Schicksale, Emotionen und Hürden bereithält. Das macht sie wiederum zu einem Segen und auch zu einem Ziel für Gläubige, die Samadhi, den höchsten spirituellen Bewusstseinszustand, indem wir mit allem verschmelzen, erreichen wollen, um den Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt (Samsara) zu verlassen. Das Leben als Mensch, ist das einzige, indem wir die Möglichkeit haben, uns unserer selbst bewusst zu werden. Und wer den Zustand des Samadhi nicht in diesem Leben erreicht, kann darauf hoffen, im nächsten Leben erneut die Chance des Menschseins zu erhalten.
Darin steckt die Idee des eigenen, vorherbestimmten Schicksals und der Gedanke, dass alle Dinge im Leben dich etwas lehren sollen, auch die negativen, die schrecklichen und die scheinbar unfairen. Alles hat seinen Sinn. Was bleibt ist die Frage, ob du in der Lage bist, ihn zu erkennen.
#5 Karma der Gnade Gottes
Hier wird es schwierig, denn dieses Karma sagt im Prinzip: Du kannst nicht alles logisch erklären. Und selbst die Wissenschaft stößt immer wieder an ihre Grenzen. Was bleibt, ist die Gnade Gottes (sofern du an einen Gott glaubst). Und die (so wie auch Gott selbst) kann verschiedene Gestalten annehmen und unterschiedliche karmische Reaktionen hervorrufen.
Der Schlüssel zum Glück?
Für mich ist dieses Gesetz eine Art Joker. Und es verweist uns sanft zurück an unseren Platz. Wir können noch so sehr versuchen, alles zu erklären (oder die Gesetze des Karma für uns zu nutzen), es wird immer ein kleiner Rest bleiben, den wir weder verstehen noch beeinflussen können. Wir können noch so viel lernen, hart arbeiten und jeden Tag unser Bestes tun: Im Endeffekt können wir unsere Geschichte aber nur bis zu einem gewissen Grad selbst schreiben.
Und vielleicht liegt genau darin der Schlüssel zu einem zufriedenen Leben: Die Dinge zu akzeptieren, wie sie nun mal sind. Mit Gelassenheit, Vertrauen und einer Spur Demut.
So kannst du Karma für dich nutzen
Das Ziel eines Yogis ist es nicht, gutes Karma für sich zu erzeugen, sondern unabhängig davon zu werden. Darüberzustehen, sozusagen. Nur, wenn Karma uns nicht mehr beeinflusst, können wir Samsara hinter uns lassen und wahrhaftiges, unendliches Glück finden.
Dafür ist es wichtig, überhaupt kein Karma zu erzeugen, weder gutes noch schlechtes. Du kannst Karma auch als "unerledigte Aufgabe" sehen. Sie kann angenehm oder schmerzvoll sein. Solange Aufgaben auf deiner Liste stehen, hast du etwas zu lernen. Du hast dich also noch nicht voll entwickelt.
Was also kannst du tun? Wenn du den Gedanken, (gutes) Karma erzeugen zu müssen, erst einmal losgelassen hast, bist du schon ein ganzes Stück weiter. Denn dann hast du auch begriffen, dass es nicht darum geht, gute Taten zu vollbringen, um von guten Ergebnissen zu profitieren.
Dein einziges Recht ist es zu wirken, und kein Anspruch hast du auf die Früchte deines Tuns. Lass weder die Früchte deiner Handlung dir Motiv zur Handlung sein, noch wende dich zum Müßiggang.
Wenn du nur handelst, um Profit daraus zu schlagen, begrenzt du deinen Horizont auf dich selbst und deine irdischen, materiellen Wünsche. Diese aber sind vergänglich und werden dich niemals glücklich machen. Sei ehrlich: Von Geld kannst du keine echte Zuneigung kaufen. Das große Haus, dass du dir erarbeitet und für das du Familie, Liebe, Freizeit und Hobbys geopfert hast, wird dir nur die geistige und emotionale Leere deines Lebens offenbaren.
Du sollst also handeln, ohne Gegenleistungen dafür zu verlangen. Das nennt man auch Karma Yoga (und hat nichts mit Yogaposen zu tun!). Wirklich glücklich wirst du nur sein, wenn du nicht länger emotional an den Ergebnissen deiner Arbeit festhält, denn sie definieren dich nicht. Laut Yoga-Philosophie sind alle Lebewesen unsterbliche Seelen und Teile Gottes (bzw. einer überirdischen Energie, genannt Brahman). Wir sind nicht unser Körper, nicht unsere Gedanken, nicht unsere Taten und auch nicht das, was diese Taten bewirken. All das wird irgendwann vergehen. Darum können wir nur inneren Frieden finden, wenn wir Karma loslassen.
Quellen: Bhagavad Gita, Yoga Vidya
Das war jetzt ganz schön viel auf einmal, was? Manchmal bringen ein paar motivierende Sprüche einen echten Perspektivenwechsel. Darum haben wir dir hier in der Lesetipp-Box unsere besten Sprüche aus aller Welt für ein positives Mindset und innere Gelassenheit verlinkt.
Lust, selbst tätig zu werden? Dann mach unser Reinkarnations-Quiz und finde heraus, als was du wiedergeboren wirst. Aber bitte nicht zu ernst nehmen. ;)