Wir lesen darüber in Blogs oder diskutieren anderen Eltern darüber: Ist bedürfnisorientierte Erziehung der richtige Weg, um starke Kinder großzuziehen? Und wie soll das eigentlich gehen? Auf wessen Bedürnisse kommt es dabei an?
Ab wann mit bedürfnisorientierter Erziehung starten?
Bedürfnisorientierte Erziehung beginnt, wenn wir es ganz genau nehmen wollen, ab dem Moment der Schwangerschaft. Denn da haben sowohl Mütter als auch der Embryo (unterschiedliche) Bedürfnisse. Und auch wenn wir das häufig nicht so klar erkennen, schon hier können wir darauf achten, unsere eigenen Bedürfnisse nicht total zu vergessen.
Wie funktioniert bedürfnisorientierte Erziehung?
Denn das ist der vielleicht größte Trugschluss im Zusammenhang mit bedürfnisorientierter Erziehung. Es herrscht der Glaube, dass nur die Bedürfnisse des Kindes erfüllt werden müssen. Das stimmt aber nicht. Die Bedürfnisse aller Familienmitglieder stehen im Zentrum. Bedürfnisorientierte Erziehung ist auch kein starres Konstrukt, wie Familien an sich ist auch diese Erziehungsform immer im Wandel, reagieren wir alle zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich auf Bedürfnisse.
Angemessen auf Bedürfnisse reagieren
Gerade Babys brauchen die Sicherheit, dass ihre Bedürfnisse prompt und angemessen erfüllt werden. Und wir Eltern können uns mit jeder Menge Helferlein ausstatten, um nicht permanent gegen unsere eigenen Bedürfnisse zu arbeiten. So kann ein Tragetuch hilfreich sein, wenn euer Baby non-stop getragen werden will. Co-Sleeping im Beistellbett gibt dem Baby auch nachts die Nähe, die es braucht, schenkt auch aber vielleicht die drei Extraminuten Schlaf.
Wer sich näher mit Erziehungsstilen beschäftigen will: Wir haben uns die acht bedeutendsten Ansätze angeschaut:
Wir alle brauchen Rückmeldung
Babys lernen erst, sich in unserer Welt zurecht zufinden und brauchen deswegen die Rückversicherung von uns Erwachsenen: Ich bin da, ich kümmere mich um dich, du bist nicht allein. Deswegen könnt ihr mit einem Neugeborenen auch wirklich nichts diskutieren, deren Bedürfnisse müssen an Ort und Stelle befriedigt werden. Bei Babys bis ungefähr zum sechsten Lebensmonat werdet ihr also in der Praxis eure Bedürfnisse immer hinter die eures Kindes zurückstellen.
Was bedeutet bedürfnisorientierte Erziehung?
Bei der bedürfnisorientierten Erziehung, auch Attachment Parenting genannt, geht es darum, die Signale von Kindern wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.
In Zeiten von Tragetuch, Familienbett und Co. voll im Trend, stammt der Erziehungsstil des Attachment Parenting eigentlich aus den Achtziger Jahren, vom amerikanischen Kinderarzt William Sears. Sein Credo: Möglichst viel Körperkontakt, möglichst lange stillen, immer sofort aufs Baby reagieren - eben stets bedürfnisorientiert und bemüht handeln.
Übrigens auch wenn es sich so liest, bedürfnisorientierte Erziehung endet nicht wenn das Baby ein Jahr alt ist. Bindung ist ein Lebensthema, wie Nora Imlau mal in einem Interview zu uns sagte.
Wie klappt bedürfnisorientierte Erziehung?
Aber wie reagiert man denn nun richtig? All die Hinweise können verunsichern, denn wir Eltern wollen ja eigentlich nichts falsch machen. Deswegen gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Ratgebern, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Wir stellen hier eine kleine Auswahl zu ganz unterschiedlichen Themen vor. Denn natürlich könnt ihr euch erstmal mit den Grundlagen beschäftigen, oder aber gleich das Buch zum dem Thema in die Hand nehmen, wo bei euch der Schuh drückt.
Büchertipps
Bedürfnisorientierte Erziehung: richtig oder falsch?
Mit richtig und falsch ist es in puncto Kindererziehung nicht immer ganz so einfach. Wir alle wissen, Gewalt geht gar nicht und halten uns daran. Aber dem Kind Grenzen setzen, mal laut werden oder sogar schimpfen – ist uns allen schon passiert, oder?
Was bedürfnisorientierte Erziehung nicht ist
Ihr müsst auch keine glühenden Fans von Tragetüchern oder Familienbetten sein, um eure Kinder bedürfnisorientiert zu erziehen. Es gibt keine Checkliste, die ihr abarbeiten sollt, um besonders bedürfnisorientiert zu sein.
Wenn eure Kinder am liebsten im eigenen Bett schlafen und lieber weniger Nähe haben, dann ist das vollkommen ok. Wichtig ist, auf euer Bauchgefühl zu hören, auf die Bedürfnisse eurer Kinder einzugehen und klar zu kommunizieren.
Wann muss ich etwas ändern?
Wichtig ist, dann zu handeln, wenn es für ein Familienmitglied im aktuellen Kontext nicht mehr passt. Das könnt ihr sein, oder das Kind. Akzeptiert eure Grenzen und geht nicht immer wieder darüber hinaus.
Schlafprobleme und Schreibabys
Und ja, das sage ich als Mutter von drei Schreibabys, die die Bedürfnisse der Kinder immer über die eigenen gestellt hat. Weil die Situation es so erforderte. Aber dann gibt es im Kleinen immernoch jede Menge Stellschrauben, an denen ihr drehen könnt, um nicht vollkommen auf der Strecke zu bleiben. Mehr darüber lest ihr in meinem Buch "Wie du dein Schreibaby beruhigst".
Klar sollte sein: Schlaflernprogramme oder Methoden wie Schreien lassen sind keine Option. Wer hingegen auf die Signale seines Babys und auf seine Intuition vertraut, der hat das Konzept schon ganz gut verstanden.
Welche Bedürfnisse bei bedürfnisorientierter Erziehung?
Bei der Bedürfnisorientierten Erziehung geht es um die Erfüllung von Grundbebedürfnissen. Das sind Sicherheit / Nähe, Nahrung und Zuwendung. Ausdrücklich nicht dazu zählen das neuste Plastikspielzeug oder das 20. Buch.
Natürlich wird eure Absage an solche Dinge eure Kinder frustieren. Und das solltest ihr zugewandt und liebevoll begleiten. Denn auch wenn es sich nicht so anfühlt, ihr helft euren Kindern auch auf diese Weise dabei, eine Frustationstoleranz zu entwickeln.
Frustrationstoleranz lernen
Nicht, dass wir uns da falsch verstehen, natürlich sollt ihr eure Kinder nicht mit Absicht frustrieren. Aber es wird immer wieder Situationen geben, in denen es eben nicht so läuft, wie euer Nachwuchs sich das erhofft. Ist bei uns Erwachsenen ja ähnlich. Und Kinder müssen lernen, damit umzugehen.
Das beginnt im Kleinen schon im Babyalter, wenn ihr beispielsweise eurem Kind mit netten Worten erklärt, dass ihr noch rasch die Butter in den Kühlschrank räumt, und es erst dann in den Arm nehmen könnt.
Bedürfnisorientierte Erziehung: So kann sie gelingen
Attachment Parenting kommt von der englischen Vokabel „attach“ (anhängen, anhaften) und tatsächlich sieht man in der Praxis, wie sich daran die Geister scheiden. Manche Eltern richten ihr Leben komplett nach den Bedürfnissen der Kinder aus und zelebrieren diese Form Selbstaufgabe. Andere verweisen auf die Bedürfnisse aller Familienmitglieder und versuchen den Blick aufs Ganze zu haben.
Beides sind Formen von bedürfnisorientierter Erziehung. Wir empfehlen, zum Wohle aller, die Variante, bei der alle in den Blick genommen werden, auch, um gerade dem Mütter-Burnout vorzubeugen. Am Ende gilt aber: Jede Familie findet ihren eigenen Weg, auch wenn sich einiges ändert.
Meine Meinung
Tatsächlich habe ich mich nie groß damit beschäftigt, welchen Erziehungsstil ich denn da eigentlich mit meinen Kindern fahre. Das meiste kommt einfach aus dem Bauch heraus. Während der Schreibabyzeit meiner Kinder, die teilweise das ganze erste Lebensjahr dauerte, war nur im Kleinen Platz dafür, auf meine eigenen Bedürfnisse zu achten.
Und auch heute klappt das nicht immer so ausgewogen, wie es im besten Falle sein sollte. Aber an sich denke ich, dass ich mich der bedürfnisorientierten Erziehung schon recht nahe fühle. Das bedeutet bei uns auch, erstmal jedes Bedürfnis anzuhören. Und ja, wir diskutieren dann auch viel über unterschiedliche Gefühle, Ansichten und Wünsche.
Wohin das führt? Zu drei sehr aufgeweckten Kindern, die viele Fragen stellen, einem eher lauten Familienalltag und in der langfristigen Perspektive hoffentlich zu Erwachsenen, die für sich und andere einstehen und klar kommunizieren können, was sie brauchen.
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