Da Medien und Werbung keine realistischen Körperbilder vermitteln, schämen sich viele Menschen für ihren Körper. Wieso das gefährlich ist und wie du dich und dein Kind vor Bodyshaming schützen kannst.
Deine Tochter wacht auf. Erster Blick: Instagram. Erst mal schauen, was Freunde aber auch die beliebtesten Influencer wieder schönes geteilt haben. Überall schlanke Körper, teure Klamotten, strahlende Gesichter. Pickel, Wachstumsstreifen, Speckröllchen, trockene Haare? Nicht hier. Sie geht aus dem Haus, auf dem Weg zur Schule schauen wunderschöne, “perfekte” Menschen mit geraden, strahlend weißen Zähnen, glatter Haut und keinem Gramm zu viel auf sie herab. Am Kiosk wird noch schnell das neue Frauenmagazin gekauft, auch hier makellose Menschen wohin man sieht. Am Abend wird nochmal kurz durch das TV-Programm gezappt, zu sehen sind junge Mädchen, die Models werden wollen, Menschen beim Umgestyling oder welche, die ihren Kilos den Kampf ansagen. Vor dem Schlafen steht deine Tochter vor dem Spiegel. Der Bauch wölbt sich, die Brüste sehen irgendwie unförmig aus, gar nicht so prall und rund wie auf den Bildern aus der Werbung. Auf der Stirn leuchten rote Pickel, die Nase ist im Vergleich zu den Werbefrauen irgendwie ganz schön lang. Sie fühlt sich schlecht, hat das Gefühl, nicht auszureichen.
Deinem Sohn ergeht es nicht anders. Seine männlichen Vorbilder sind breit gebaut, muskulös, haben makellose Haut, perfekt frisierte Haare und kein Gramm sitzt an der falschen Stelle. Sie blicken ihn ebenfalls von Werbefotos, aus dem Fernseher oder Instagram entgegen. Auch er steht abends am Spiegel, blickt an sich runter, sieht seine schmalen Beine oder seinen pummeligen Bauch und schämt sich.
Auch als Mutter oder Vater kommen dir diese Momente vielleicht bekannt vor. Schließlich ist das Netz voll von Stars und anderen Influencern, die ihren After-Baby-Body oder hart antrainierte Muskeln zeigen. Die Promi-Muttis präsentieren ihren Körper schon wenige Wochen nach der Geburt und sehen wieder trainiert und schlank aus, als hätten sie statt der Schwangerschaft eine Wellness-Kur durchlebt. Und die Männer tragen stolz ihr Sixpack vor sich her, während sie dabei Bier trinken und lachen als gäbe es keine Sorgen.
Ein Gefühl, das viele kennen
Für dieses Phänomen gibt es einen eigenen Begriff: Bodyshaming. Wenn der Druck durch die Gesellschaft, durch Medien und Werbeindustrie groß wird, fangen viele Menschen an, an sich und dem eigenen Körper zu zweifeln: Wieso sieht mein Körper nicht so schön aus? Genügt mein Körper nicht? Was mache ich falsch? Viele versinken in Scham, trauen sich nicht mehr ihren Körper zu zeigen, ungeschminkt aus dem Haus zu gehen oder sich gar selbst nackt im Spiegel zu betrachten.
Bodyshaming ist die Abwertung von Körpern. Wie die Definition schon zeigt, steckt hier das Wort “Wert” drin. Der Wert eines Menschen wird über den Körper gemessen, wie schlank, wie straff, wie makellos er ist. Kinder und Jugendliche erfahren das vor allem durch Mobbing, durch abwertendes Kommentieren und Beleidigen. Wer nicht den vorherrschenden Körperbildern entspricht, wird ausgeschlossen.
Der Film “Embrace”, der sich mit Bodyshaming beschäftigt, veröffentlichte mithilfe von Studien der World Health Organisation u. a. Zahlen, die zeigen, wie ernst es um die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper steht:
- Jedes zweite 15-jährige Mädchen und jeder dritte Junge fühlt sich zu dick, obwohl eigentlich gar kein Übergewicht vorliegt.
- Nur 38 % der 15-jährigen Mädchen und 48 % der Jungen sind mit ihrem Körper zufrieden. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf dem letzten Platz, was die Körperzufriedenheit angeht.
- Jedes dritte Mädchen ab 13 Jahren kontrolliert regelmäßig ihr Gewicht.
- 87 % der weiblichen Darstellerinnen zwischen 10 und 17 Jahren in Kinder- Fernsehsendungen oder -Filmen sind unterhalb des Durchschnittsgewichts.
Das sind nur ein paar Zahlen von vielen. Nicht nur Kinder und Jugendliche sind vom Bodyshaming betroffen – es zieht sich bis ins hohe Alter. Wann sieht man in der Werbung oder im Fernsehen denn mal Menschen, die natürlich gealtert sind und ihre Falten und Pigmentflecken zeigen? Eher selten. Dazu hält die Werbung uns ständig vor, dass wir mit Cremes, Tabletten und Shape-Unterwäsche schlanker, straffer und somit schöner aussehen können. Wer fängt da nicht an, an sich zu zweifeln?
In jungen Jahren ist das aber vor allen Dingen ein Problem: Laut Studien gehören Essstörungen zu den häufigsten chronischen Gesundheitsproblemen bei Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren. Bei einem Fünftel der Jugendlichen finden sich Hinweise auf ein gestörtes Essverhalten. Darunter bei Mädchen fast doppelt so häufig wie bei Jungs. Deshalb ist es wichtig, dein Kind im Kampf gegen Bodyshaming zu unterstützen und ihm beizubringen, seinen Körper zu lieben.
5 Tipps gegen Bodyshaming: So helfen Eltern ihren Kindern
- Die Leistung des Körpers wertschätzen: Viele Menschen sehen in ihrem Körper einfach nur ihr “Äußeres”, ihr Erscheinungsbild. Es geht darum schlank zu sein und ihn zu perfektionieren. Mach deinem Kind klar, dass der Körper so viel mehr ist und was er alles jeden Tag für uns leistet. Beine müssen nicht schlank und straff sein, sie machen es uns vielmehr möglich, zu stehen, zu laufen, überall hinzukommen. Und dank der Nase können wir die vielen tollen Gerüche wahrnehmen, da ist es doch egal, wie groß oder knubbelig sie ist.
- Vorbild sein: Die wahrscheinlich schwerste Aufgabe – sei ein Vorbild für dein Kind. Wenn es von klein auf mitbekommt, wie du mit deinem Körper haderst, so wird es vermutlich irgendwann das gleiche tun. Versuche, deinen Körper so zu akzeptieren wie er ist und gib diesen wertvollen Gedanken an dein Kind weiter. Unsere Lebenszeit ist viel zu kostbar, um sich selbst so viel Stress zu machen, in die Körperbilder der Mode- und Werbeindustrie reinzupassen.
- Komplimente machen: Hast du deinem Kind heute eigentlich schon mal gesagt, was du an ihm schön findest? Gerade in der Pubertät benötigen Jugendliche auf der Suche nach der eigenen Identität viel Bestätigung und Ermutigung. Auch ein offenes Gespräch ist sinnvoll. Sprecht darüber, was ihr an euch mögt und was nicht.
- Über TV Serien wie “Germanys Next Topmodel” reden: Fernsehshows wie „Germanys Next Topmodel“ beeinflussen das Körperbild von Jugendlichen. So können Castingshows die Anfälligkeit für Magersucht oder Bulimie verstärken, befürchtet die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie. Deshalb solltest du mit deinem Kind das Gespräch suchen oder am besten gemeinsam schauen. Mach deinem Kind deutlich, dass die Maße der Models für die Werbeindustrie optimiert sind und nichts mit normalen Körpern zutun haben. Auch wenn die Sendung es vermittelt, muss niemand diesen Idealen entsprechen.
- Durchschaut die Tricks der Werbeindustrie: Dein Kind fragt sich, wieso es nicht so perfekt aussieht, wie die Models in Modemagazinen? Schaut euch gemeinsam Videos an, in denen die Tricks der Modebranche aufgedeckt werden. Wenn ihr bei YouTube z. B. “photoshopping real woman into cover model” eingebt, bekommt ihr eine Menge Videos angezeigt, in denen gezeigt wird, wie aus normalen Frauen via Photoshop makellose Models werden. Ein Beispiel findest du hier:
Schlussendlich solltest du deinem Kind das beibringen, was sich Body Positivity (also Positivität dem Körper gegenüber) nennt. Body Positivity bedeutet, dass keine Verbindung zwischen dem Wert eines Menschen und seinem Körper besteht. So lange dem Aussehen in unserer Gesellschaft ein hoher Wert beigemessen wird, wird es jedoch Bodyshaming geben. Doch je mehr Selbstwertgefühl dein Kind hat, desto weniger ist es darauf angewiesen, seinen Wert von anderen messen zu lassen. Das sollte das Ziel (auch für dich) sein: Es ist egal, was andere von dir halten. Es ist nur wichtig, dass du mit dir zufrieden bist.
Weitere tolle Tipps, wie du dein Kind über Bodyshaming aufklären kannst, findest du hier.
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