Mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu leben, kann eine echte Herausforderung sein. Wir alle wissen: Mit Kindern kommen die eigenen Bedürfnisse oft zu kurz. Trifft chronische Erkrankung auf turbulenten Familienalltag, findet Selbstfürsorge kaum noch statt. Coach Gracia Foddis von REDEZEIT hat Tipps für dich, wie du trotzdem gut für dich sorgen kannst.
Über Gracia Foddis
Gracia Foddis ist ganzheitlich systemische Coachin und Mutter von zwei Kindern. Seit ihrer Jugend lebt sie mit einer schmerzhaften chronischen Rückenerkrankung, die seit jeher ihr Leben mitbestimmt.
Mehr Leichtigkeit im Leben mit einer Erkrankung möchte Gracia auch anderen Menschen ermöglichen und unterstützt deswegen Menschen dabei, einen anderen Umgang mit Stress, Schmerz und ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu finden. Außerdem bietet Gracia bei REDEZEIT Eltern kostenlose Unterstützung an.
Gesundheitliche Beeinträchtigung im Familienalltag
Du lebst mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung und hast Kinder? Dann kennst du das sicher: Deine eigenen Bedürfnisse kommen im turbulenten Familienleben häufig viel zu kurz. Die Kinder brauchen deine Aufmerksamkeit, deine sozialen Kontakte wollen gepflegt werden und die Partnerschaft ebenso. Dann hast du noch einen Job und natürlich will der Haushalt bewältigt sein.
Als würde das nicht reichen, drängt auch dein Körper ganz besonders nach Aufmerksamkeit. Vielleicht schmerzt er und braucht Behandlung. Möglicherweise ermüdest du schneller als andere oder tendierst zu Schmerzen. Noch mehr, wenn du Stress hast. Mal ehrlich: Kennst du diesen Drang, es den anderen zu beweisen, dass du genauso leistungsfähig bist wie sie? Ganz egal wie sehr dein Körper danach schreit, dass du besser für seine gesundheitlichen Bedürfnisse sorgst?
Wie lange lebst du schon mit der Erkrankung?
Einmal ehrlich: Wie lange versuchst du schon, deine Erkrankung / deinen Schmerz zu verdrängen? Und ist es dir gelungen? Dein Körper gibt einfach keine Ruhe. Vielleicht ahnst du, dass es so nicht weitergeht. Mein Rat an dich: Raus aus der Verdrängung und rein in die Konfrontation. Mit dem Ziel, dass es endlich leichter wird!
Es ist ein Wagnis, einmal all deine inneren Widerstände aufzugeben und in dich hineinzuhören: Was will dir dein Körper sagen? Was braucht er von dir? Und zugleich ist es eine Chance – auf ein besseres Jetzt, für dich und für deine Familie.
Für uns Menschen mit chronischer Erkrankung ist es also besonders wichtig, unsere Bedürfnisse wichtig zu nehmen. Und damit meine ich, ihnen echte Priorität einzuräumen. Damit wir bei Kräften bleiben und unseren Alltag gut stemmen können. Damit wir unsere Kinder liebevoll und achtsam begleiten können. Und einem weiteren Menschen mit liebevoller Aufmerksamkeit begegnen: uns selbst.
Zwanzig Minuten nur für dich - so atmest du auf
Daher möchte ich dich jetzt auf eine zwanzigminütige Reise einladen… Erfahre, wie du deine Bedürfnisse besser wahrnehmen und für sie einstehen kannst. Und lerne, wie du im Alltag liebevoller mit dir selbst umgehen kannst.
Schritt 1: Vorbereitung: Zur Ruhe kommen
Sorge dafür, dass du dich ungestört zurückziehen kannst, vielleicht wenn deine Familie im Bett ist. Stelle dein Handy auf lautlos, nimm dir etwas zu Schreiben mit und vielleicht ein Getränk, wenn du das möchtest. Lass dich ein auf drei einfache Schritte:
- Hinhören
- Annehmen
- Ausrichten
Im ersten Moment geht es darum, einfach einmal kurz zur Ruhe zu kommen und zu spüren: Was ist da jetzt gerade? Gedanken, Gefühle. Vielleicht ja schmerzliche. Wünsche, unerfüllte Sehnsüchte. Unruhe. Das alles darf jetzt einmal da sein, lass es aufkommen und wieder vorbeiziehen. Beobachte.
Schritt 2: Hinhören: Was will dir dein Körper sagen?
Nimm zwei, drei tiefe Atemzüge und spüre hinein in deinen Körper. Wie fühlt er sich gerade an? Ist er vielleicht an einer Stelle verspannt oder ist er müde? Vielleicht ist es eine Körperregion, ein erkranktes Organ, das jetzt auf sich aufmerksam machen will. Spüre hinein und stelle deinem Körper die Frage: Was brauchst du von mir? Wie kann ich dir dienen? Lausche in dich, wie du gut für dich sorgen kannst.
Vielleicht tauchen Sätze auf wie: "Ich brauche eine Wärmflasche, einen wohltuenden Tee, eine Massage." Wenn es einfach umzusetzende Dinge sind, nimm sie dir fest vor. Für jetzt gleich, heute Abend oder morgen. Möglicherweise zeigen sich an der Stelle auch ganz andere Bedürfnisse wie: "Ich brauche mehr Rückzug für mich, doch dafür gibt es keinen Raum." Oder: "Er/sie hört mir nicht zu und das macht mich traurig".
Schritt 3: Annehmen: Schmerzhaften Gefühlen durch Selbstmitgefühl begegnen
Schmerzhafte Gedanken und Gefühle können wir nur schwer ertragen. Oft verschließen wir uns, wenn wir derartiges fühlen. Wir lenken uns direkt ab mit dem Smartphone, Netflix oder anderen Dingen. Möchtest du heute einmal einen anderen Weg gehen?
Dann setz dich gern noch mal entspannt hin und schließe die Augen, wenn du magst. Versuche, an dieser Stelle einmal das schmerzhafte Gefühl da sein zu lassen, auch wenn es unangenehm ist. Wo im Körper spürst du es? Wie genau fühlt es sich an? Nun versuche sanft und mitfühlend mit dir selbst umzugehen.
Sag dir: Das ist jetzt ein schmerzvoller Moment. Leiden gehört zum Leben dazu. Ich bin für mich da und schenke mir in diesem Moment das Mitgefühl, das ich brauche. Vielleicht stellst du dir vor, dass du dir selbst über den Kopf streichst, so wie du ein weinendes Kind trösten würdest. Sprich zu dir selbst: Lindern, besänftigen, zulassen. Und konzentriere dich ganz darauf, liebevoll für dich selbst da zu sein.
Freundliche Aufmerksamkeit mit dir selbst
Wiederhole diese Worte gerne ein paar Mal und schenke dir freundliche Aufmerksamkeit. Wenn du dich dazu bereit fühlst, beweg Hände und Füße ein wenig, öffne die Augen und komm in deinem Tempo wieder im Raum an. Nun spüre in dich hinein. Vielleicht hat sich das Gefühl schon etwas verändert. Vielleicht konnte etwas Spannung weichen, mehr Leichtigkeit in den Körper einziehen.
Schritt 4: Ausrichten: Veränderung für mehr Zufriedenheit im Alltag
Wie war die Erfahrung, dir selbst einmal die volle Aufmerksamkeit zu schenken und freundlich mit dir zu sein? Es ist doch etwas ganz anderes, als sich selbst innerlich abzustrafen, weil man dieses oder jenes nicht fühlen sollte, nicht wahr?
Möglicherweise hat du heute gespürt, dass dich ein Thema schon lange drückt und jetzt möchtest du es proaktiv angehen. Notiere es dir. Überlege dir, mit wem du darüber sprechen kannst. Schenke deinem Thema Priorität, auch wenn dein Familienalltag voll ist. Plane dir ein Zeitfenster dafür ein, dich näher damit auseinanderzusetzen. Du hast das verdient.
Eltern, die gut für sich sorgen, sind zufriedenere Eltern
Waren diese zwanzig Minuten, in denen einfach mal du selbst und deine Bedürfnisse an erster Stelle standen, wohltuend? Dann gönn dir mehr davon. Schau doch mal in den Kalender. Welcher Wochentag bietet dir die Gelegenheit, dich einmal rauszunehmen und nur dir selbst zu widmen? Zwanzig Minuten liebevolle Aufmerksamkeit – einzig und allein für dich. Du hast den Eindruck, dass es enorm schwer ist, diese Zeit zu finden? Ich kann dich nur ermutigen, da für dich einzustehen.
Vielleicht kannst du Freunde, Familie oder die Nachbarn um Unterstützung bitten, dass sie sich in der Zeit um die Kinder kümmern. Vielleicht stehst du einmal in der Woche früher auf. Oder nutzt einmal die Woche den verbleibenden Abend für dich, wenn die Kinder schlafen.
Ich selbst gehe zwei bis drei Mal die Woche mit dieser Methode in mich. Tatsächlich haben diese kleinen Einheiten der Fühlungnahme mit mir selbst schon große Veränderungen mit sich gebracht.
Wie hast du heute deine Zeit verbracht?
Apropos Gewinn: Wie wäre es mit einer neuen Definition von Erfolg? Stell dir vor: Was du am Ende eines Tages alles geleistet hast, steht nur an zweiter Stelle. Im Vordergrund steht die Frage: Wie hast du heute deine Zeit verbracht? Wie bist du mit dir selbst und deinen Mitmenschen umgegangen?
Du wünschst dir weitere Tipps, wie du (mehr) Zeit für dich in deinen Familienalltag integrieren kannst oder hast Sorgen oder Fragen? Du kannst dich jederzeit gern an REDEZEIT FÜR FAMILIEN wenden. Hier stehen dir Coaches für ein kostenloses Gespräch zur Verfügung.
Vielleicht wisst ihr gar nicht, dass ihr chronisch krank seid? Unser Video könnte erste Hinweise liefern:
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Foto Autorin: Vivian Botelho