Eine Mutter, die ihr Kind nicht liebt, das hört sich für uns falsch an. Doch fehlende Mutterliebe ist vielmehr ein Warnsignal des Körpers. Wir sind mit den Beraterinnen Ulrike Wecker und Susanne Großkopf von der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. auf Ursachenforschung gegangen.
Es war ihr absolutes Wunschkind. Die Schwangerschaft verlief problemlos. Ihre Geburt war so, wie sie es sich immer vorgestellt hatte: zu Hause, in der eigenen Badewanne. So war es viel ruhiger, intimer. Dann war das Baby da. Es war gesund und wunderhübsch. Aber sie empfand nichts. Sie fühlte. Sie fühlte sogar viel. Aber sie fühlte in diesem Moment keine Liebe für ihr eigenes Kind. Ulrike Wecker erzählt von einer ihrer Klientinnen. Wecker arbeitet für die Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V. in München und betreut Frauen in psychischen Krisen während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Geschichten wie diese seien kein Einzelfall, davon könne sie viele erzählen, erklärt Wecker.
Die Mutterliebe gilt als die stärkste, als die reinste Liebe von allen. Und wir erwarten, dass sie wie ein Zauber über uns herabkommt, sobald wir das Baby zum ersten Mal in den Händen halten. Sie ist einfach da, ohne dass wir dafür etwas tun müssen. Das zumindest ist die romantische Vorstellung. Stellen sich diese Gefühle aber nicht automatisch ein, so sind wir über die Maßen verunsichert. Was stimmt mit mir nicht? „Den meisten hilft schon sehr, wenn wir Verständnis zeigen. Wenn wir ihnen erklären können, woher ihre Gefühle kommen“, sagt die Pädagogin Susanne Großkopf. Auch sie arbeitet bei Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V und betreut als Pädagogin vorwiegend Familien. Großkopf und Wecker arbeiten Tür an Tür und eng zusammen.
Fehlende Mutterliebe: Wie kann das passieren?
Mütter, die ihre Kinder nicht lieben. Das klingt für uns falsch, ja vielleicht sogar grausam. Angeregt durch jene Schlagzeilen von Müttern, die ihre Kinder misshandeln oder sogar töten, kreieren wir uns ein Bild von solchen Frauen. Doch die Beraterinnen warnen davor, diese Vergleiche zu ziehen. Solche Fälle sind traurige Extrembeispiele. „Meistens leiden diese Frauen unter ernsthaften Persönlichkeitsstörungen oder anderen psychischen Krankheiten“, erklärt Wecker und unterstreicht mit imaginärem Rotstift noch einmal, dass das seltene Ausnahmen sind. Keine der Frauen, die zu ihr kommt, wäre dazu in der Lage.
Im Gegenteil: Wecker und Großkopf betonen mit Nachdruck, dass Frauen, die bei ihnen Hilfe suchen, keine schlechten Mütter sind. Sie erleben ihre Patientinnen meist als sehr fürsorglich und durchaus zur Liebe fähig. Doch noch mehr spüren sie, wie verletzlich, überfordert und regelrecht verzweifelt die Frauen sind. Sie fühlen sich schuldig, als Mutter und Frau versagt zu haben, gehen dabei hart mit sich selbst ins Gericht. Und diese Last alleine zu schultern, kann einen in die Knie zwingen. Dieser Druck müsse weg, sagt Großkopf. „Es ist nicht so, dass da gar keine Liebe ist. Nur haben die Mütter Probleme diese zu empfinden, weil ihre momentane Gefühlslage das nicht zulässt. Das innere Alarmsystem schreit so laut, dass es alles andere übertönt“, so die Pädagogin weiter.
Geraten wir an unsere psychischen und physischen Grenzen, schaltet unser Körper auf den Überlebensmodus. Jetzt zähle nur ich. Die Tatsache, dass es da ein hilfloses Baby gibt, ändert an diesem Selbsterhaltungstrieb nichts. Die Gründe für dieses seelische Not-Aus können dabei sehr verschieden sein und weit in die eigene Kindheit reichen. Bei manchen Frauen ist das Geburtserlebnis selbst der Auslöser. Wenn z. B. die Geburt als nicht selbstbestimmt erlebt wird und sie keine emotionale Unterstützung erföhrt, kann es passieren, dass sich werdende Mütter während der Entbindung gefühlsmäßig von dem distanzieren, was da gerade vor sich geht – quasi als eine Art Überlebensstrategie. Das kann dann allerdings auch das Bonding negativ beeinflussen und die Mutter-Kind-Beziehung nachhaltig belasten.
Ähnliches gilt für Mütter, die erleben mussten, wie ihre Kinder, kaum auf der Welt, schon um ihr Überleben kämpfen mussten. Auch hier ist die Abkehr von den eigenen Gefühlen eine Art Selbstschutz. Wieder andere Frauen zerbrechen an ihren eigenen Erwartungen, die vollkommene Mutter sein zu wollen, die alles im Griff hat. Die Enttäuschung über sein vermeindliches Versagen gepaart mit völliger Erschöpfung, können Menschen an die Grenzen des Ertragbaren bringen. Der schreiende Wonneproppen ist dann nur ein zusätzlicher Stressfaktor, von dem es sich fernzuhalten gilt. Dass daraus eine gewisse Gefühlsarmut entsteht, ist die Konsequenz.
Mutterliebe beginnt bei sich selbst
Doch gerade das verursacht einen emotionalen Zwiespalt. Dem Überlebensdrang zu folgen, fühlt sich richtig aber doch so falsch an. Großkopf: „Wir versuchen den Frauen zu vermitteln, dass es in Ordnung und auch wichtig ist, sich um sich selbst zu kümmern, auch wenn man ein kleines Baby hat.“ Dazu gehöre es auch, zu akzeptieren, nicht alles alleine schaffen zu müssen. „Wir setzen uns selbst permanent unter Druck, weil wir diese wahnsinnig tolle Mutter sein wollen, die auch sexy Partnerin, gute Hausfrau und Karrierefrau ist – was für eine Überforderung!“, betont Großkopf „dabei bin ich davon überzeugt, 'um ein Kind zu erziehen braucht es ein ganzes Dorf' - was früher ja sogar irgendwie zutreffend war.“ Hilfe anzunehmen hat also absolut nichts mit Versagen zu tun. Auch wenn wir uns das gerne einreden. Hilfe anzunehmen heißt vielmehr, Verantwortung für seine Familie zu übernehmen. Und vor allem heißt es, wieder Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Denn Mutterliebe beginnt bei sich selbst.
„Der erste Schritt ist, mit sich selbst wieder in Einklang zu kommen. Und erst wenn ich mit mir selbst in Kontakt bin, dann kann ich meinem Kind wieder Sicherheit geben und in ein Rebonding übergehen“, fasst Großkopf die Ziele der Therapie zusammen. Jetzt sind der Partner, Familie, Freunde oder auch Nachbarn gefragt. Schon Kleinigkeiten können helfen. Ein frisch gekochtes Mittagessen, Einkäufe erledigen oder sich um die Wäsche kümmern, jede Entlastung tut gut. Dabei gilt: Je eher Sie sich Hilfe suchen, desto besser. Eine postpartale Depression ist ein eindeutiges Warnzeichen, dass sie auf keinen Fall überhören sollten. Aber soweit muss es natürlich nicht immer kommen.
Das Wochenbett richtig genießen
Wir halten Mutterliebe für naturgegeben. Das mag zum Teil stimmen. Es gibt diesen unglaublichen Hormoncocktail der Natur, der uns dabei helfen soll, unsere Kinder zu lieben. Doch das heißt nicht, dass wir uns automatisch auch in dieser neuen Rolle als Mutter wiederfinden. Das müssen wir tatsächlich erst lernen. Bei den meisten Frauen mag das recht schnell klappen, andere haben sich auf dem Weg dorthin ein wenig verloren. Sie brauchen (Nach-)Hilfe, um wieder auf Kurs zu kommen. Wecker und Großkopf raten daher dazu, das Wochenbett wirklich für sich zu nutzen, um sich die Zeit zu geben in die Rolle als Mutter bzw. als Eltern hineinzuwachsen - ganz ohne Erwartungsdruck.
Hier bekommen Betroffene Hilfe:
• Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V.: Unabhängige Anlaufstelle für alle Belange rund um die Themen Eltern werden und Eltern sein.
• Schatten und Licht e.V.: Infos & Hilfe bei postpartaler Depression mit Betroffenen- u. Angehörigen-Forum zum persönlichen Austausch.
• wellcome - für das Abenteuer Familie: Bundesweit agierendes ehrenamtliches Sozialunternehmen mit dem Schwerpunkt „Praktische Hilfe nach der Geburt“.
• Emotionelle Erste Hilfe (EEH): Programm zur emotionalen Unterstützung von Schwangeren und werdenden Eltern.
• Nationales Zentrum Frühe Hilfen (nzfh): Träger des NZFH ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut e.V..
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