Was für viele Menschen die schönste Nebensache der Welt ist, löst bei manchen großes Unbehagen aus. Das kann viele verschiedene Ursachen haben. Sexualtherapeutin Elfi Meyer zu Broxten hilft uns, die Angst vor Sex besser zu verstehen.
Nähe, Lust, Spaß, überwältigende Empfindungen – solche Assoziationen sind wohl die geläufigsten, wenn es um das Thema Sex geht. Von Angst, Scham und Unsicherheit hört man in diesem Bezug eher selten etwas. Dabei kommen diese Gefühle viel häufiger vor, als wir meinen. Eine 2019 veröffentlichte amerikanische Studie unter 14- bis 60-Jährigen besagt, dass 23,9 % der befragten erwachsenen Frauen, 10,3 % der erwachsenen Männer, 12,5 % der jugendlichen Frauen und 3,8 % der jugendlichen Männer schon einmal Angst vor Sex hatte. Höchste Zeit, darüber zu sprechen. Wir haben Paar- und Sexualtherapeutin Elfi Meyer zu Broxten zu Rate gezogen.
Warum haben Menschen Angst vor Sex?
Dass Menschen Angst vor Geschlechtsverkehr haben, kann laut Elfi Meyer zu Broxten viele verschiedene Ursachen haben. Neben der Sorge, sich mit einer Krankheit anzustecken oder ungewollt schwanger zu werden, hindere viele Menschen vor allem Unsicherheit bezüglich ihrer Attraktivität daran, ihre Sexualität zu genießen: „Wir schämen uns, möglicherweise ekeln wir uns auch, beispielsweise vor Körperflüssigkeiten. Mit den Jahren auftretende körperliche und hormonelle Veränderungen veranlassen uns auch dazu, dass wir uns nicht mehr so wohl in unserer Haut fühlen", erklärt die Psychologin.
Aber auch sexuelle Funktionsstörungen können ein Auslöser sein: „Vaginismus oder Erektionsstörungen können es uns unmöglich machen, uns unseren Partner vertrauens- und lustvoll zu nähern." Junge Menschen hingegen plage vor allem die Angst vor dem ersten Mal. Ganz vorne stehen dabei laut Meyer zu Broxten die Sorge vor dem Versagen, aber auch vor Schmerzen.
Angst vor Sex: Unterschiede zwischen den Geschlechtern
Männer plagen im Bett andere Sorgen als Frauen: „Unter Männern ist die Angst vor dem Versagen, beispielsweise, eine Erektion nicht halten zu können bzw. ihre Partnerin nicht zum Orgasmus führen zu können, weit verbreitet", erklärt die 47-Jährige. Die Angst vor dem Versagen blockiere die Lust, im schlimmsten Fall gehe dann nichts mehr in Bett.
Frauen hingegen haben laut der Psychologin oft Angst, körperlich nicht attraktiv genug zu sein oder Schmerzen beim Sex zu haben. In puncto Attraktivität hat sie vor allem Soziale Medien kritisch im Blick: „Einer Beeinflussung gerade hinsichtlich der eigenen Körperwahrnehmung, kann man sich kaum entziehen. Permanent sehen wir uns mit schönen, attraktiven Körpern konfrontiert. Das Schönheitsideal ist unrealistisch, und doch kommen wir nicht umhin, uns damit auseinanderzusetzen. Wenn andere es schaffen, so auszusehen, warum nicht auch wir?", erklärt sie.
Aber auch jederzeit verfügbares pornografisches Material zieht die Bremerin zur Verantwortung: Problematisch werde es, wenn junge Leute sich das in Pornos Gesehene unreflektiert zum Vorbild nehmen und dabei vergessen, dass Schauspieler am Werk sind und die Szenen nichts mit der Realität zu tun haben. „Das verunsichert beide Geschlechter nicht selten bis ins Mark", so Meyer zu Broxten.
Was hilft gegen die Angst vor Sex?
Kommunikation zwischen den Partner*innen sieht Elfi Meyer zu Broxten als wichtigstes Mittel, um gegen die Angst vor Sex vorzugehen. „Sprecht miteinander über Erwartungen und Ängste. Eine Sexualberatung kann hier durchaus helfen, (wieder) miteinander ins Gespräch zu kommen. Und ermutigt euren Partner, nach möglichen Ursachen zu forschen. Liegen medizinische Gründe vor, so lasen sie sich oft gut behandeln. Sexualität ist ein ganz elementares Bindeglied zwischen zwei liebenden Menschen, und es wäre fatal, wenn die so wichtige Intimität in einer Beziehung zu wenig Raum hätte, bloß weil die Angst regiert. Die wichtigste Maxime muss jetzt aber lauten: den Druck rausnehmen", so Meyer zu Broxten.
Im Falle einer negativen Erfahrung, seien kleine Schritte und viel Geduld essenziell. Ohne eine sichere emotionale Bindung zwischen den Partnern sei es schwierig. Ist diese (wieder) hergestellt, können die Betroffenen sich immer wieder den angstauslösenden Situationen oder Gedanken nähern. Das ermögliche sogenannte „korrigierende“ Erfahrungen, nämlich Erfolgserlebnisse, die negative Erfahrungen mit der Zeit überlagern.
Angst vor Sex von klein auf vorbeugen
Damit es gar nicht erst zur Angst kommt, können Eltern ihren Kindern einiges mit auf den Weg geben: „Kinder erkunden sich bereits in der frühkindlichen Phase gern selbst. Die sogenannte Autoerotik unterstützt die Einstellung zum eigenen Körper. Unterstützt Nackt-Phasen eures Kindes. Vermeidet wertende oder moralisierende Bemerkungen gegenüber dem Kind. Seid in eurer Partnerschaft ein gutes Vorbild: Lebt ihm Respekt, Kommunikation und Liebe vor. Seid sensibel für die Bedürfnisse eures Kindes. Wem es schwer fällt, über Sexualität zu sprechen, gibt es immer noch die Möglichkeit, eines der vielen guten Bücher zum Thema zu lesen", rät die Psychologin.
Auf das Jugendalter bezogen rät Elfi Meyer zu Broxten: „Die Jugendlichen sind sehr verunsichert. Gut ist es jetzt, wenn ihr an euren Kind dran bleibt und mit ihm sprecht, auch über Pornografie und über den Umgang mit Medien generell. Sollte euer Kind Fragen haben, beschämt es nicht. Seid taktvoll und einfühlsam. Sprecht mit ihm über Wünsche und Erwartungen, und es spricht auch nichts dagegen, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Auch das wird eurem Kind Sicherheit geben und macht euch viel menschlicher!"
Offen über Angst vor Sex sprechen
In ihren Praxen in Bremen und Venne erlebt Elfi Meyer zu Broxten übrigens oft, dass es für Paare sehr entlastend ist, wenn sie erfahren, dass sie nicht alleine mit ihren Ängsten sind. Dann ist es plötzlich viel weniger schlimm. Deswegen ist es so wichtig, das Thema Sexualität aus der Tabu- und Schmuddelecke herauszuholen. „Jeder kann seinen Teil dazu beitragen und sich von einer ganz natürlichen, verletzlichen und weniger perfekten Seite zeigen", so Meyer zu Broxten. „Humor kann hier Wunder wirken! Glücklicherweise hat sich unsere Gesellschaft hier bereits ein ganzes Stück weiter entwickelt."
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