Noch immer gilt bei ganz kleinen Kindern die Fremdbetreuung als Notlösung. Trotz Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, trotz steigender Mieten und unsicherer Arbeitsverträge. Unsere Kollegin hat ihre beiden Kinder bereits mit einem halben Jahr in die Kita gegeben. Und es nicht bereut. Ihr Erfahrungsbericht.
An der klassischen Rollenverteilung hat sich in den letzten Jahren nicht viel geändert: Wenn Männer Väter werden, arbeiten sie in der Regel Vollzeit weiter, wir Frauen dürfen uns im Spagat üben. Der eine Teil unseres Lebens fällt von nun an unter die Überschrift Kind & Küche, der andere lautet Karriere, meint aber eher "Joberhalt". Zwischen diesen beiden Polen dürfen wir uns verbiegen - in der Hoffnung, dass wir beweglich genug sind, um den Spagat irgendwann formvollendet präsentieren zu können. Ich gestehe: Ich bin noch in der Übungsphase. Mag vielleicht daran liegen, dass ich im Sportunterricht früher nicht mehr als eine vier dafür bekommen habe …
In den Anfängen meiner Spagat-Übungen bestand meine Aufgabe darin, zwei noch sehr kleine Kinder in die Kita zu schicken. Während alle Mamas um mich herum, die Elternzeit um ein Jahr verlängerten und mich fragten: "Warum hast du eigentlich Kinder bekommen, wenn du dich nicht um sie kümmerst?" Ich kannte die unterschiedlichen Meinungen zum Kita-Start bei kleinen Kindern ("Krippe schadet der Mama-Kind-Beziehung" versus "Kitas machen schlau") und bin froh, dass der frühe Kita-Start meiner Kinder keine Frage des Wollens sondern des Müssens war: Ich hatte schlicht und einfach keine andere Wahl. So hab ich einfach mal "gemacht" und nicht nur Gespenster und Gefahren gesehen.
Schneller Wiedereinstieg contra Arbeitslosigkeit
Meine Ausgangslage als ich mit Kind 1 schwanger war: Eine freiberufliche Tätigkeit, bei der klar war: Entweder lege ich nach der Entbindung einen schnellen Re-Start hin und komme nach einer kurzen Babypause wieder zurück. Oder mein Job ist weg. Kind 1 kam also im zarten Alter von zehn Wochen für zehn Stunden wöchentlich zu einer netten Tagesmutter, die außer unserem Sohn noch die eigene Tochter im selben Alter betreute. Nach anfänglichem Bauchgrummeln (schließlich überließ ich mein Baby einem fremden Menschen) war ich überzeugt: Für alle Beteiligten ist das eine Win-Win-Situation. Und unserem kleinen Mann ging es prächtig.
Nach ein paar Wochen bot sich die Chance auf einen der in München heiß begehrten Krippenplätze, den abzulehnen wäre purer Wahnsinn gewesen. Kind 1 wurde also mit sechs Monaten Krippenkind, von 9 bis 14 Uhr täglich. Die Eingewöhnung lief völlig problemlos, unser Sohn war das einzige Baby in der Gruppe und hatte Sonderstatus (= immer ein Vorrecht auf Kuscheln mit der Erzieherin). Unser Urteil auch hier: Alles kein Problem! Mein Kind schaute sich viel bei den Großen ab, liebte "seine Monika" (die Erzieherin) und weinte kein einziges Mal bei der Trennung in der Früh.
Bei Kind 2 drei Jahre später hatte ich meinen Traumjob - allerdings mit befristetem Vertrag. Der wäre ausgelaufen, wenn ich mir ein Jahr Auszeit gegönnt hätte. Dank Firmenkita verkürzte ich mein Jahr Elternzeit auf sechs Monate - und hatte wieder ein sechs Monate altes Krippenkind, von Montag bis Mittwoch, von 9 bis 18 Uhr. Ich bin ehrlich: Ich weiß nicht, wie ich entschieden hätte, wenn ich einen sicheren Job und einen unbefristeten Vertrag gehabt hätte. Und ich gebe zu: Ich hab meine Freundinnen beneidet, die stundenlang kaffeetrinkend in Cafés und auf Spielplätzen rumgehangen sind. Nicht zuletzt, weil die kleine Tochter anders war als der große Sohn: Weniger extrovertiert. Und weniger begeisterungsfähig für High Life jeglicher Art. Was im Kita-Alltag allerdings inklusive ist...
Ich wusste aber die ganze Zeit: Mein Kind ist in der Kita bestens aufgehoben. Und war mir sicher, dass mein introvertiertes Töchterchen hier optimal auf ein Miteinander mit anderen Kindern vorbereitet wird. Besser als ich das zu Hause gekonnt hätte.
Unsere Kita-Bilanz, einige Jahre später, ist rosarot und positiv. Vielleicht aber nur, weil wir unglaubliches Glück mit den Einrichtungen hatten. Ein guter Betreuungsschlüssel und wenig Personalwechsel machten uns das Kita-Leben leicht. Das ist nicht die Regel, wie ich im Bekanntenkreis sehe. Ob ein früher Kita-Start nur positive Seiten hat, wenn die Erzieherinnen permanent am Limit sind, wage ich zu bezweifeln. Wir aber hatten all die Jahre unglaublich nette und engagierte Erzieherinnen. Und meine Kleinen durften so viele Sachen erleben und ausprobieren, die ich ihnen nicht hätte bieten können. Oder hat eine von euch sein Kind schon mal quasi nackt in einem Haufen Mehl baden lassen? Oder es animiert, in der Eisdiele nicht schon wieder Vanille-Eis zu wählen, sondern einfach mal das Eis in seiner Lieblingsfarbe (Schlumpfblau)? Gar nicht zu reden von den vielen Liedern, Fingerspielen und Basteleien sowie dem Essen, Spielen und Toben in Gesellschaft vieler Kinder.
Die Wissenschaft gibt mir Recht
In einer groß angelegte Studie des "National Institute of Child Health and Human Development" (NICHD) in den USA verfolgten Wissenschaftler die Entwicklung von über 1.000 Kindern von der Geburt bis zum 15. Geburtstag. Ihr Fazit: Der Einfluss einer Fremdbetreuung auf die kindliche Entwicklung ist marginal - sofern er sich überhaupt nachweisen lässt.
Ich liebe wissenschaftliche Studien dieser Art! Ihre Ergebnisse beruhigen mein nach wie vor latent schlechtes Gewissen. An den Nachmittagen ist mein Gewissen jedoch absolut rein: Die Freude meine Kinder wiederzusehen ist so groß, dass ich jede gemeinsame Minute aus vollem Herzen genieße. Und unser Gegengewicht zu viel Action in der Kita ist ganz simpel: Die Abende und Kita-freien Nachmittage gehören ganz allein meinen Kindern und mir. Ich achte darauf, dass ich der Fixstern im Universum meines Kindes bleibe.
"Mütter, die arbeiten, sind glücklicher"
Soviel von der "Kinder-Front". Nicht vergessen dürfen wir aber die Frage danach, wie es uns Müttern geht. Wenn wir auch mit Kind arbeiten. Wenn wir ein Stückchen unseres alten Lebens behalten und nicht von heute auf morgen von einem Arbeitstier in ein Mama-Tier chamäleonisieren. Ich für meinen Teil bin froh, dass ich meinen Job habe. Nur Küche & Kind wäre mir zu wenig gewesen. Ich scheine das Spagat-Training zu brauchen. Mein subjektives Empfinden wird von zahlreichen Studien untermauert: Wenn Mütter nach der Geburt schnell wieder ihrem Beruf nachgehen, steigert das die Zufriedenheit. Auch wenn ich zu Schulzeiten in Mathe nicht besser war als beim Spagat, diese Rechnung kann ich nachvollziehen: Ist Mama zufrieden, kann sie das an ihr Kind weitergeben. Ist die Mutter gelangweilt ohne wirkliche Herausforderung und ohne positives Feedback zu viel alleine daheim mit ihrem Kind, tut das beiden nicht gut.
Es ist unrealistisch, sich von morgens bis abends (und nicht selten auch noch nachts…) geduldig um sein Kind zu kümmern und ihm dabei immer wieder neuen Input zu bieten. Wenn ich mir das Leben vieler Vollzeit-Mamas anschaue, dann sehe ich viele, die hoffen, dass der Tag schnell vorbei geht. Kann es Sinn des Kinderkriegens sein, mit seinem Kind alleine in der Wohnung zu sitzen und ein Mal in der Woche zum Pekipkurs zu gehen? Nein. Was mich an der Diskussion, die ich immer wieder zu diesem Thema führen muss, stört: Alle gehen hier von der typischen Einzelkind- oder Erst-Kind-Situation aus: Ein Kind, eine Mama. Was aber ist mit den Familien, die es noch vor ein, zwei Generationen gab: Ein Haufen Kinder, die unbeaufsichtigt im Garten tobten. Dazu ein Baby. Das hatte bei drei, vier oder fünf größeren Geschwistern nur eine Aufgabe: möglichst lange still zu halten und nicht aufzufallen. Hieß es seinerzeit doch so schön, es brauche ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen - so heißt dieses Dorf heutzutage eben Kindertagesstätte.
Jede Mutter muss und darf selbst entscheiden
Klar ist:Es gibt keine richtige Antwort auf die Frage "Kita ja oder nein?", und es gibt kein optimales Alter für den Start ins fröhlich-bunte Kita-Leben. Wieder einmal muss jeder selbst wissen, was für sein Kind, seine Karriere und die Zukunft der Familie die beste Lösung ist. Dieses "muss" beinhaltet aber nicht nur den Zwang, zu einer Entscheidung zu kommen, sondern auch die Freiheit, ganz individuell so zu entscheiden, dass die eigene Kleinfamilie glücklich ist. Egal, was die Schwiegermama und die Nachbarn dazu sagen... Und bitte, liebe Mit-Mamas, für was auch immer ihr euch entscheidet: Habt kein schlechtes Gewissen dabei!
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