Es gibt Statistiken, da will man nicht wahrhaben, dass es sie gibt. Und doch müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass die Jugendämter 2019 bei rund 55.500 Kindern und Jugendlichen eine Kindswohlgefährdung festgestellt haben. Gegenüber dem Vorjahr stiegen die Fallzahlen sogar noch um 10%.
Unter dem Begriff Kindswohlgefährdung werden alle Delikte zusammengefasst, bei denen Eltern ihre Kinder verletzen oder nicht mehr für sie sorgen. So wiesen,laut Statistischem Bundesamt, 58% der gemeldeten Kinder Anzeichen von Vernachlässigung auf. Bei rund einem Drittel, 32%, gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen wie etwa Demütigungen, Einschüchterungen oder emotionale Kälte.
Körperliche und seelische Misshandlungen
Bei weiteren 27% der Fälle gab es Anzeichen für körperliche Misshandlungen, bei 5% Indizien für sexuelle Gewalt. Bei einigen Kindern kamen auch mehrere Taten zusammen, so dass Mehrfachnennungen möglich sind.
Jedes zweite gefährdete Kind ist, den neuen Zahlen zufolge, jünger als acht Jahre alt. Es lässt sich außerdem feststellen, dass Jungen bis zu einem Alter von 13 Jahren statistisch betrachtet häufiger gefährdet sind. Ab dem 14. Lebensjahr gilt das für die Mädchen.
Hinweise von Polizei, Schule, Umfeld
Etwa die Hälfte der gefährdeten Kinder nahm zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung bereits eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch. Bei 22% der Kinder kam ein Hinweis ans Jugendamt von Polizei, Gericht oder Staatsanwaltschaft, bei 17% aus der Kita oder Schule. Immerhin 15% der Meldungen kamen aus dem privaten Umfeld bzw. anonym. Nur 4% der Jugendlichen suchte sich selbst Hilfe.
Zwei Gründe für gestiegene Zahlen
2019 ist das zweite Jahr in Folge, in dem ein Anstieg der gemeldeten Kindswohlgefährdungen zu verzeichnen ist. Das kann, laut Statistischem Bundesamt zwei Gründe haben. Zum Einen wird vermutet, dass die Menschen aber auch die Behörden heute sensibilisierter sind. Das führt dazu, dass mehr Fälle angezeigt und aufgedeckt werden.
Das würde aber auch bedeuten dass es seit Jahren eine sehr hohe Dunkelziffer an Missbrauchsfällen gibt, die aber nie aufgedeckt wurden. Eine grausame Vorstellung. Die zweite mögliche Erklärung ist allerdings nicht viel besser. Es kann leider auch so sein, dass die Fälle von Kindswohlgefährdung tatsächlich immer weiter zunehmen.
Jugendamt muss bei Meldung aktiv werden
Die Statistik deutet leider in diese Richtung, so überschritt 2019 erstmals die Zahl der von den Jugendämtern als akut eingestuften Kindswohlgefährdungen die Zahl der latent gefährdeten. In beiden Fällen muss das Jugendamt aktiv werden und einer Gefährdung entgegenwirken. In 20% aller Fälle von Kindswohlgefährdung wird das Familiengericht eingeschaltet, in 16% werden die Kinder zu ihrem Schutz vorübergehend in Obhut genommen.
All diese eher trockene Statistik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Deutschland ein großes Problem mit Kindswohlgefährdungen gibt. Wir alle sind aufgefordert genauer hinzuschauen und aktiv zu werden. Denn die Kinder brauchen unseren Schutz.
Ein Recht auf keine Gewalt
Für mich sind solche Statistiken furchtbar zu lesen. Und gleichzeitig ist es wichtig, dass es sie gibt. Denn die Augen verschließen von diesen Kindern, diesen Familien, das hilft niemandem. Stattdessen muss alles getan werden, um die Kinder zu schützen aber auch um den Eltern zu vermitteln, dass Gewalt, in welcher Form auch immer, nicht akzeptabel ist.
Unsere Kinder haben, wie wir alle, ein Recht darauf ohne Gewalt aufzuwachsen. Und wir alle sollten uns dafür stark machen. Unsere Kinder sind unsere Zukunft. Und in die sollten wir alle ohne Gewalterfahrungen oder Erniedrigungen starten.