Ein wichtiger Schritt: Der Schweizer Bundesrat will die gewaltfreie Erziehung von Kindern endlich in der Gesetzgebung verankern – und beendet damit auch die unterschwellige Duldung von Züchtigung innerhalb der Familie. Fachleute hoffen, dadurch auch mehr Anerkennung von emotionaler Gewalt zu schaffen, während Eltern sich mehr Unterstützung durch den Gesetzgeber wünschen.
Jedes Kind hat das Recht, vor Gewalt geschützt zu werden: Dieses Grundrecht ist in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes verankert und wurde von der Schweiz 1997 ratifiziert. Warum musste es dann noch knapp 27 Jahre dauern, bis das Recht des Kindes auf eine eine gewaltfreie Erziehung ins Gesetzbuch aufgenommen werden kann?
Wichtige Botschaft für Familien
Eine Frage, die Kinderschutzvereine und Familien weiter umtreibt. Denn obwohl es bereits eine Meldepflicht bei Gewaltverdacht in Einrichtungen gibt und der Eintrag im Zivilgesetzbuch keine strafrechtlichen Konsequenzen haben wird, setzt er ein wichtiges, überfälliges Signal für Eltern und Bezugspersonen:
Derzeit ist die häusliche Gewalt gegen Kinder laut Gesetzeslage zulässig, solange sie nicht zu "sichbaren Schäden" führt. Von physischen Schmerzen abgesehen, werden durch die gesetzliche Grauzone auch psychologische Schäden nicht als Gewaltakte anerkannt.
Und obwohl die Mehrheit der Schweizer Familien laut Neue Zürcher Zeitung auf eine liebevolle Beziehung zu ihren Kindern setzt, geben 30 % an, ihr Kind zu beschimpfen – und das teils heftig. Dazu glauben laut dem Bericht noch knapp 7 % der Schweizer, dass ihr Kind "einen Klaps vertragen kann".
Der Verein Kinderschutz Schweiz gibt dazu an, dass 2021 über 1650 Kinder "wegen Erziehungsmaßnahmen" in der Notaufnahme behandelt werden mussten.
Gewaltakte in der Familie sind nicht selten
Die Universität Freiburg führt dazu jährlich eine repräsentative Umfrage durch, in der 40 % der Eltern auch dieses Jahr angaben, körperliche Strafen anzuwenden: Schläge auf den Hintern, Ohrfeigen, Haareziehen und Stöße gehörten zu den häufigsten Maßnahmen. Dazu wenden 20 % aller Befragten psychische Gewalt wie Beschimpfungen, Drohungen und Erniedrigungen an. Und fast alle von ihnen glauben, dass ein Gesetz, das eine gewaltfreie Erziehung vorschreibt, ihnen helfen würde.
Hier bekommt ihr Unterstützung: Die Organisation Kinderschutz Schweiz bietet mit dem Programm Starke Eltern – starke Kinder Elternkurse an, die sich u.a. mit den Themen Wertschätzende Kommunikation, Erziehen ohne Schimpfen und Resilienz beschäftigen.
Um Konflikte und Agressionen im Familienalltag zu umgehen, braucht es eben mehr: ein starkes Leitbild vom Gesetzgeber, dass diese Werte für alle Familien, Bezugspersonen und Einrichtungen widerspiegelt und Kinder gesetzlich schützen kann.
Expert*innen und Kinderschutzvereine, die die Kampagne für das Kinderschutzgesetz seit Jahren vorantreiben, erhoffen sich auch, die Aufklärung gegen gewalttätiges Verhalten in Familien ausbauen und mehr Angebote zur Verfügung stellen zu können. Denn auch wenn die meisten Eltern eine sanfte Erziehung basierend auf Vertrauen und Respekt umsetzen wollen, fehlt derzeit als Basis, dass die Verurteilung von allen Formen der Gewalt gegen Kinder noch in der Gesellschaft ankommt.
Emotionale Gewalt muss als solche erkannt werden
Laut Dr. Dominik Schöbi, dem Leiter der jährlichen Elternstudie der Universität Freiburg, gibt es unzählige Formen der verbalen Gewalt, die schwer fassbar sind.
"Emotionale Sicherheit ist wichtig für Erfolg und Leistungsfähigkeit in praktisch allen Lebensbereichen. Einer der wichtigsten Schlüssel dazu sind vertrauensvolle Beziehungen in der Familie. Sowohl körperliche als auch psychische Gewalt steht dem im Weg: Sie lehrt unseren Kindern die falschen Lektionen!" Dr. Dominik Schöbi, Universität Freiburg
Dabei kann ein einmaliger, einschneidender Kommentar genauso schaden wie regelmäßige abwertende Worte. Fachleute sind sich einig, dass emotionale Gewalt genauso verheerend ist wie körperliche:
Umfangreiche internationale Studien zeigen, dass Kinder, die physischer oder verbaler emotionaler Gewalt ausgesetzt waren, häufiger nicht nur an psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen, sondern auch an körperlichen chronischen Krankheiten wie Diabetes leiden. Häufige Konsequenzen reichen dazu von einem niedrigen Selbstwertgefühl zu selbstverletzendem Verhalten, Suizidgedanken, Bindungsunfähigkeit und Gewalttäitigkeit.
In Deutschland wurde die gewaltfreie Erziehung übrigens 2001 ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." (§ 1631 BGB)
Hinweis: Wenn ihr oder euer Kind gefährdet ist und ihr nicht weiter wisst, steht euch das Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe zur Verfügung. Ihr erreicht es unter 0800 / 33 44 533. In Notfällen, z. B. bei drängenden und konkreten Suizidgedanken zögert nicht, euch an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.
Weiterführende Links
Parenting ist nicht einfach. Wenn ihr mehr zu den Themen sanfte Erziehung erfahren wollt oder einfach Alltagstipps zur Umsetzung braucht, findet ihr bei uns gute Ressourcen:
Die Autonomie-Phase bei Kleinkindern kann auch für uns Eltern besonders herausfordernd sein. Im Video haben wir Tipps, wie ihr sie besser meistern könnt:
Quellen: Neue Zürcher Zeitung, Kinderschutz Schweiz, American Journal of Preventive Medicine, Unicef