Allein daheim, im Geburtshaus oder Kreisssaal, nach Einleitung oder Not-OP, Früh- oder Fehlgeburt – jede Geburt ist einzigartig. Aber eines haben alle Mütter danach gemeinsam: Sie brauchen Unterstützung. Deswegen ist die im Koalitionsvertrag der Ampelregierung festgeschriebene "Familienstartzeit" eine super Sache. Blöd nur, dass das Thema jetzt so still und heimlich unter den Teppich gekehrt wird.
Es ranken sich viele Fragezeichen um die "Familienstartzeit", also die zweiwöchige Freistellung für Väter, Partner und Partnerinnen nach Geburt. Wie funktioniert sie eigentlich genau? Und vor allem: Kommt sie denn jetzt wirklich – und wenn ja, wann? Das schauen wir uns heute bei Durchblick in 5 Minuten: Politik für Mombies & Walking Dads mal genauer an.
Was soll die "Familienstartzeit" eigentlich genau sein?
„Wir werden eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen. Die Möglichkeit soll es auch für Alleinerziehende geben.“
Genau so steht die Familienstartzeit im Koalitionsvertrag. Das klingt jetzt nicht nach „wir prüfen mal“, „rechnen das durch“ oder „halten das für eine gute Idee“. SPD, Grüne und FDP haben ganz klar festgelegt und sich offensichtlich darauf geeinigt, eine solche Freistellung – auch bekannt als "Familienstartzeit" – einzuführen.
Und dafür ist es auch dringend Zeit, denn Hintergrund ist eine EU-Richtline zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige, die schon im Juli 2022 in Kraft getreten ist. Deutschland ist also eigentlich viel zu spät dran.
Umso wichtiger, dass künftig nicht mehr der Jahresurlaub oder der einzige noch mögliche gemeinsame Monat Elternzeit von Familien für das Wochenbett draufgehen. Und schon gar nicht sollen Mütter in dieser Zeit auf sich alleine gestellt sein, weil Partner oder Partnerin arbeiten gehen müssen. Doch wie so oft in der Politik ist nicht die Absicht, sondern die Umsetzung die Herausforderung. Denn es gibt da noch so ein paar Fragen …
Vaterschaftsurlaub = Familienstartzeit?
Von manchen Menschen und auch Medien wird die Familienstartzeit auch als "Vaterschaftsurlaub" bezeichnet. Warum das kein zutreffender Begriff ist, hat vor allem zwei Gründe:
1. Zum einen gilt sie nicht nur für den leiblichen Vater, sondern auch für einen Partner oder Partnerin.
2. Zum anderen ist sie sicherlich kein Urlaub. Statt Palmen, Strand und Meer gibt's Windeldermatitis, Blähungen und Wochenfluss.
Wer zahlt die Familienstartzeit?
Genau hier liegt – wie so oft – das größte Problem. Der Entwurf des grün-geführten Familienministeriums sieht vor, dass die Familienstartzeit (wie der gesetzliche Mutterschutz auch) durch das sogenannte 'U2-Umlagesystem' finanziert werden soll. Das bedeutet, dass die Kosten von den Arbeitgebern getragen werden. Und zwar über eine Abgabe, die grundsätzlich von allen Arbeitgebern gezahlt wird, unabhängig von der Zahl der Angestellten.
Kritik dazu gibt es von Seiten der FDP, die darin in der derzeitigen Konjunkturlage eine zu hohe Belastung für Arbeitgeber sieht. Stattdessen sollte eine alternative Finanzierung, zum Beispiel durch Steuergelder, geprüft werden. Eine Einigung zwischen Grünen und FDP ist aktuell noch nicht in Sicht.
Durchblick in 5 Minuten: Politik für Mombies & Walking Dads
Ihr habt keine Zeit für Politik, denn euer Alltag ist dank Care-Arbeit, Job, Haushalt und allem anderen voll genug? Aber gerade als Eltern merkt ihr im Alltag immer wieder, wie sehr Familien von der Politik nicht mitgedacht werden? Unsere familienpolitische Expertin Natascha Sagorski fasst euch aktuelle wichtige familienpolitische Debatten einfach und gut verständlich zusammen, sodass ihr auch mit wenig Zeit und Ressourcen wisst, was euch als Familien politisch aktuell betrifft und worauf es ankommt. Lest auch unsere erste Folge zum aktuellen Mangel von Kindermedikamenten.
Wird die Familienstartzeit wie angekündigt 2024 kommen?
Das war auf jeden Fall der Plan. So lange die Finanzierung aber nicht steht, wird kein Gesetz zustande kommen. Aufgrund der aktuell mehr als angespannten Lage des Haushalts (den letzten hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt), stehen die Chancen für eine Finanzierung aus Steuern (was die Formulierung „aus dem Haushalt“ im Endeffekt bedeutet) mehr als schlecht. Wenn es auch mit der U2-Umlage nicht klappen sollte, sieht es wohl eher düster aus für eine Einführung.
Auch die Zeit drängt: Alle Gesetzesvorhaben, die die Ampel noch in dieser Legislaturperiode umsetzen möchte, müssen mehr oder weniger bis Sommer 2024 in die Umsetzung gehen. Und Eile ist geboten, denn eine Realisierung des Vorhabens nach der nächsten Bundestagswahl ist in jedem Fall fraglich: Die Union (laut ZDF Politbarometer mit 31 Prozent aktuell stärkste Kraft in den Umfragen) hat sich bereits gegen die Familienstartzeit ausgesprochen.
Keine Mutter sollte in dieser Extremsituation (und nichts anderes ist das Wochenbett) auf sich alleine gestellt sein müssen.
Bleiben Mütter im Wochenbett also auf sich alleine gestellt?
Zumindest was eine staatliche bezahlte Freistellung der Väter, Partnerinnen und Partner angeht, ist dies zu befürchten. Auch die Verkürzung der gemeinsamen Elternzeitmonate trägt nicht dazu bei, dass Familien künftig entspanntere Wochenbettzeiten erleben werden.
Es gibt allerdings aktuell aus der Wirtschaft Bestrebungen für eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben zu sorgen. So führt Henkel eine achtwöchige, voll vergütete Elternzeit für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Das ist lobenswert und ein wichtiges Signal, auch an die Politik! Aber die Lösung ist nicht, dass Eltern in einigen Vorreiter-Unternehmen künftig unterstützt werden und der Großteil von Familien, die in anderen (vielmals auch kleineren) Firmen arbeiten, leer ausgehen. Kinder zu bekommen darf kein Privileg sein, denn unsere gesamte Gesellschaft und unsere Zukunft hängen davon ab, dass Menschen weiterhin Familien gründen. Für diese Familien muss der Staat gute Lebens- und Arbeitsbedingungen schaffen. Auch deswegen ist es ein schlechtes Signal, dass die Familienstartzeit auf der Kippe steht.
Die langfristigen Kosten für eine Gesellschaft, die aus ausgebrannten Eltern besteht, sind hoch.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Die langfristigen Kosten für eine Gesellschaft, die aus ausgebrannten Eltern (und besonders Müttern), die aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen weniger Kinder bekommen, besteht, sind hoch. Wir dürfen nicht müde werden, dies der Öffentlichkeit immer wieder ins Bewusstsein zu rufen. Denn Politik ist nichts anderes als das Setzen von Prioritäten. Und je höher der Druck aus der Zivilgesellschaft (das sind wir alle!) ist, dass Vorhaben wie die Familienstartzeit doch noch kommen, desto mehr sind Politikerinnen und Politiker gezwungen, sich mit dem Finden einer Lösung auseinanderzusetzen.
Was können wir für die Elternstartzeit tun?
Jede E-Mail mit dem Betreff „Familienstartzeit“ an die Abgeordneten des eigenen Wahlkreises hilft. Jede Demo, die für Rechte von Familien organisiert wird, bringt Aufmerksamkeit. Und jede Frage zu diesem Thema an Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkampf (und davon haben wir 2024 ja einige) bringt das Anliegen in die Köpfe der Entscheidenden. Denn egal wie unterschiedlich Geburten und die Wochen danach auch sein mögen: Keine Mutter sollte in dieser Extremsituation (und nichts anderes ist das Wochenbett) auf sich alleine gestellt meistern müssen.
Hier findet ihr die Kontaktdaten der für euch zuständigen Bundestagsabgeordneten: www.bundestag.de/abgeordnete/wahlkreise
Quellen: Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2021, Arbeitgeberversicherung.de "Umlageverfahren U2: Diese Arbeitgeber nehmen am Umlageverfahren U2 teil", ZDF Politikbarometer vom 12.1.2024, RND vom 19.1.24 "Ampel streitet über Finanzierung der Familienstartzeit – FDP übt Kritik an Paus"