Wir alle haben Emotionen und nicht alle davon fühlen sich gut an. Dabei sind Gefühle einfach erstmal da und das ist vollkommen ok. Wir haben exklusiv mit dem bekannten Kinderarzt Harvey Karp darüber gesprochen wie Kinder lernen, ihre Gefühle zu beschreiben. Außerdem erfahrt ihr, warum das auch uns Erwachsenen immer noch gut tut, über Gefühle zu reden.
Vermutlich haben viele von euch den Ratgeber "Das glücklichste Baby der Welt" gelesen. Das Buch von Harvey Karp ist ein echter Longseller und hilft Eltern seit Jahren durch die aufregende Zeit mit ihrem Baby. Der Ratgeber "Das glücklichste Kleinkind der Welt" schließt daran natürlich an.
Harvey Karp im Interview
Wir wollten mit dem Mann, der so viel über Kinder weiß, über Gefühle sprechen. Denn auch wenn wir uns alle einig sind, dass die wichtig sind, oft genug kommen wir mit unseren eigenen Emotionen ja schon an Grenzen. Wie also vermitteln wir unserem Nachwuchs einen guten Umgang damit und wie können wir ihm helfen, seine Gefühle zu beschreiben?
Gefühle beschreiben - Warum ist das wichtig?
"Wir werden alle wieder zu Kleinkindern, wenn wir frustriert sind. Es geht also darum Kinder dabei zu unterstützen, ihre Gefühle auszudrücken, um gelassener zu werden, sich resilient und stark zu fühlen", erklärt Harvey Karp. Und nimmt gleich eine Last von unseren Schultern, das nun perfekt hinbekommen zu müssen.
Denn Kinder sind ja keine Inseln, sie haben Kontakt zu mindestens einem verlässlichen Kontakt, außerdem sind sie viel mit anderen Kindern zusammen. Der Kinderarzt sieht hier Geschwisterkinder tatsächlich ein bisschen im Vorteil. Denn die Kinder "können sich gegenseitig soviel zeigen und sich unterstützen, wie Eltern das gar nicht leisten können."
Viele Eltern sorgen sich, dass sie für das Geschwisterkind weniger gut da sein können. Aber das gleicht sich ja aus, weil da andere Kinder sind. Wir Eltern sind doch manchmal auch total langweilig, von anderen Kinder lernt es sich doch viel spannender.
Harvey Karp
Kinder sollten ihre Gefühle beschreiben können
"Wir alle", sagt Harvey Karp, "erleben Hochs und Tiefs in unserem Leben, aber wir sollten immer in unserer Balance sein. Emotional und physisch. Wenn man seine Gefühle ausdrücken und beschreiben kann, dann findet man zur eigenen emotionalen Balance zurück, auch wenn man sich im ersten Moment gar nicht so fühlt. Man kommt aber immer wieder bei sich an."
Wenn man lacht, fühlt man sich besser. Wenn man traurig ist und weint und jemand bei einem ist, dann fühlt man sich besser.
Ganz schön poetisch, oder? Es geht aber eben genau darum, bei sich selbst anzukommen, mit seinen Gefühlen sinnbildlich im Reinen zu sein. Denn nur dann geht es uns gut. Wichtig für das Ausdrücken von Gefühlen ist aber auch die Umgebung, in der das geschieht.
"Gefühle müssen in einer liebenden, zugewandten Umgebung ausgedrückt werden dürfen. Passiert das nicht, bleiben die Gefühle unausgesprochen und haben einen Effekt aufs weitere Leben", so Karp. Das bedeutet nicht, dass ihr nun immer alles ausdiskutieren müsst, wir Eltern wissen ja auch, dass man manchmal überhaupt keine Lust darauf hat. Das ist ok.
Gefühle kennenlernen passiert in 1000 kleinen Schritten. Niemand spricht einmal über Gefühle und dann ist alles gesagt.
Auf welche Arten kann man Gefühle beschreiben?
Das geschieht verbal und nonverbal. Und da können wir viel von unseren Kindern lernen, denn sie drücken sich auf so viele unterschiedliche Arten aus.
Welches Umfeld ist wichtig, um Gefühle zu beschreiben?
Dr. Karp sagt: "Ein intolerantes Umfeld, in dem Gefühle nicht beschrieben werden dürfen, schadet Kindern. Wenn Kinder merken, dass sie nicht mit ihren Gefühlen angenommen werden, tut ihnen das nicht gut. Eltern merken oft, dass das Akzeptieren von Gefühlen etwas ganz anderes ist, als das Akzeptieren von Handlungen."
Denn letzteres fällt uns sehr viel leichter. Wichtig ist es aber, dass wir alle Gefühle akzeptieren, denn alle Emotionen sind gleich wichtig. Es lohnt sich aber trotzdem genauer hinzuschauen, denn manchmal ist das zu Grunde liegende Gefühl viel weniger deutlich zu erkennen, als es auf den ersten Blick scheint.
Niemand hat das Recht über die Gefühle von anderen zu urteilen.
Welches Gefühl ist das wichtigste?
"Viele Leute glauben, Liebe ist das wichtigste im Leben. Ich denke das nicht. Ich finde, Respekt ist sehr viel wichtiger. Denn was hilft es, wenn jemand dich liebt, aber nicht respektiert. Das macht einen unglücklich. Deswegen sollten Eltern ihre Erziehung auf Respekt aufbauen", erklärt Karp. Die Liebe spielt zwischen Eltern und Kindern auf mannigfaltige Weise sowieso eine Rolle.
Wie viele Gefühle sollten Kinder kennen?
Dr. Karp gibt auf diese Frage die schönste Antwort. Er sagt: "Es ist wie mit den Farben. Wie viele Farben sollten Kinder kennen? Am Anfang kennt man nur ein paar und mit der Zeit werden es immer mehr und in verschiedenen Schattierungen.
Auch bedenken solltet ihr die unterschiedlichen Temperamente, die Kinder haben. Natürlich nimmt jedes Kind Gefühle auch anders wahr und geht individuell unterschiedlich mit ihnen um.
Die meisten Eltern lesen alle Ratgeber über Babys. Aber danach wird es doch genauso spannend. Das ist ja nicht das Ende von Erziehung und wir sollten uns immer weiterbilden.
Dr. Harvey Karp
Die eigenen Gefühle zu erkennen, zu benennen und damit umzugehen lernen eure Kinder mit diesen tollen Büchern:
Wann sollten Kinder lernen, ihre Gefühle zu beschreiben?
Ihr könnt schon im Babyalter damit beginnen, eure Gefühle auszudrücken. Dabei lernen auch die Kleinsten schon unglaublich viel. Denn die Babys können ja an der Mimik und der Tonlage der Eltern sehr genau die Emotionen anderer Menschen wahrnehmen.
Mein Fazit
Wir müssen wegkommen davon, dass nur vermeintlich positive Gefühle, gute Gefühle sind. Auch die, die sich erstmal nicht gut anfühlen, wollen uns ja etwas sagen. Und darüber sollten wir schon mit unseren Kindern auch sprechen.
Ich kann da den Film "Alles steht Kopf" empfehlen, weil dieser Film ausschließlich von Emotionen handelt.
Wieso sollen wir unsere Gefühle beschreiben?
Damit wir mit anderen in Verbindung gehen können. "Kinder müssen Selbstliebe lernen", sagt der Kinderarzt und meint damit auch, dass Kinder lernen sollen, sich anzunehmen wie sie sind. Als gute Menschen, die Fehler machen.
Laut Karp ist es wichtig sich zu erlauben, alle Gefühle zu fühlen und diese mit den richtigen Menschen zu teilen. "Wir sollten nicht alle Gefühle mit allen teilen. Aber mit unseren Freunden und Freundinnen sollten wir offen und ehrlich sein. Wer das schafft, wird ein glücklicher Mensch sein, weil er sich angenommen fühlt, aufgehoben. Wem das nicht gelingt, der könnte unglücklich werden, weil es nicht gelingt, eine Verbindung zu anderen aufzubauen."
Wir alle machen Fehler. Den größten Fehler den wir machen, ist aber die Angst davor, Fehler zu machen. Wir alle machen sie und wir lernen ja aus ihnen.
Dr. Harvey Karp
Welche Fehler passieren, wenn wir über Gefühle sprechen?
Laut dem Kinderarzt Harvey Karp sind es diese 7 Fehler:
- Das TIming stimmt oft nicht. Wenn jemand besonders traurig oder besonders glücklich ist, ist nicht der richtige Zeitpunkt.
- Wir benutzen zu komplizierte Sprache. Kurze Sätze und sehr einfache Sprache erreichen in aufgebrachten Situationen mehr.
- Zu wenig Wiederholungen. Auch wenn wir Eltern genervt sind, Kinder müssen gerade in aufgewühlten Momenten etwas 8-12 Mal hören.
- Wir vergessen unsere Stimmlage und unsere Gesichtsausdrücke. Nonverbale Kommunikation ist auch Kommunikation.
- Wir sind selbst zu emotional. "Gefühle sind ein Tanz", sagt Harvey Karp. Und wer aufgewühlter ist, gewinnt. Eltern sollten ihre Emotionen dann auf 1/3 des Erregungsniveau des Kindes drosseln, um eine negative Spirale zu beenden.
- Erwachsene sind lösungsorientiert. Ein Kind muss aber wissen, dass die eigenen Gefühle wahrgenommen wurden. Eine Lösung ist für sie im ersten Moment nicht das Entscheidende.
- Wir haben zu wenig Zeit. "Gefühle brauchen Zeit", sagt Karp, und "sie lassen sich auch nicht einfach steuern." Geben wir ihnen und unseren Kindern den Raum, den sie in diesem Moment brauchen.
Unsere Kinder fordern uns auch deswegen heraus, weil wir selbst viele Gefühle haben, die wir nie aufgelöst haben. Wir sind nicht der Dalai Lama. Meditation und Achtsamkeit sind ein guter Weg, um für sich selbst zu sorgen.
Dr. Harvey Karp