Nicole Noller und Natalie Stanczak haben im April 2020, mit dem ersten Lockdown die Plattform 'Faces of Moms*' gegründet. Warum? Wegen ihres eigenen daily struggle, Kinder, Haushalt, Arbeit, Partnerschaft – und ja auch irgendwie sich selbst – unter einen Hut zu bekommen. Kommt uns bekannt vor, oder?! Wir haben die beiden gefragt, welche 10 Dinge sie in über einem Jahr 'Faces of Moms*' über Rollenbildern, Care-Arbeit und Gleichberechtigung gelernt haben.
Die Top 10 der Dinge, die wir im ersten Jahr "Faces of Moms*" gelernt haben:
1. Dass Mutterschaft immer ambivalent ist.
Das tradierte Rollenbild der gütigen, sanften Mutter, die sich von Natur aus gern opfert, nur gibt und nie nimmt, möchten wir aufbrechen, indem wir sichtbar machen, dass Mutterschaft mehr ist als das. Liebe und Freude gehen Hand in Hand mit Wut und Trauer. Und das ist auch okay.
2. Was strukturelle Ungleichheit gegenüber Müttern wirklich bedeutet.
Nämlich, dass Mütter qua Geburt strukturell benachteiligt werden. Motherhood Lifetime Penalty nennen das die Wissenschaftler*innen. Mehr unbezahlte Care-Arbeit bedeutet weniger Lohnarbeit, bedeutet wiederum weniger Lebenserwerbseinkommen und Abhängigkeit vom klassischen Ernährermodell.
Weicht die Frau davon ab, kann das schnell zu Altersarmut führen. Lebensmodelle sind viel zu oft KEINE FREIE WAHL. Unsere gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen lassen neben dem bürgerlichen Familinideal „Mutter-Vater-Kind“, dem Mann als Ernährer und der Frau in Teilzeit, viel zu wenige Alternativen und Lebensformen zu. Und noch viel krasser, ignoriert und diskriminiert sie politisch viele Beziehungs- und Lebensmodelle. Und das hat Konsequenzen, insbesondere für die Frauen.
3. Dass Feminismus intersektional sein muss.
Feminismus muss intersektional sein, sonst ist es kein Feminismus. Es geht um Solidarität unter Frauen und Frauen mit Kindern, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, Sexualität, Bildungsstand, Vollzeit-/Teilzeit arbeitend oder Hausfrau, Körperform. Denn nicht jede Frau unterliegt denselben Diskriminierungsformen. Das bedeutet wiederum, sich auch seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden und sich einzusetzen für Menschen, denen es nicht so gut geht. Nur wenn wir für alle Mütter einstehen und uns gegenseitig supporten, können wir uns gegenseitig stützen.
4. Dass Mütter und Familien Solidarität brauchen – vor allem von Kinderlosen.
Die gegenseitige Unterstützung gilt nicht nur untereinander. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, werden Familien endlich gesehen und in allen Belangen und Entscheidungen mitgedacht.
5. Dass noch immer die Wertschätzung von unbezahlter Care-Arbeit fehlt.
Der Muttermythos beschreibt das gesellschaftliche Narrativ, dass das Muttersein das vermeintlich größte Glück im Leben einer jeden Frau ist. Die Rolle der Frau ist gesellschaftlich auf dieses Narrativ geprägt und daraus resultieren auch Faktoren, wie Mental Load und die geringe Wertschätzung von unbezahlter Care-Arbeit.
Care Arbeit ist unsichtbar und nicht bezahlt, weil Frauen es von Natur aus gern machen. Es ist heutzutage immer noch ein Tabu dieses gesellschaftliche Ideal in Frage zu stellen und offen Kritik an dieser tradierten Vorstellung zu üben. Wir möchten für den Wert von Care-Arbeit sensibilisieren und versuchen strukturelle Ungleichheiten, denen besonders Mütter gegenüberstehen, sichtbar zu machen: Teilzeitfalle, Altersarmut, Gender Payment Gap, um nur einige zu nennen.
6. Better done than perfect!
Wenn wir gewartet hätten, bis unser Layout, das Wording und die Inhalte für unseren Instagram Account und unser Buch “Bis eine* weint!” perfekt gewesen wären, hätten wir nie angefangen. Uns geht es um Sichtbarkeit und nicht um die perfekte Darstellung. Wir reflektieren Faces of Moms* immer wieder und nehmen neue Impulse in unser Projekt auf.
Von inhaltlichen Themen, dem Gendern oder unserem Podcast – wir lernen täglich Neues und versuchen uns immer weiter zu verbessern. Es ist ein Prozess. Auch für uns.
7. Das Glück einfach mal anzunehmen.
Wir hatten in vielen Momenten einfach nur Glück. Punkt. Glück, dass uns unsere Verlegerin Anne von Palomaa Publishing einfach via Instagram gefragt hat, ob wir Lust haben ein Buch zu veröffentlichen, dass Kasia Mol-Wolf, Herausgeberin des Emotion Magazins und Aileen Puhlmann ihre Vorworte bestätigt haben, das Mareice Kaiser ein Teil unserer Kampagne wird. Wir sind so unendlich dankbar für diesen Austausch und diese Unterstützung.
8. Wie positiv die Rückmeldungen sind, wenn Müttern endlich mal zugehört wird.
Mit dieser unfassbaren Resonanz haben wir nicht gerechnet. Wir sind so dankbar für jede Mutter, die sich in unseren Interviews zu ihren tiefsten und ehrlichsten Gedanken äußert und merken, wie sehr unsere Plattform auch gebraucht wird, um diese Themen sichtbar zu machen und das Gefühl zu haben, nicht allein damit zu sein.
9. Dass Mütter und Eltern im Allgemeinen eine politische Lobby brauchen.
Weg mit dem Ehegattensplitting und eine bessere Ermöglichung für Väter in Elternzeit zu gehen, sowie ein statusunabhängiges Elterngeld. Ein Weg aus dem männlichen Karriereideal, Einbezug aller Familienentwürfe, und der Förderung und Unterstützung unterschiedlicher Lebensformen. Und überhaupt erstmal die gesellschaftliche Anerkennung struktureller Benachteiligung gegenüber Frauen. Denn erst, wenn das Problem anerkannt wird, können sich diese tradierten Strukturen lösen. Mütter und Eltern im Allgemeinen brauchen eine politische Lobby!
10. Dass wir selbst viel tun können:
- Diskutieren, aufstehen, laut sein. Für sich und andere.
- Und dass nicht nur bei Themen, die uns selbst betreffen.
- Die eigenen Privilegien checken.
- Nein sagen. Den Kuchen für den Kindergarten nicht backen. Die Schultüte kaufen, wenn es einfach zu viel ist. Die Wohnung unaufgeräumt lassen.
- Hilfe holen, wenn alles zu viel ist.
- Und schreien und weinen.
- Versuchen Pausen zu machen. Es gut sein lassen! Wenn es irgendwie geht ...
Nicole (35, und Mama von 2 Kids) und Natalie (36, Mama von 2 Kids) haben seit April 2020 für ihren Blog 'Faces of Moms*' um die 300 Mütter zu ihren Herausforderungen, den größten Abfucks und was ihnen helfen würde, interviewt. Alle Interviews findet ihr auf Insta www.instagram.com/facesofmoms und unter www.facesofmoms.de.
Vor kurzem ist ihr erstes Buch “Bis eine* weint!” aus den Mütter-Interviews erschienen, das wir wärmstens empfehlen können. Außerdem haben die beiden einen super hörenswerten Podcast.
Dieses Buch ist kein Rosa-Happy-Mama-Buch. Dieses Buch ist ein ehrliches Manifest. Ein Manifest für die Vielfalt im Leben von Müttern. Ein Manifest für die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Ein Manifest für ehrliche Gespräche über die ganze Fülle des Mutterseins. Eben #momrealness.
Faces of Moms*
* Falls ihr euch beim Lesen gefragt habt, was das Sternchen da überall soll: Das ist kein Hinweis auf eine Fußnote oder ein Gendersternchen, sondern gehört zum Namen "Faces of Moms*".
Ja, ja, ja und ja!
Ich kann und will mich nicht entscheiden, welches der Learnings von Nicole und Natalie für mich persönlich das wichtigste ist.
Gleich der erste Punkt lässt mich nicken. Wieviele Tränen der Wut und der Erschöpfung ich in den vergangenen Monaten geweint habe ... Das hier teilen zu können, bringt mir schon Erleichterung.
Wie oft ich mich über Ungleichheit und Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern (bei uns zuhause gelegentlich und gesamtgesellschaftlich ständig) aufrege ... Das hier aussprechen zu können, macht mir Mut. Aber das bringt uns so allein nicht weiter.
Lasst uns das Glück annehmen, das wir haben (7.), auf die Perfektion pfeifen (6.) und lasst uns alle zusammen diese Lobby sein, die wir so dringend brauchen! (Dann packen wir zusammen 3. und 5. an!)
Danke Nicole und Natalie, dass Ihr sichtbar macht, was sichtbar sein muss und dem eine Bühne gebt, was kleingehalten werden soll! www.instagram.com/facesofmoms.
Bildquelle: www.sandsackfotografie.de / www.instagram.com/sandsack.fotografie