Das Thema "sexuelle Orientierung" wirft nach wie vor viele Fragen auf. Ist sie von Geburt an festgelegt, welche Formen gibt es und was meint dieser Begriff eigentlich genau? Geht es hierbei tatsächlich nur um Sex oder auch um die emotionale Ebene? Auf all diese Fragen wollen wir in diesem Beitrag eingehen, um ein wenig Ordnung ins Chaos zu bringen.
- 1.Zum Begriff "sexuelle Orientierung"
- 2.Wie entsteht unsere sexuelle Orientierung?
- 3.Welche Rolle spielt die Genetik bei der Sexuellen Orientierung: Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2019
- 4.Welche sexuellen Orientierungen gibt es?
- 5.Homosexualität, Bisexualität, Heterosexualität
- 6.Pansexualität
- 7.Asexualität
- 8.Autosexualität
- 9.Andro- und Gynosexualität
- 10.Demisexualität
- 11.Objektsexualität/Objektophilie
- 12.Anlaufstellen: Wohin kann ich mich wenden?
Zum Begriff "sexuelle Orientierung"
Sex spielt für viele von uns eine große Rolle und wenn man sich mal im Freundeskreis umhört, stellt man wohl schnell fest, dass sich unsere sexuellen Vorlieben häufig voneinander unterscheiden. Das muss sich jedoch nicht nur darauf beziehen, welche Stellung wir bevorzugen, ob wir es etwas sachter oder härter mögen oder ob wir lieber über lange Zeit Sex mit einer oder mehreren Personen haben.
Dabei geht es eben auch darum, ob wir ein Geschlecht bevorzugen und wenn ja, um welches es sich handelt. Und genau das beschreibt die sexuelle Orientierung. Sie bezieht sich aber auch auf die Ausrichtung unserer emotionalen Bedürfnisse.
Sexuelle Orientierung meint die Ausrichtung der sexuellen und emotionalen Bedürfnisse eines Menschen auf andere Menschen des gleichen oder des anderen Geschlechts oder auf beide Geschlechter. Dabei werden die gegengeschlechtliche Orientierung als heterosexuell, die gleichgeschlechtliche als homosexuell und die auf beide Geschlechter bezogene Orientierung als bisexuell bezeichnet.
Marget Göth & Ralph Kohn: Sexuelle Orientierung. in Psychotherapie und Beratung
Göth und Kohn merken in ihrem Buch an, dass in Bezug auf die oben genannte Definition kritisch anzumerken ist, "dass vor allem die Begriffe homo-, hetero und bisexuell in der Dichotomie [zweigliedrige Einteilung] der zwei Geschlechter verhaftet sind. Die Möglichkeit einer sexuellen Orientierung, die sich über die zwei Geschlechter hinaus auf Menschen zwischen den Geschlechtern bezieht, wird mit ihnen nicht abgebildet."
Neben den wohl in unserer Gesellschaft bekanntesten sexuellen Ausrichtungen – Homo-, Bi- und Heterosexualität – gibt es also noch viele weitere Kategorien, denen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zugeordnet werden können. Eine kleine Liste mit Definitionen findet ihr unten.
Wie entsteht unsere sexuelle Orientierung?
Eine interessante Frage, mit der sich die Wissenschaft inzwischen seit vielen Jahren auseinandersetzt, ist, ob es sich bei der sexuellen Orientierung um eine früh determinierte und stabile Eigenschaft handelt. Viele Fachleute sind sich einig, dass biologische Aspekte in diesem Kontext auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen. Allerdings konnte nach wie vor nicht eindeutig geklärt werden, was konkret dazu führt, dass wir beispielsweise homosexuell werden.
So war man lange Zeit auf der Suche nach einem Gen, mit dem sich die Homosexualität eines Menschen begründen lässt, fand jedoch nie eine zufriedenstellende Antwort.
Welche Rolle spielt die Genetik bei der Sexuellen Orientierung: Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2019
Eine internationale Gruppe von Wissenschaftler*innen versuchte ebenfalls, diese Frage zu beantworten, indem sie die Rolle der Genetik bei der Gestaltung des Sexualverhaltens untersuchte. Das Team um die Humangenetikerin Andrea Ganna untersuchte das Erbgut von insgesamt 477.522 Individuen.
Die Teilnehmer*innen mussten schriftlich Fragen zu ihrem Sexualverhalten beantworten. Dazu zählten: "Hatten Sie jemals Sex mit jemandem des gleichen Geschlechts?" oder "Zu wem fühlen Sie sich sexuell hingezogen?". Die Antworten wurden schließlich mit genetischen Markern über eine Methode verbunden, die sich Genomweite Assoziationsstudie (GWAS) nennt.
Das sind wesentliche Erkenntnisse der Studie:
- Man fand heraus, dass etwa ein Drittel der Unterschiede zwischen Menschen in ihrem Sexualverhalten durch vererbte genetische Faktoren erklärt werden können.
- Die Umwelt spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Ausprägung dieser Unterschiede.
- Auch in dieser Studie bestätigte sich, dass es kein sogenanntes "Schwulen-Gen" gibt. Stattdessen gibt es viele genetische Effekte im gesamten menschlichen Genom, die jeweils einen kleinen Beitrag leisten.
- Die Forscher*innen konnten zum ersten Mal fünf genetische Marker identifizieren, die sie mit hoher Sicherheit mit sexuellem Verhalten in Verbindung bringen konnten.
- Da es so viele genetische Marker mit jeweils kleinen Auswirkungen gibt, ist es unmöglich, anhand der DNA einer Person vorherzusagen, zu wem sie sich hingezogen fühlt.
Interessant ist die Annahme, dass Umwelt und Gene zusammenwirken und somit auch unsere sexuelle Orientierung beeinflussen können. Dieses Beispiel macht es deutlicher: Da die Toleranz gegenüber verschiedenen sexuellen Ausdrucksformen in den letzten Jahren gewachsen ist, sind Individuen eher in der Lage, ihr sexuelles Verhalten auszudrücken, was bedeutet, dass sich auch die genetische Komponente des gleichgeschlechtlichen Verhaltens verändert haben könnte.
Fakt ist: Es ist nach wie vor unmöglich, eine eindeutige Begründung dafür zu nennen, warum sich Menschen zu bestimmten Geschlechtern hingezogen fühlen. Die Studie bietet allerdings sehr interessante Ergebnisse zu dem Thema. Was jedoch klar ist, ein Mensch entscheidet sich nicht bewusst dafür, homo-, bi-, hetero-, pan- oder asexuell zu sein. Wenn du beispielsweise Mutter oder Vater eines Teenagers bist, der sich gerade geoutet hat, dann nimm ihn ernst, höre ihm zu und sprich mit ihm darüber.
Welche sexuellen Orientierungen gibt es?
Es mag den ein oder anderen überraschen, wie viele Kategorien sexueller Orientierung es gibt. Die hier aufgelisteten Ausprägungen sind nur einige Beispiele.
Homosexualität, Bisexualität, Heterosexualität
Von Homosexualität spricht man, wenn sich zwei Männer (schwul) oder zwei Frauen (lesbisch) zueinander hingezogen fühlen. Die Heterosexualität bildet sozusagen das Gegenstück, was meint, dass Männer auf Frauen oder Frauen auf Männer stehen. Ist man bisexuell, dann fühlt man sich emotional und/oder sexuell zu beiden Geschlechtern hingezogen.
Pansexualität
Auf wen stehst du? Männer, Frauen, Cis- oder Transpersonen oder ist dir das alles vielleicht völlig egal? Wenn das der Fall ist, dann bist du pan- beziehungsweise omnisexuell. Für pansexuelle Menschen spielt das biologische Geschlecht oder dasjenige, mit dem sich eine Person identifiziert, keinerlei Rolle. Hier kommt es ganz allein auf Dinge wie den Charakter, die Ausstrahlung und die Persönlichkeit an.
Asexualität
Für asexuelle Personen spielt Sex kaum eine oder gar keine Rolle. Das meint allerdings nicht, dass man sich nicht emotional an jemanden binden möchte oder sich verlieben kann. Empfindet jemand kaum oder gar keine romantischen Gefühle für andere, spricht man von Aromantik.
Autosexualität
Autosexuelle Menschen bevorzugen die Selbstbefriedigung und/oder fühlen sich zu sich selbst sexuell hingezogen. Wie bei asexuellen Personen gilt aber auch hier, dass sich Autosexuelle durchaus emotional binden und verlieben können.
Andro- und Gynosexualität
Androsexuelle Personen fühlen sich zu Männern und zu Menschen mit männlichen Attributen hingezogen. Die Gynosexualität bildet das Gegenstück. Das heißt, dass eine Hingezogenheit zu Frauen oder eben Menschen mit weiblichen Zügen besteht.
Demisexualität
Fühlst du dich nur zu Menschen hingezogen, zu denen du eine starke emotionale Bindung hast? Dann trifft der Begriff Demisexualität auf dich zu.
Objektsexualität/Objektophilie
Menschen, die sich sexuell und emotional zu Gegenständen wie beispielsweise Fahrzeugen, Flugzeugen, Musikinstrumenten oder Bauwerken hingezogen fühlen, bezeichnet man als obejktophil.
Anlaufstellen: Wohin kann ich mich wenden?
Leider werden nach wie vor Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Identität diskriminiert. Auch wenn sich inzwischen viele Menschen der LGBTIQ-Community zugehörig fühlen und für mehr Gleichberechtigung und Toleranz kämpfen, hört man immer wieder von verschiedenen diskriminierenden Angriffen, die sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene stattfinden.
Wenn auch du betroffen bist oder vielleicht nur Fragen zum Thema hast, kannst du dich unter anderem bei Profamilia nach einer Beratungsstelle in deiner Nähe erkundigen.
Fazit
Sex und Liebe – das sind zwei Dinge, die in unserem Leben eine große Rolle spielen und vor allem in den meisten Fällen für viele positive Gefühle sorgen. Das kann sich jedoch ändern, wenn man aufgrund seiner sexuellen Orientierung auf Intoleranz, diskriminierende Ansichten und/oder sogar Gewalt trifft. Umso trauriger, dass deshalb Menschen nach wie vor negative Erfahrungen machen müssen und umso mehr hoffe ich, dass die Entwicklung in Richtung Gleichberechtigung und generelle Akzeptanz schnell voranschreitet.
Quellen:
- Marget Göth & Ralph Kohn: Sexuelle Orientierung. in Psychotherapie und Beratung
- Studie: Large-scale GWAS reveals insights into the genetic architecture of same-sex sexual behavior
- Genetics of Sexual Behavior