"Der Buchspazierer" startet in den Kinos und bietet euch die Chance, euch mit ganz vielen wichtigen Themen auseinanderzusetzen. Wir haben exklusiv mit Christoph Maria Herbst und Edin Hasanovic über die Macht der Bücher und die Liebe zum Lesen gesprochen.
"Der Buchspazierer" läuft ab dem 10.10.2024 in den deutschen Kinos.
Ab welchem Alter ist der Film geeignet?
"Der Buchspazierer" hat eine FSK von 6 bekommen. Der Film ist deswegen aber kein Kinderfilm. Mit Kindern, die gern lesen, kann sich ein Besuch lohnen, sie sollten dann aber das erweiterte Grundschulalter (so ab acht Jahren) erreicht haben.
Worum gehts im Film?
Der Buchhändler Carl Kollhoff packt täglich Bücher in Papier, um sie seinen treuen Kunden nach Hause zu liefern. Für den introvertierten Carl sind seine Kunden mehr als nur Käufer – sie sind seine Verbindung zur Außenwelt und fast wie Freunde für ihn. Seine täglichen Auslieferungen sind eine wichtige Routine in seinem Leben. Eines Tages trifft er auf ein kleines Mädchen, das ihn neugierig verfolgt und ihn bei seinen Lieferungen begleitet. Zunächst ist Carl von der ungebetenen Begleitung wenig begeistert, doch bald beginnt er, die Gespräche mit dem Mädchen zu schätzen. Ihre regelmäßigen Treffen helfen dem schüchternen Mann, sich nach und nach zu öffnen. Gemeinsam begeben sie sich auf eine unerwartete Reise, auf der Carl nicht nur seine Vergangenheit reflektiert, sondern auch neue Freundschaften und wertvolle Erlebnisse entdeckt.
Mein Rating für den Film
"Der Buchspazierer" reißt euch für gute anderthalb Stunden aus eurem Alltag und regt zum Nachdenken übers Miteinander, über Einsamkeit und Trauer an. Natürlich gehts auch um Bücher, aber selbst wenn ihr nicht gern lest, werdet ihr mit diesem Film sehr viel Spaß haben.
So finde ich den Film
Toller Film mit wichtigen Themen
Der perfekte Herbstfilm, behaupte ich jetzt mal. Denn wenn die Tage dunkler werden und wir uns mehr zurückziehen, dann brauchen wir ja auch kleine Lichter, die das Dunkel erhellen. "Der Buchspazierer" schafft das auf jeden Fall. Denn er zeigt, was universell im Leben gilt, was wir aber so oft vergessen: Kein Mensch ist eine Insel. Wir brauchen einander. Und manchmal brauchen wir, dass uns jemand anderes wachrüttelt und mitreißt.
Ich mochte das Buch von Carsten Henn ehrlich gesagt nicht ganz so sehr. Mir war das zu kitschig, wolkig. Den Film aber, den finde ich super. Wie Christoph Maria Herbst es im Interview ja auch sagt: Der Film kommt ohne diesen Kitsch aus. Er zieht euch für seine Dauer ganz raus aus eurem Alltag, ihr könnt in der Geschichte richtig mitgehen und überlegen: Welche Figur aus einem Buch wäre ich eigentlich? (Ich habe auch nach den Interviews keine Antwort für mich selbst auf diese Frage)
Wie gehen wir mit Einsamkeit um, wie mit Trauer? Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes? Mit unseren Kindern? All das sind fundamentale Themen, die der Film anspricht und die mich eingeladen haben, weiter darüber nachzudenken. Ich wünsche euch sehr, dass es euch genauso geht.
Visuell bekommt ihr hier übrigens, neben Christoph Maria Herbsts toller Verwandlung auch einiges geboten. Ihr wisst ja jetzt um die Drehorte, aber hättet ihr erraten, dass der Film in Deutschland gedreht wurde? Ich wollte jedenfalls sofort meinen Koffer packen, und mich auf Reisen begeben. Super, wenn Filme so etwas schaffen.
Auch wenn ich weiß, dass der Film natürlich kein Kinderfilm ist, werde ich ihn noch mal mit meinen Kindern anschauen. Denn die Liebe zu Büchern kann gar nicht oft genug auf der großen Leinwand zelebriert werden. Und beim Buchspazierer gelingt das einfach besonders schön.
Für Fans von ...
Die Stars in "Der Buchspazierer"
- Christoph Maria Herbst spielt den Buchspazierer
- Yuna Bennett ist Schascha
- Edin Hasanovic spielt Herrn von Hohenesch / Mister Darcy
- Schaschas Papa wird von Ronald Zehrfeld gespielt
- Maren Kroymann spielt Pippi Langstrumpf
Interview mit Christoph Maria Herbst & Edin Hasanovic
Dein Buchspazierer Carl Kollhoff sagt an einer Stelle: „Menschen, die gerne lesen, haben einen Namen aus einem Buch verdient“. Liest du gern? Und wenn ja, was wäre denn dein Name?
Christoph Maria Herbst (CMH): Ja, ich lese gerne. Momentan komme ich aber eher weniger dazu, weil ich aktuell viele Drehbücher lese. Aber das sind ja auch Bücher. Carl Kollhoff sagt zu Schascha: „Für dich gibt es keinen Namen aus einem Buch. So jemanden wie dich gibt es nur einmal auf der Welt und der steht gerade vor mir“. Ich würde das in aller Bescheidenheit auch für mich in Anspruch nehmen, dass es für mich noch keinen Namen gibt. Dafür bin ich einfach zu unique.
Da stimme ich dir total zu. Ich habe nämlich an der Stelle im Film auch gedacht: Trifft das nicht auf alle Menschen zu? Wir sind ja alle auf unsere Art einzigartig.
Auf jeden Fall. Was wir nicht vergessen dürfen: Es findet ja auch alles in Carl Kollhoffs Kopf statt. Ich glaube, der ist so misanthropisch geworden, dass diese Namensgebung seine einzige Brücke ist, überhaupt noch rauszugehen und den Menschen zu begegnen. Er panzert sich ja nicht nur vor der Welt, sondern auch vor den Menschen darin. Kollhoff schafft es, glaube ich, nur, ihnen zu begegnen, indem er die Menschen zu diesen Figuren stilisiert. Dann steht da auf einmal ein Mister Darcy, eine Effi Briest oder eine Pippi Langstrumpf.
Damit, er liegt ja auch nicht ganz falsch. Wenn ich daran denke, wie Maren Kroymann in unserem Film als ehemalige Lehrerin aussieht, dann treffen diese Namen und Bilder ja sehr gut.
Edin Hasanovic (EH): Ich lese beruflich sehr gerne. Ich bin auch damit aufgewachsen. Eine meiner ersten Erinnerungen ist die, dass meine Mutter mir immer dieses eine bosnische Kinderbuch, diese eine Geschichte vorgelesen hat. Das hat mich als Kind jedes Mal aufs Neue fasziniert.
Heute besteht mein Beruf zu 30/40 % aus Lesen. Das ist keine große Weltliteratur, es sind Drehbücher. Aber ich lese sehr viel. Deswegen fällt es mir auch ein bisschen schwer, privat Romane zu lesen. Ich lese ja schon so viele ausgedachte Geschichten. Was ich ziemlich viel lese, sind Sachbücher, über Optimierung, das innere Kind. Aktuell lese ich das Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“. Da macht sich die Autorin auf dem Weg zu einem indigenen Volk nach Venezuela und stellt fest: Die Quelle des Glücks dieses Volkes, was diese Menschen so auffällig glücklich macht, das ist der Umgang mit den Kindern. Dass es denen so gut geht, liegt daran, dass sie ihren Kindern Urvertrauen schenken. Das finde ich sehr faszinierend.
Welche Figur aus einem Roman ich wäre? Ich habe schon geahnt, dass so eine Frage kommt. Ich habe nur leider keine Antwort darauf.
Christoph Maria Herbst hat auf die Frage mit einem Zitat seines Carl Kollhoffs geantwortet und gemeint, er würde den Spruch, dass ein Mensch wie Schasacha noch erfunden werden muss, in aller Bescheidenheit auch für sich in Anspruch nehmen. Die Antwort darfst du ganz bestimmt klauen, sie passt bei dir doch sicher auch.
Ja, hm (Er zögert). Ein Christoph Maria Herbst darf sowas natürlich sagen. Aber ich glaube, ich kann das so nicht über mich sagen. Ich glaube, ich wäre etwas Feuriges. Ein Feuer kann was Loderndes sein, oder was ganz Kleines. Es kann in verschiedene Richtungen springen, es kann intensiv sein. So ein bisschen was von allem, das finde ich gut.
Spannend. Weil du das Buch deiner Kindheit schon angesprochen hast: Wärst du dann eher ein Kinderbuch oder ein Roman für Erwachsene?
Wahrscheinlich wäre ich ein Erwachsenenroman, auch wenn ich lieber ein Kinderbuch wäre. Es gibt ja den Weltvorlesetag. Meine Cousine, die zwei Kinder hat, meldet mich da einfach ungefragt immer an und schreibt mir dann, dass ich einen Termin zum Vorlesen in der Kita habe. Ich weigere mich [im Vorfeld] eigentlich immer und wehre mich, schäme mich. Ich habe das bisher dreimal gemacht und bin jedes Mal danach der glücklichste Mensch der Welt. Wenn ich da vor Ort bin und den Kindern vorlese, ihre Begeisterung spüre und ihre großen Augen sehe … Dann bin ich immer sehr, sehr glücklich. Ich mache das meist morgens, so um 9:00 oder 10:00Uhr und fühle mich dann den ganzen Tag über sehr leicht.
Christoph, ich fand, dass das ein wirklich tolles Ensemble war. Die Rollen waren richtig gut gespielt, ohne total drüber, zu kitschig oder unglaubwürdig zu sein. Die Maske hat da großartige Arbeit geleistet. Ich bin aus dem Film rausgegangen und habe gedacht: Das hat richtig Spaß gemacht.
CMH: So geht es mir auch. Das war alles sehr homogen, nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera. Da haben alle einen tollen Job gemacht, waren sehr detailversessen, was man eben auch in der Ausstattung sieht.
Wenn ich hier mal meine Maskenbildnerin ins Gespräch bringen darf: Mirjam Himmelsberger. Die hat damals schon den Bernd Stromberg aus mir raus rasiert und mich jetzt zu einem Carl Kollhoff gemacht. Was die gezaubert hat, das ist geradezu us-amerikanisch. Wenn es da keinen Filmpreis für das ein oder andere Gewerk gibt, dann weiß ich auch nicht mehr.
Ich weiß natürlich, dass „Der Buchspazierer“ kein Kinderfilm ist. Aber ich werde trotzdem mit meinen Kindern reingehen, weil ich finde, die Liebe zum Lesen wurde selten so schön dargestellt wie in diesem Film.
CMH: Spannend. Es ist tatsächlich kein Kinderfilm, auch wenn ein Kind die weibliche Hauptrolle spielt. Ich glaube, wir haben das Buch von Carsten Henn ganz gut ein bisschen von diesem ganzen Märchenhaften befreit. Wir hatten da alle ein bisschen Angst davor, dass es zu disneyhaft wird. Aber es bleibt ja edgy, es bleibt kantig.
Das sieht man im Übrigen auch in den Ortschaften, in denen wir gedreht haben, im Aachener Raum. Dort war kurz vorher die Flutkatastrophe. Wenn du genau guckst, siehst du da immer noch Baustellen, Pylonen, Umzäunungen, getrocknetes Wasser im unteren Bereich von Häusern. Beim Schauen des Films hat man das Gefühl, dass alles sehr pittoresk ist, beinahe südfranzösisch. Und gleichzeitig so ein Störgefühl von: Irgendwas stimmt hier nicht.
Das ist die Schönheit unseres Deutschlands oder beziehungsweise die Schönheit unseres Nordrhein-Westfalens. Ich darf das sagen, ich bin Nordrhein-Westfale, und das zahlt natürlich auch alles auf den Film ein. Du hast eben schon gesagt, dass der Film nicht süß oder klebrig ist. Genau so, eben nicht kitschig, hat es der Kameramann und Regisseur Ngo The Chau erzählen wollen. Es gibt Momente, die berühren total. Man kann an vielen Stellen laut lachen, man kann sich wundern, man kann weinen. Ich kann nur sagen: Willkommen im Kino.
Edin, ich bin ja selbst eine große Verfechterin des Vorlesens und du rennst mit deiner tollen Beschreibung hier offenen Türen bei mir ein. Ich finde es so wichtig, dass wir Kindern vorlesen. Da nutze ich doch deine Begeisterung und dieses Interview hier gern, um noch mal Werbung fürs Vorlesen zu machen. Denn Hörspiele, Hörbücher oder Tablets können das Vorlesen meiner Meinung nach nicht ersetzen.
EH: Bei Tablets und bei all dem, was du gesagt hast, ist die Fantasie ja schon fertig und ich sehe mir das dann nur noch an. Ich liebe es vorzulesen, laut zu lesen. Wenn ich also einem Kind etwas vorlese, dann sehe ich ja, dass die Fantasie gerade am Entstehen ist. Ich sehe da die Synapsenverschaltung plötzlich in den Augen, da kann man richtig zugucken. Da kann mir keiner sagen, dass das weniger wert ist als sich auf dem iPad irgendeinen Film angucken. Ich bin auch ein großer Verfechter vom Vorlesen und möchte an der Stelle die Fahne wirklich schwenken: Lest euren Kindern vor! Ich finde das toll.
Auf die Weise weckt man ja auch das Interesse an Büchern und schafft eine Routine, die dann hoffentlich die Begeisterung fürs selber lesen begründet.
Ja, aber nicht nur. Es geht mir gar nicht so ums Lesen, sondern darum, die Fantasie, das Bewusstsein anzuregen. Wenn ich alles so plump und quasi fertig, ich will sagen tot, aber nennen wir es fertig, serviert bekomme, dann muss ich als Kind ja überhaupt gar nicht mehr nachdenken. Wenn mir aber was erzählt wird und ich mir das vorstellen muss, wie diese alte dicke böse Frau aussieht, dann ist das, glaube ich, besser für die Entwicklung des Hirns und des Kindes allgemein.
Es ist ja auch total spannend, sich erst durchs Lesen selbst etwas vorzustellen und das dann abzugleichen mit dem, was man im Film zu sehen bekommt.
Wobei man da eigentlich immer enttäuscht ist. Bei Harry Potter war das ja das größte Ding: Alle haben sich das alles so krass ausgemalt und waren dann sehr enttäuscht, als der Film rauskam. Weil unsere Fantasie offensichtlich viel krasser und größer ist als das Reale. Das kann man auch auf unser Erwachsenenleben übertragen. Das ist so meine Erfahrung so, dass man irgendwas hört und sich das immer viel krasser, dramatischer ausmalt. Und dann hört man, was dahinter steckt und denkt sich: Ach, eigentlich voll langweilig. In meiner Fantasie war das alles viel spannender.
Christoph, an einer Stelle sagt dein Carl: „Die Bücher müssen zu den Menschen“. Deswegen spaziert der Buchspazierer ja durch die Stadt. Wie kommt der Film denn zu den Menschen? Denn ich habe das Gefühl, dass wir eigentlich viel mehr miteinander in Kontakt kommen, uns austauschen sollten über Bücher, Filme, Kunst, Dinge, die uns berühren, anregen, zum Nachdenken bringen. Aber die meisten von uns tun das zu wenig.
CMH: Ja, das stimmt. Aber darum geht es ja auch in dem Film. Man hat ja fast das Gefühl, dass es ein pandemischer Film ist. Oder einer, der in diesem grauenhaften, verseuchten Humus der Pandemie irgendwie gediehen ist. Diese ganzen Figuren, die sich nicht mehr raustrauen, die sich in sich zurückgezogen haben, das ist ja auch ein Sinnbild für unsere Gesellschaft. Wir haben doch alle so ein bisschen den Eindruck, dass unsere Gesellschaft vielleicht nicht mehr ganz dieselbe ist wie vor der Pandemie. Corona war da vielleicht auch ein Booster in die falsche Richtung in Bezug auf Kontakte, das stimmt. Aber ich habe das Gefühl, dass sich da so ganz langsam wieder etwas tut, dass sich die Menschen wieder etwas trauen, doch wieder rausgehen.
Und es ist ja nicht so, dass Corona die einzige Krise gewesen wäre. Wir leben ja mittlerweile in einer Multikrisenzeit.
Den Begriff der Wohlfühlkomödie, „feel good comedy“, ein Begriff, den ich nicht ertrage, auf Deutsch aber gerade so tolerieren kann, der passt hier schon ganz gut. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Film seine Zuschauerschaft schon irgendwie findet. Weil der Film es tatsächlich schafft, einen zu entführen und mal eben 90 Minuten aus seiner eigenen Erlebniswelt rauszuziehen und sich einsaugen zu lassen in diese ganz andere Welt. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Film ein Booster sein könnte, mal wieder zu einem Buch zu greifen und sich nicht einfach abends nur vor die Glotze zu hängen.
Ich kannte das Buch von Carsten Henn im Vorfeld schon und habe es eigentlich für unverfilmbar gehalten. Ich habe mich auch nie in der Rolle des Carl Kollhoff gesehen. Damals habe ich das Buch zugeschlagen und gedacht: „Schade, jetzt trenne ich mich von einem Freund“. Und dann kam ein Anruf von meiner Agentin, ob ich den Buchspazierer kennen würde, es gäbe da eine Anfrage für mich.
Das muss man ja auch erstmal auf die Reihe kriegen. Ich finde das toll, dass es da Menschen gibt, die eine ganz andere Fantasie haben als man selbst. Denn wir alle laufen ja ein bisschen mit Tunnelblick auf uns selbst durch die Gegend. Da kommen dann Leute und sagen, sie hätten mich gern als Carl Kollhoff, und ich dachte im ersten Moment: Wie kommt ihr da drauf? Was habe ich denn mit diesem Misanthropen, diesem maulfaulen Tattergreis zu tun? Was seht ihr denn da in mir?
Das war toll, so eine Figur nicht an sich ranzuziehen, sondern sich ihr zu nähern, mit der ganzen Kunstfertigkeit aller anderen Gewerke, von Ausstattung über Kostüm, Maskenbild bis zu der Vision, die unser Regisseur da die ganze Zeit mit sich rumtrug. Das dann überein zu kriegen mit seinem eigenen Gefühl für die Figur, die Geschehnisse und die jeweiligen Situationen war großartig. Und dann auch noch so eine tolle, große kleine Kollegin an die Seite gecastet zu bekommen, das ist ein Geschenk.
Was mich an dem Film auch berührt hat, ist, die dargestellte Einsamkeit. Allen ist klar, dass dein Carl einsam ist, aber es hat zunächst den Anschein, als würde er sich daran nicht stören. Das passiert erst, als er Schascha begegnet. Ich finde Einsamkeit ein so wichtiges Thema, weil es sehr viele Menschen betrifft. Jetzt wirst du wahrscheinlich auch keinen Tipp dafür haben, ich frage dich aber trotzdem: Wie können wir besser über Einsamkeit reden?
CMH: Schwierig. Ich bin nicht Dr. Sommer, ich bin Herr Herbst. Der Film, ohne jetzt vor der Antwort davonzulaufen, behandelt ja viele sehr spannende Themen. Es geht um Verlust, es geht um den Umgang damit, es geht um Freundschaft, es geht um Gentrifizierung und um Arbeitsplatzverlust. Was macht das mit einem? Es geht um den Blick auf die Welt: Was macht die Welt mit einem, was mache ich selbst mit der Welt? Inwieweit bin ich auch meines eigenen Glückes Schmied und der Schmied meiner eigenen Welt? Wie ist das, Menschen auf einmal in sein Leben zu lassen, was passiert da?
Du hast schon recht, es geht auch um dieses Gefangen sein in sich selbst, aber vielleicht auch eher um selbstgewählte Einsamkeit. Beim Wort „einsam“ schwingt ja immer etwas mit, das hat ja eine negative Konnotation. Carl Kollhoff sagt an einer Stelle, er sei nicht einsam, er sei allein. Das Wichtigste für ihn ist, die Bücher zu ihren Menschen zu bringen. Die Bücher sind irgendwie auch seine Kinder. Er empfindet sich also nicht als einsam.
Man kann ja beispielsweise auch einsam in einer Beziehung sein. Da ist man eigentlich nicht allein, aber trotzdem einsam. Es gibt da also viele verschiedene Blickwinkel darauf. Ich glaube, man muss sich immer wieder die Buntheit des Lebens und der Welt vor Augen führen, offen bleiben und durchlässig sein. Man kann sich Inspiration suchen, auch von außen. Da können einem sehr wohl das Fernsehen oder soziale Medien helfen. Aber es darf eben nicht die Ausschließlichkeit sein, denn sonst hängst du tatsächlich zu Hause nur über deinen Devices und hast ganz viele virtuelle Freunde, aber keinen wirklichen, echten.
Edin, du spielst den Herrn von Hohenesch, der vom Buchspazierer zu Mister Darcy umgedacht wird. Was hat deine Figur dir gegeben?
EH: Ich fand ihn sehr spannend. Er hat die Firma seiner Eltern verkauft, sich dadurch ein paar Feinde in seiner Gegend gemacht, sich zurückgezogen und ist sehr vereinsamt. Ich kenne jemanden in meinem Bekanntenkreis, der leider auch sehr zurückgezogen lebt. Vielleicht kennen andere das auch, dass es Menschen gibt, die sich komplett auch vom sozialen Leben zurückziehen, vereinsamen und dadurch diese sozialen Gewohnheiten komplett verlieren. So ist mein Mister Darcy auch.
Er ist erstmal überrascht, dass dieses Kind da ist. Das überfordert ihn komplett, auch dieses Kindliche in diesem Kind. Er verliert erstmal die Kontrolle, sie stürmt ja auch sofort in sein Zuhause, wo vermutlich schon seit Jahren keiner mehr war. Er weiß überhaupt nicht, wie er souverän damit umgehen soll. Schascha bringt ihm bei zusagen: „Kommen Sie doch bitte rein, hereinspaziert“. Das fand ich sehr süß und gleichzeitig irgendwie tragisch. Ich habe das gelesen und dachte: “Ich fühl den einfach sofort“. Ich kann mir das vorstellen, ich kann das irgendwie nachempfinden. Ich finde toll, wie dieser Wirbelwind [Schascha] jedem im Film wieder so ein bisschen Leben einhaucht.
Ich fand genau das aber im Film total wichtig zu zeigen, diese Einsamkeit der Menschen. Es ist nur eins von vielen Themen im Film, aber es ist ein so wichtiges Thema unserer Zeit und Gesellschaft über das zu wenig gesprochen wird. Wir beide haben jetzt sicher auch nicht die eine Lösung dafür. Aber was wäre für dich vielleicht ein Tipp für Menschen, die raus aus der Einsamkeit wollen. Wir können uns jetzt leider nicht alle eine Schascha nach Hause einladen.
EH: Ich frag mich gerade, ob es für Einsamkeit auch positive Aspekte gibt und mir fallen leider keine ein. Es gibt einen Unterschied zwischen allein sein und einsam sein. Alleinsein ist super, wenn man das kann. Einsam sein ist aber nicht schön.
Ich würde als allerersten Schritt empfehlen, was auch immer das für die Menschen dann bedeutet: Geht raus! Geht raus bedeutet aber nicht: „Verlass unbedingt sofort deine vier Wände!“. Es gibt das Internet. Vielleicht geht es erstmal um eine Haltung, rauszugehen, die Scheuklappen aufzumachen, Dinge wahrzunehmen. Am besten wäre es natürlich rauszugehen, sich mal an der Kasse zu verquatschen, irgendeinen netten Spruch zu sagen. „Sie sehen ja nett aus“ oder „Warten Sie, ich helfe Ihnen“. Ich höre ganz viele Geschichten, dass Leute sich so kennengelernt haben, dass das einfach nett war, dass einem so ein kurzes Gespräch einfach was gegeben hat.
Ich glaube, wenn man das nicht macht, dann bleibt man irgendwie in seinem Kopf und geht immer tiefer und sinkt in sich. Vielleicht ist es sehr vermessen von mir, das jetzt zu sagen, aber ich glaube, es bedarf auch ein bisschen Disziplin. Eine Strenge mit sich, um zu sagen: „Ey, fühl ich mich gerade wohl, geht es mir gerade gut so wie es ist? Nein offensichtlich nicht! OK dann muss ich was machen, auch wenn mir das Angst macht“.
Das neue Unbekannte macht einem immer Angst. Aber wenn man überlegt: Ich bewege mich dahin, denn es kann mir nichts wirklich Lebensbedrohliches passieren. Ich gehe raus und spreche Leute an, lerne Leute kennen, sage einfach mal was. Dann wäre das doch ein erster Schritt.
An einer Stelle heißt es sinngemäß: „Man entdeckt keine neuen Orte, wenn man nicht mutig ist“. Wie bleibt man denn als Erwachsener noch mutig? Ich habe das Gefühl, Kinder sind total mutig, auch Schascha im Film ist ja auch mutig. Aber als Erwachsener verliert man diesen Mut dann häufig.
CMH: Ja, das ist schade, weil so viele Drill Sergeants in der Gegend rumlaufen. Aber vielleicht waren es auch die eigenen Eltern, die bestimmte Dinge über die Erziehung verboten haben. Dabei haben die am Ende auch nur Trigger weitergegeben, die sie selbst von ihren Eltern mitbekommen haben. Es gibt diesen schönen Satz in der Therapie: „Enttäusche deine Eltern, werde glücklich“.
Es lässt sich leicht sagen und gar nicht so leicht umsetzen, aber vielleicht versucht man mal, sich zu lösen von allen Fesseln, die einem das Leben, die eigenen Eltern, oder man sich selbst angelegt hat. Dass man mal politisch unkorrekt ist, dass man den Mut aufbringt, mal Dinge zu tun, die das eigene Gleis verlassen. Das lernt Carl Kollhoff in dem Film ja auch: die eigenen Gleise, die immer selben Wege, die ausgelatschten Pfade zu verlassen und mit Schascha auf einmal ganz neue Wege zu gehen.
Er lernt ganz anders zu sprechen, wird auf einmal mutiger, geht auch mal in die Häuser rein. Das war am Anfang ein Sakrileg und am Ende freuen sich alle. Wenn wir auch im zunehmenden Alter noch mutig bleiben, offen bleiben, durchlässig bleiben, kann das ein Weg sein. Ich habe z.B. noch einen Paragliding-Pilotenschein gemacht. Warum nicht mal von oben auf die Welt runtergucken? Auch wenn das gaga klingt, sich selbst nicht zu unterschätzen, das würde ich für wichtig halten.
Edin, ein bisschen Mut braucht es immer. Aber es muss ja, wie du auch gesagt hast, nicht gleich die Veranstaltung mit 200 Leuten sein. Die kleinen Interaktionen im Alltag geben einem ja so viel und sind ein Anfang.
EH: Man kann ja auch alleine z.B. ins Theater gehen. Da bist du hoffentlich nicht einsam, kannst aber trotzdem alleine da sitzen. Vielleicht passiert da ja direkt neben dir das Schicksalsgespräch, das alles verändert. Es heißt ja nicht, dass ich mich in alles reinstürzen muss und überall sagen muss: „Hallo, hier bin ich“. Es gibt so viele Kulturangebote, es gibt das Kino, Theater, die Oper, Kunstveranstaltungen. Da kann man überall dabei sein.
Ich habe jemanden, den ich sehr schätze, eine ältere Frau. Wir sehen uns sehr regelmäßig, weil wir gemeinsam mit den Hunden spazieren gehen. Sie ist allein und sie erzählt mir jede Woche wie oft sie Leute kennenlernt. Und das einfach nur, weil es ihre innere Haltung zum Leben und zur Welt ist. Ich will jetzt nicht vermessen klingen, aber ich glaube, dass Disziplin da ganz wichtig ist.
Schascha lädt sich ja selber in Mister Darcys Haus ein. Wäre das eine Haltung fürs Leben? Lieber erst mal machen oder besser immer um Erlaubnis fragen?
EH: Man sollte die Grenzen von anderen Menschen immer wahren, egal wie sehr sie vielleicht gegen die eigenen Prinzipien verstoßen. Schascha darf das und ich finde, alle Menschen bis 12 Jahre dürfen sowieso alles. Aber ab dem Alter sollte man die Grenzen wahren und nicht andere dazu verleiten, die Polizei zu rufen. (lacht)
Was deine Frage aber anspricht, ist wieder das Thema Mut. Den Mut zu haben, anzufragen: „Hey, wollen wir ins Gespräch kommen? Kann ich heute vorbeikommen? Gehen wir ins Theater?“ Diesen ersten Schritt zu gehen, das können wir uns von Schascha abgucken.
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