Heidi Klum ist wieder auf Modelsuche – gerade läuft die 20. Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ und für Eltern stellt sich die Frage: ignorieren, gemeinsam anschauen oder verbieten? Für meine zwei Kinder im Grundschulalter kann ich diese Frage für mich ganz klar beantworten: verbieten! Warum ich GNTM nicht mit meinen Kindern schauen würde und was du tun kannst, wenn deine Kids die Castingshow unbedingt sehen wollen.
In jeder GNTM-Staffel fiebert die Zielgruppe der jungen Zuschauerinnen aufs Neue fleißig mit. Laut Statista sind weit über 50 % der Zuschauer*innen von GNTM zwischen 14- bis 49 Jahre alt. Bei der siebten Folge, dem sagenumwobenen „Umstyling“ der weiblichen Models, schalteten aktuell 1,59 Millionen Menschen ein.
Ja, auch ich schaue GNTM – obwohl ich vieles an der Show ablehne, wie z. B. das unrealistische Schönheitsideal und den nicht gerade zimperlichen Umgang mit den oft noch sehr jungen Kandidat*innen. Aber ich bin alt genug, um mich abzugrenzen, sehe GNTM als reines Unterhaltungsformat, nicht als Vorbild, chatte nebenbei mit meinen Freundinnen und lache über den GNTM-Couchticker. Alles halb so wild, oder?
Nicht wirklich, denn Studien haben gezeigt, dass GNTM das Selbstbild junger Menschen nachhaltig beeinflussen kann, schlimmstenfalls sogar die Entstehung von Essstörungen fördert. Sollen wir unseren Kindern GNTM also doch ganz verbieten? Es gibt gute Gründe dafür:
GNTM: Gefährliches Schönheitsideal
GNTM richtet sich an eine junge, beeinflussbare Zielgruppe. Doch was hier als glamouröse Modelkarriere verkauft wird, birgt auch Gefahren: Seit Jahren warnen Expert*innen vor den Folgen solcher Formate, weil sie unnatürliche Körperideale verstärken können, indem sie suggerieren, dass Schönheit in eine sehr schmale Norm passen muss.
Auch die Medieninitiative SCHAU HIN! bewertet GNTM als Risiko-Format:
„Erfolgreich sind Mädchen, die dünn, hübsch und bereit sind, vieles mit sich machen zu lassen. Gefühle, Zweifel und individuelle Charakterzüge werden unterdrückt, junge Frauen werden oft nicht als ernstzunehmend dargestellt.“
In Castingshows geht es vor allem darum, anderen gefallen zu müssen. Regelmäßig werden die Kandidat*innen in der Show kritisiert, Gefühle (z. B. Trauer über den Verlust der geliebten Haarpracht) werden bagatellisiert, lächerlich gemacht. Alles unter dem Deckmantel, der „Wandelbarkeit“, die laut Heidi Klum in der Modeindustrie gefragt ist (sie selbst hat sich allerdings noch nie von ihrer blonden Haarmähne getrennt, komisch...). Gerade für Kinder und Jugendliche kann das Dargestellte zu gefährlichen Denkmustern führen.
Normalisierung von Botox und Fillern
Ich sehe einen weiteren gefährlichen Trend: Kosmetische Eingriffe sind mittlerweile ein großes Thema. Immer mehr junge Menschen lassen sich z. B. Filler spritzen – auch in der Show ist dieser Trend längst angekommen, scheint ganz normaler Standard zu sein, ohne jegliches Risiko und ohne jegliche kritische Einordnung seitens der Produktion, wie das zumindest in den letzten Staffeln noch gehandhabt wurde.
Heidi Klum selbst präsentiert sich im Opener der Show stark gefiltert. Die Botschaft dahinter: Schönheit ist machbar – aber nur mit viel Nachhilfe?
Muss man dünn sein, um schön zu sein? Die Antwort ist ein klares Nein!
GNTM hat sich seit einigen Jahren das Konzept Diversity auf die Fahnen geschrieben – das hört in der aktuellen Staffel aber leider beim "Petite Model" (und sehr vereinzelten Best-Ager- und Curvy-Kandidatinnen) schon wieder auf – das ist nicht das Bild, das ich meinen Kindern von Schönheit, Selbstwertgefühl und Körperakzeptanz vermitteln möchte.
Cyber-Mobbing und öffentlicher Druck
Auch die psychische Belastung der Kandidat*innen darf nicht unterschätzt werden. In der Vergangenheit wurden teilnehmende Models nicht selten zum Ziel von Cyber-Mobbing. Jede noch so kleine Unsicherheit wird auf Social Media seziert, Fehler werden kommentiert, die öffentliche Demütigung gehört zum Konzept einer Unterhaltungsshow dazu. Was für annähernd Erwachsene schon schwer zu ertragen ist, kann für Kinder und Jugendliche verheerende Folgen haben – sowohl für die Models selbst als auch für die jungen Zuschauer*innen, die dieses toxische Verhalten als "ganz normal" wahrnehmen.
GNTM als Familienprogramm?
Trotz aller Kritik: GNTM ist und bleibt erfolgreich. Das Format zu verbieten, macht es für eure Kinder vermutlich noch attraktiver. Im Grundschulalter ist ein Komplettverbot vielleicht noch umsetzbar. Für Kinder ab Teenageralter ist ein bewusster Umgang der bessere Ansatz: Wer sich mit seinen Teens die Sendung anschaut, sollte sie stets kritisch begleiten, immer wieder Gespräche über Körperbilder, Selbstwert und den Einfluss von Social Media führen, das Gesehene kritisch hinterfragen.
Tipps für den Umgang mit Castingshows:
- Nicht ignorieren: Wenn du dich nicht darum kümmerst, ob deine Kinder GNTM schauen oder welchen Einfluss das auf ihr Weltbild und auf ihr Essverhalten hat, bekommst du Veränderungen möglicherweise gar nicht mit. Du versäumst vielleicht die Chance, ein notwendiges Gespräch über wichtige Themen zu führen.
- Nicht verbieten: Verbote bewirken oft das Gegenteil. Wenn du die Sendung verdammst, verspottest und verbietest, werden deine Kinder sie mit einiger Wahrscheinlichkeit erst recht anschauen. Wozu gibt es schließlich Smartphones?
Stärke das Selbstbewusstsein deiner Kinder
Wenn deine Kinder sich für GNTM interessieren, versuche ihr Selbstbewusstsein zu stärken – anstatt, dass es unter dem Format leidet. Beherzige diese 6 Tipps:
- Zeig Interesse: Lasse dich auf die Gefühlswelt deiner Kinder ein, d.h. zeig dich interessiert, lache mit, kommentiere ruhig, aber reagiere nicht nonstop mit Spott. Wichtig ist, dass ihr einen Draht zueinander habt – auch wenn du kein Heidi-Fan bist. Gleichzeitig hast du die Chance, einzuhaken, wenn du siehst, wie die Model-Kandidatinnen zu Objekten degradiert oder aber gegen einander ausgespielt werden. Eine gute Gelegenheit, ein paar Worte über Respekt, Empathie und Toleranz zu verlieren.
- Sprecht miteinander: während der Show und danach. Lass dir von deinen Kids erklären, was sie an der Show toll finden und was sie über die Teilnehmer*innen denken. In so einem Gespräch kannst du vermitteln, dass die Sendung nicht die Realität abbildet, sondern als reine Unterhaltung geplant wurde – Pannen, peinliche Momente und Konflikte inklusive. Bring deinen Kindern so bei, Castingshows und andere Formate zu hinterfragen.
- Vermittle deinen Kindern, dass du sie so liebst, wie sie sind: Kinder sollten keinen Anlass haben, sich zu klein, zu dick oder nicht attraktiv genug zu fühlen oder sich zu sehr auf Äußerlichkeiten zu konzentrieren.
- Zeige deinen Kindern mögliche Vorbilder: Menschen, die besonders hilfsbereit, besonders lustig, besonders erfinderisch sind. Und öffne ihren Blick für unterschiedliche Schönheitsideale.
- Hobbys und Interessen finden: Das kann beispielsweise eine Sportart sein oder die Beschäftigung mit Tieren oder Literatur. Es gibt die ganze Welt zu entdecken – stoß die Türen für deine Kinder weit auf.
- Entdeckt gemeinsame Träume: Möglicherweise haben deine Kinder ein Faible für Design und Kreativität? Malen, Zeichnen und Museumsbesuche könnten etwas sein, was euch allen Spaß bringt. Oder sie sind fasziniert von den Locations der Sendung? Beschäftigt euch gemeinsam mit Geografie – selbst wenn euer nächster Familienurlaub nicht nach L.A. führt, gibt das ihrem Entdeckerdrang möglicherweise Nahrung.
Mach dir GNTM lieber zunutze als zum Feind
Es gibt gute Gründe, GNTM zu verteufeln, aber es ist nun mal da und es wird weiterhin geschaut. Wenn nicht bei dir zu Hause, dann quatschen die Kinder in der Schule darüber, schnappen spätestens dort den Begriff "Model" auf. "Mama, was ist ein Model?", dass ich nach 20 Staffeln GNTM auf diese Frage meines Sohnes keine gute Antwort parat hatte, zeigt, wie viel "Wahres" wirklich in dem Format steckt.