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Berührend

Ich will, dass die ganze Welt von ihm erfährt! Graphic Novel über den Tod eines Kindes

Backside_NILS_© Melanie Garanin, © Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2020_preview

Die Kinderbuchillustratorin Melanie Garanin hat das Schlimmste erlebt, was sich Eltern nur vorstellen können: Den Tod des eigenen Kindes. Ihr Dreijähriger stirbt, vermeintlich, an Krebs. Später stellt sich heraus, ein Behandlungsfehler ist der Grund für den Tod. Über ihren Sohn, ihre Familie und den Kampf in und gegen die Klinik, hat Melanie Garanin eine Graphic Novel gezeichnet, die jeden, der sie liest, berührt. Wir haben mir der Illustratorin gesprochen. 
Melanie Garanin ist vielen, die Kinderbücher (vor)lesen ein Begriff. Sie illustriert auf ihre ganz eigene Art Geschichten für Kleine und ein bisschen Größere, unverkennbar. Meine Kinder lieben die witzigen Bilder, die immer so gut zu den Texten passen. Und nun hat sie eine Graphic Novel, eine illustrierte Geschichte, herausgebracht. Und das Thema haut einen um.

NILS: Von Tod und Wut. Und von Mut.

NILS: Von Tod und Wut. Und von Mut.

Preis kann jetzt höher sein. Preis vom 23.11.2024 03:13 Uhr

NILS - Über den Tod und Wut. Und Mut

In "NILS" geht es um das Unvorstellbare. Um das, was wir alle nicht mal zu denken wagen: Der Tod des eigenen Kindes. Nils, der Sohn der Autorin, stirbt mit drei Jahren. Er war krank, im Krankenhaus bekommen die Eltern gesagt, Nils hat Leukämie. Auf der Kinderonkologie bekommt er Bluttransfusionen, Medikamente. Und wird wieder gesund, davon gehen Eltern und Ärzte jedenfalls aus. Die wöchentlichen Blutkontrollen zeigen keine Auffälligkeiten.

Ein Kind stirbt

Aber Nils geht es nicht gut, er hat immer wieder Fieber und starke Bauchschmerzen. Er bekommt neue Medikamente, "alles okay" sagen die Ärzte. Am nächsten Tag ist Nils tot. Lange vermuten die Eltern, es sie der Krebs gewesen, die Leukämie sei zurückgekehrt. Die Gerichtsmedizin hat da Zweifel. Es stellt sich heraus, dass Nils an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung gestorben ist. Und die kam nicht von der Leukämie.

Ich möchte, dass das Buch für alle ist. Aber kann natürlich verstehen, wenn jemand zögert bei dem Thema und vielleicht Angst hat, sich lesend damit zu befassen. Vielleicht ist das für „Betroffene“ leichter. Ich habe es jedenfalls nicht FÜR jemanden geschrieben.
Melanie Garanin
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Im weiteren Verlauf der Graphic Novel zeigt Garanin, wie sie mit ihrer Familie, mit Freund*innen und Gutachtern versucht, Gerechtigkeit für ihren Sohn zu erstreiten. Auch wenn klar ist, nichts wird den Schmerz um den Verlust von Nils wieder lindern. Auch dieses Buch wird das nicht tun.

Geschichte von Nils erzählen

Melanie Garanin sagt:  "Ich wollte die Geschichte von Nils erzählen. Weil sie aus vielen Gründen wichtig ist. Und weil ich wollte, dass die ganze Welt von ihm erfährt. Ich habe mir ganz am Anfang eine kleine Liste gemacht, was mein Buch bitte auf jeden Fall nicht werden soll: Kein Trauerratgeber, keine Mein-Schlimmes-Schicksal-Biografie und keine Fachliteratur für Betroffene." Und all das ist das Buch auch nicht geworden.

Natürlich hat es von allem ein bisschen, aber vor allem ist es eine, zwar sehr traurige, aber bis oben mit Liebe voll gestopfte Geschichte mit einer Menge Schimpfwörter drin.
Melanie Garanin

Beim Lesen des Buches werden wohl die meisten weinen müssen, oder wenigstens einen Kloß im Hals haben. Aber das ist ok. Denn der Tod tut weh. Und wenn es ein Kind betrifft, dann noch viel mehr. Und doch ist da auch immer wieder Leichtigkeit. Wenn Melanie Garanin darüber schreibt, welche Sätze zu denken sie sich nicht erlaubt ("O Gott, NIEMALS Hätte-Sätze!!!") dann geht das nah.

Details, die berühren

Wenn die kleine Lampe als stilistisches Mittel Interviews führt, entlarvende und unterstützende, dann ist das schön. Garanin zeichnet die Unterstützer ihrer Familie als Ritter, die mit Rüstung und Schwert für Nils kämpfen. Am Ende der Graphic Novel ziehen sie alle gemeinsam in die Schlacht gegen das Krankenhaus, aber auch gegen das System, das sich der Verantwortung nicht stellt. Denn rechtlich wurden die Ärzte und Ärztinnen nie belangt.

Es braucht die Öffentlichkeit

Wie aber kann man so ein Buch zeichnen und schreiben, wollten wir von Melanie Garanin wissen. Denn zum einen muss das alles ja noch mal durchlebt werden, zum anderen wird die private Geschichte dann ja so öffentlich, stehen Interviewtermine (wie mit uns) und Promo für das Buch im Raum. Aber genau das, dieser öffentliche Raum, das Hinsehen, das ist wichtig. Denn auf die Art lebt Nils weiter. Und schützt im besten Fall andere Familien davor, ebenfalls ihr Kind zu verlieren.

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Humor zu bewahren "ist nicht so schwer, wenn man sich klar macht, dass man so oder so weiterleben muss soll darf. Vielleicht ist es der Willen, nicht aufzugeben. Oder Trotz, nicht unterzugehen. Trauern bedeutet jedenfalls nicht, nie mehr zu lachen. Und auf jeden Fall hilft es sehr, dass wir uns als Familie alle haben."
Melanie Garanin

"Beim Schreiben gab es Seiten, die ich tagelang vor mir hergeschoben habe. Weil ich mich aber gezwungen habe, chronologisch, von vorne nach hinten zu zeichnen, damit am Ende nicht nur das übrig bleibt, was ich dann vielleicht lieber nie mache, habe ich die Zähne zusammengebissen und bin dann da durch", sagt Garanin.

Die Seiten mit Nils

Das Schlimmste, erklärt sie, "sind vor allem die Seiten, auf denen Nils selbst vorkommt, weil die Erinnerung manchmal furchtbar wehtut. Prozentual gesehen habe ich etwa 10% geweint und geschrien, 10% gelacht oder gelächelt, 30% nachgedacht und überlegt, 10% an allem gezweifelt, mich zu 20% gefreut, es machen zu dürfen und 50% Hörbücher oder Podcasts gehört und dabei einfach Seite für Seite reinzeichnend runtergeschrubbt. Was rechnerisch nicht funktioniert."

Kindern mehr zutrauen

Der Humor kommt im Buch nicht zu kurz, es ist kein Buch in dem immer nur geweint wird. Meine Kinder nehmen die Graphic Novel immer wieder zur Hand. Im ersten Moment dachte ich, dass das nicht geht. Weil es doch um den Tod eines Kindes geht. Aber zum einen können wir unseren Kindern mehr zutrauen, als wir glauben. Und zum anderen sehen sie, wenn sie noch nicht lesen können, vielleicht eine ganz andere Geschichte darin.

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Durch "NILS" können wir Eltern mit unseren Kindern ins Gespräch kommen, über den Tod und Wut. Und über Mut. Was für ein wichtiges Geschenk!

Jetzt, wo es fertig ist, denke ich, hat eigentlich alles daran Spaß gemacht. Auch das Heulen.
Melanie Garanin
Andrea Zschocher

Meine Meinung

Meine Kinder sind Fans von Melanie Garanin. Als das Buch hier ankam, haben sie sich sofort darauf gestürzt. Und natürlich hatte ich große Sorgen, Tod, Krebs, Traurigkeit, sind das wirklich Kinderthemen? Aber die Sechs- und der Vierjährige betrachten das Buch auf eine vollkommen andere Weise, sie sehen, weil sie nicht lesen können, auch eine andere Geschichte darin.

Sie fragen, wo der Junge hin ist, der so lange im Bett lag. Und warum alle so traurig aussehen. Was die Ritter bedeuten und die Tiere mit den Kerzen auf dem Kopf. Alles Einladungen für Gespräche, die wir dann führen. Und so trifft es bei uns zuhause auf jeden Fall zu, dass wir über Tod und Wut sprechen. Und über Mut.

Den Mut von Melanie Garanin diese Geschichte aufzuschreiben und zu zeichnen, sich diesem öffentlichen Schmerz auszusetzen. Und den meiner Kinder in ihrem Alltag. Denn das Buch zeigt auch, wir müssen für die wichtigen Dinge (manchmal) kämpfen.

Andrea Zschocher

Bildquelle: © Melanie Garanin, © Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2020