Die Bundesregierung hat im Juli den Entwurf für den Haushalt für 2024 beschlossen. Und, Überraschung: Es muss weiter gespart werden. Die Einkommensgrenze für den Bezug von Elterngeld sollte halbiert werden, künftig sollen also weniger Menschen Elterngeld beziehen können als bisher. Das entfachte einen enormen Gegenwind bei vielen Eltern und Verbänden. Jetzt gibt die Ampel-Koalition genauere Pläne bekannt
+++ Update zur Einkommensgrenze +++
Im Sommer 2023 kündigte Finanzminister Lindner seinen Haushaltsplan für 2024 an: Gespart werden soll überall, auch bei den Familien. Der Plan war, dass Eltern mit einem recht hohen Einkommen kein Elterngeld mehr bekommen. Die Einkommensgrenze für den Elterngeldbezug sollte bei 150.000 € jährlich liegen. Diese Pläne wurden jetzt laut tagesschau.de dementiert: Ab April 2024 soll die Einkommensgrenze für Paare von 300.000 auf 200.000 € reduziert werden und nach einem Jahr dann auf 175.000 €. Durch die "verzögerte Absenkung" sollen Familien mehr Zeit bekommen, sich darauf einzustellen, so Felix Döring, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss.
Auch bei den Partnermonaten beschließt die Ampelkoalition eine Änderung: Eltern können dann weiterhin zusammen bis zu 14 Monaten Elternzeit nehmen, aber nur noch einen Monat davon gleichzeitig, nicht wie bisher zwei. Dieser gleichzeitige Monat kann aber nur im ersten Lebensjahr des Kindes eingereicht werden. Für Mehrlingsgeburten gelte diese Regelung nicht.
Lindner will besserverdienenden Eltern das Elterngeld streichen
Auch im kommenden Jahr muss gespart werden, um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu erreichen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat seinen neuen Haushaltsplan für 2024 vorgelegt und sorgt damit bei vielen für Entsetzen. Das Elterngeld für Besserverdienende soll komplett gestrichen werden. Und diese 'Besserverdienenden' sind ab jetzt Paare, die zusammen 150.000 € als zu versteuerndes Jahreseinkommen aufweisen können.
Das zu versteuernde Jahreseinkommen ...
- ... ist immer niedriger als das Bruttogehalt.
- ... ist das, was rauskommt, wenn man vom Bruttoeinkommen Werbungskosten, sonstige Aufwendungen, Versicherungsbeiträge, Entfernungspauschalen und alle anderen steuerlichen Freibeträge abzieht.
- ... findet ihr in eurem Einkommensteuerbescheid.
Wer sind diese 'Besserverdienenden' und wieviele Familien sind betroffen?
Von der geplanten Kürzung des Elterngelds für Bezieher besonders hoher Einkommen könnten einige Zehntausend Familien betroffen sein. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) schätzt die Zahl auf 60.000 Familien, die künftig keinen Elterngeld-Anspruch mehr hätten.
1,85 Millionen Menschen bezogen im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt Elternngeld. Rund fünf Prozent davon würden ab 2024 auf die staatliche Lohnersatzleistung während der Elternzeit verzichten müssen. Schätzungen des Nachrichtenmagazin Spiegel (hinter der Paywall) sprechen sogar von über 400.000 Paaren in den kommenden Jahren. Die Schätzung des Familienministeriums berücksichtige nur die Paare, die bereits jetzt Kinder haben. Ziehe man noch all die Paare in Betracht, die theoretisch in den kommenden Jahren Kinder bekommen könnten, ergäbe sich diese deutlich höhere Zahl.
Elterngeld ...
- ... bekommen Paare aktuell mit einem Brutto-Jahreseinkommen von bis zu 300.000 € nach der Geburt eines Kindes, wenn sie im Job pausieren. Die Einkommensgrenze für Alleinerziehende liegt bei 250.000 €.
- ... beträgt 65-67 % des vorherigen Nettoeinkommens.
- ... beträgt bis zu 1.800 € im Monat.
- ... beträgt mindestens 300 € für Mütter und Väter, die vor der Geburt des Kindes kein oder ein sehr geringes Einkommen hatten.
- ... wird länger ausgezahlt, wenn beide Elternteile im Job pausieren.
Was wäre die Alternative?
„Ausgaben und Maßnahmen müssen priorisiert, Einsparpotentiale identifiziert und realisiert werden“, so der Wunsch aus dem Finanzministerium. Christian Lindner hat allen Ressorts für 2024 Einsparungen auferlegt – so auch dem Familienministerium. 90 % ihres Budgets sei gesetzlich gebunden, erklärte Paus. "Daher musste ich an eine gesetzliche Leistung herangehen und hatte den Auftrag vom Bundesfinanzminister, das Elterngeld zu kürzen."
Diese Vorgabe ließe mehrere Handlungsmöglichkeiten zu: Die Leistungen an sich zu kürzen – was auch Normal- und vor allem Geringverdienende getroffen hätte. Oder oben anzusetzen und bei denen zu sparen, die nicht zwangsläufig darauf angewiesen sind, um über die Runden zu kommen. "Für die Gleichstellung, in der Tat, ist das kein Glanzstück", gab Ministerin Paus zu. Und Gleichstellung war ursprünglich der Grund aus dem 2007 das Elterngeld initial eingeführt wurde.
Mir bleibt der Schrei im Hals stecken
Vorwürfe, wie sie z.B. Verena Pausder im Stern erhebt, kann ich gut nachvollziehen: Paare, die 150.000 € zu versteuerndes Einkommen haben, sind nicht zwangsläufig Rich Kids, CEOs oder Topmanager. Das Leben – vor allem in Großstädten – ist auch für Ingenieurs-Paare oder Professor*innen teuer und auch mit guten Gehältern muss man haushalten. Von fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten und einem krassen Rückschritt für partnerschaftliche Vereinbarkeit gar nicht erst zu sprechen. Zur Petition geht's hier.
Gäbe es nur die Entscheidung zwischen den beiden Alternativen, wäre ich aber sicherlich auch bei Lisa Paus. Normal- und vor allem Geringverdiener*innen dürfen in diesen Zeiten unter keinen Umständen Bezüge gekürzt werden.
Bildung und Familienförderung sind seit Jahrzehnten unterfinanziert und überreguliert. Es fehlt an allen Ecken und Kanten: Zu wenig Lehrer*innen, Kitas, Schwimmkurse und Schulpsycholog*innen. Dafür eine größer werdende Schere an Bildungsungerechtigkeit. Zurecht ist der Aufschrei immer groß, wenn es um Kürzungen im Familienbereich geht. Und in der Regel schreie ich da auch gerne mit. Aktuell bleibt mir der Schrei allerdings im Halse stecken. Denn die wirkliche Katastrophe passiert währenddessen an anderer Stelle:
Zur Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung sind nach Angaben von Lindner als "Merkposten" für 2025 zwei (!!) Milliarden € veranschlagt. Von Ministerin Paus geplant waren 12. Gebraucht werden sicherlich noch mehr. Ohne hier die einen gegen die anderen Familien ausspielen zu wollen, sieht man sich aktuell dazu gezwungen.
Mehr als jedes 5. Kind und jeder 4. junge Erwachsene in Deutschland ist direkt von Armut betroffen. Drei Millionen Kinder und Jugendliche sind armutsgefährdet und weitere 1,55 Millionen junge Erwachsene (bis 24). Bei dieser Quasi-Streichung der Kindergrundsicherung geht es nicht um Einschränkungen im Alltagsleben oder Geschlechterungerechtigkeit, sondern um die ersten drei Stufen der Bedürfnispyramide: Essen, Sicherheit, Bildung und soziale Teilhabe.
Eine Petition gibt es auch hierzu. Unterschreiben schadet sicher nicht. Ob's hilft? Die Hoffnung stirbt zuletzt ...
Auch hier soll gekürzt werden
Nicht nur Elterngeld und Kindergrundsicherung sind von Einsparungen betroffen, auch in anderen Bereichen soll gekürzt werden. So soll der Bundeszuschuss für die Pflegeversicherung im kommenden Jahr komplett entfallen und auch der Zuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung auf bisherigem Niveau gehalten werden. Ebenso soll der Zuschuss für die gesetzliche Rentenversicherung gesenkt werden.
Hier auf der zweiten Seite könnt ihr sehen, in welchem Ressort wieviel eingespart werden soll 2024:
Was ist mit den aktuell Schwangeren?
Problematisch ist beim aktuellen Vorschlag vor allem auch das Timing. 2024 soll die Änderung in Kraft treten – und Babys haben in der Regel eine Lieferzeit von 40 Wochen. Paaren, die aktuell ein Kind erwarten, bricht ein wichtiger Baustein ihrer Familienfinanzen weg, mit dem sie fest gerechnet haben. 14 Monate mal 1.800 € sind 25.000 €, mit denen kalkuliert wurde, die nun fehlen. Das ist auch für Eltern, die als 'Besserverdienende' gelten, kein Pappenstiel.
Quellen: Statistisches Bundesamt, T-Online, FR, Spiegel, Tagesschau ,Wikipedia