Das Leben in einer Patchworkfamilie kann so unterschiedlich sein, wie Familien es eben sind. Es gibt die Familien, in der sich alle super verstehen und die, in der es etwas komplizierter ist. Was über allem stehen sollte, ist die Liebe der Partner*innen zueinander und die Liebe zu den Kindern.
Viele Familien sind Patchworkfamilien
Je nach Datenquelle leben etwa 7 bis 13 % aller Familien in Deutschland in einer Patchworkfamilie. Und doch wird sie selten thematisiert und wenn, dann oft im negativen Sinn. Schon Bezeichnungen wie "Stiefmutter" oder "Stiefvater" wecken, zu Unrecht, negative Assoziationen.
Patchworkfamilie: Viele Vorurteile
Zeit, mit den Vorurteilen gegenüber Stieffamilien aufzuräumen. Wir haben einige Patchworkfamilien befragt, wie gut das Zusammenleben klappt und welche Tipps sie anderen Familien geben würden. Denn wir alle wissen doch: Am besten lernen wir von anderen (positiven) Beispielen.
„Bei Patchwork denkt man zunächst an eine bunte, hübsch miteinander verknüpfte Decke. Und viele Prominente machen das ja auch vor. Man sieht Fotos von lachenden Paaren mit einer ganzen Schar glücklicher Kinder“, berichtet Diplom-Psychologin und Autorin des Sachbuchs „Glückliche Stiefmutter“, Katharina Grünewald. „In Patchwork steckt ja schon das Wort ,work‘, also ,arbeiten‘. Das Bunte, Lebendige steht für mich bei Patchworkfamilien zwar auf jeden Fall im Vordergrund, trotzdem bedeutet es oft harte Arbeit, bis sich eine neue Form der Familie entwickelt.“
Patchworkfamilie muss sich Alltag erarbeiten
In klassischen Familien habe man es, so Grünwald, oft leichter: „Da wächst man als Paar erst einmal zusammen. Später geht dann idealerweise ein Kind der Liebe aus dieser Beziehung hervor. Das heißt, das Paar bildet schon ein Gefüge von Selbstverständlichkeiten, zum Beispiel wer sonntags den Frühstückstisch deckt, ob an Geburtstagen ein Ständchen gesungen wird, wer abends für alle kocht. In dieses Gefüge wächst das Kind ganz natürlich hinein“, sagt Katharina Grünewald.
Das ist bei einer Patchworkfamilie so nicht der Fall. Da treffen zwei Elternteile aufeinander und die Kinder werden ohne gewachsene Strukturen in die neue Situation geworfen. Klar, dass das am Anfang für viele Reibereien sorgt.
Geschwister spielen auch in Patchworkfamilien eine wichtige Rolle. Im Video findet ihr fünf Gründe, warum Geschwister großartig und wichtig sind:
Zwei Familien leben zusammen
Eine Mama berichtet: "Patchwork heißt für uns, dass zwei Familien zusammen leben. Wir haben stets versucht, das auch zu würdigen. Also unser Ziel war nicht unbedingt, aus zwei Familien eine zu machen, sondern genau zu schauen, an welchen Stellen wir zusammen wachsen können und aber auch, an welchen nicht.
In vielen Punkten war es uns glücklicherweise gut möglich, zusammenzuwachsen, da wir in vielen Dingen wirklich gut übereinstimmen. Allerdings haben wir ja auch vorher eine ganze Weile schon als Familie funktioniert. Daher war es uns wichtig, nicht einfach alles über den Haufen zu werfen, sondern auch eigene Rituale und Gewohnheiten weiter zu pflegen. Es sind dann eher noch neue hinzugekommen, die wir dann als neue Gemeinschaft gemeinsam miteinander entdeckt haben und seither pflegen."
Patchworkfamilie: Zusammenleben als neue Familie
„Patchworkfamilie heißt für mich“, sagt Vroni, Mama von zwei Kinder „dass verschiedene Personen, die nicht unbedingt miteinander verwandt sein müssen, zusammen als Familie zusammenleben. Für uns sind wir nicht anders als andere Familien. Wir für uns bestehen eben aus Papa, Mama und unseren drei Kindern. Keiner macht da einen Unterschied vonwegen `das ist aber nicht mein Papa`/`das ist aber nicht mein Kind`. Für die Kinder ist der Papa ihr Papa, für meinen Mann sind alle Kinder seine Kinder.“
Eine Mama erzählt: "Herausfordernd finde ich, dass gerade am Anfang jeder für sich seine Strukturen und Abläufe hat und diese auch oft nicht übereinstimmen. Dies in Einklang zu bringen oder auch dem jeweils anderen die Freiheit zu geben, Erziehung, Abläufe, Strukturen anders zu machen als man selbst, finde ich schwierig."
Für manche ist Patchwork eine Chance
Patchworkfamilie kann auch eine Chance sein, etwas anders zu machen. Vroni berichtet: „Wir versuchen, aufeinander Rücksicht zu nehmen und jeden so anzunehmen, wie er ist. Das kann schon eine ganz schöne Herausforderung sein, bei der es vor allem gilt ruhig zu bleiben. In meiner Herkunftsfamilie wurde viel geschrien, in unser beider Herkunftsfamilien zählten die Meinungen der Kinder nicht. Das versuchen wir explizit anders zu machen, weil wir möchten, dass unsere Kinder eine Stimme haben und diese auch benutzen dürfen. Uns sind die unterschiedlichen Sichtweisen, Vorschläge und Wünsche der Kinder sehr wichtig und wir gehen so gut es uns möglich ist, auf diese ein.“
Eine Patchworkfamilie hat Vorteile
„Der Vorteil einer Patchworkfamilie ist für mich vor allem, dass man alle zwei Wochen mal ein reines Paar-Wochenende hat, wenn man denn die kindfreien Wochenenden gleichzeitig legen kann. Das tut vor allem der Beziehung gut."
Eine Patchwork-Mama
Eine andere Mutter erzählt: "Im Patchworkgeflecht lässt sich sehr viel lernen über Respekt, über das "anders-sein", über Grenzen und Bedürfnisse und über die Kommunikation derselben. Es ist ein großes Lernfeld, bei dem ALLE lernen müssen. Abgesehen davon gefällt mir, dass z. B. mein Mann auf meine Kinder einen anderen Blick mitbringt als ich es je haben kann und ich bei seinen Kindern ebenso."
Patchworkfamilie: Wo die Liebe hinfällt
Für Knut Simon, freier Motor-Journalist aus Hamburg und Vater von vier Kindern, war aller Anfang schwer: „Als ich meine jetzige Freundin kennenlernte, war ich bereits 14 Jahre lang mit meiner damaligen Freundin zusammen und hatte einen zweijährigen Sohn mit ihr. Ich habe mich auf einer Hochzeit Hals über Kopf in die Freundin der Braut verliebt. Sechs Wochen später war sie von mir schwanger. Ich musste mich für eine Familie entscheiden und wählte die neue“, erzählt er.
Für seine damalige Freundin war die Entscheidung ein Schock. „Trotzdem war mir immer klar, dass ich auch der Vater von Mika, meinem Ältesten, bin. Zu ihm wollte ich den Kontakt nie verlieren“, sagt Simon. Nach vielen Gesprächen haben sich alle schließlich zusammengerauft und pflegen heute einen freundschaftlichen, engen Kontakt.
Patchwork ist Arbeit!
„Natürlich war das ein hartes Stück Arbeit. Da sind auch mal die Fetzen geflogen und Tränen geflossen. Aber ich bin glücklich und dankbar dafür, wie gut es funktioniert“, sagt der 45-Jährige. Er habe großes Glück gehabt, fügt er hinzu. „Meine Ex-Freundin hat nie versucht, meinen Sohn gegen mich auszuspielen. Wir haben immer geschaut, eine Lösung zu finden, die für alle passt. Heute verstehen sich sogar meine Ex- und meine jetzige Freundin sehr gut.“
Manchmal geht’s ganz schnell
Bei manchen dauert es Jahre, bis sie als Patchworkfamilie zusammen ziehen, bei anderen geht es ganz schnell. So wie bei Vroni. „Aus uns wurde recht schnell eine Patchworkfamilie. Ich habe von Anfang an klar gesagt, dass es mich nur mit meinen beiden Kindern gibt und für meinen Mann stand das außer Frage. Die Kinder haben meinen Mann damals nach einer knappen Woche das erste Mal kennengelernt – ich habe ihn damals aber nicht als meinen Freund, sondern als einen Freund vorgestellt – und wollten ihn nicht mehr los werden.
Mein Mann hat sich direkt super mit den Kindern beschäftigt, hat ihnen zugehört, ist auf sie eingegangen. Das war toll. Wir hatten wenig Zeit, uns `nur` als Paar kennenzulernen, die Kinder haben von Anfang an eine zentrale Rolle gespielt, es war mehr, als würde eben einfach das fehlende Puzzleteil in Form meines Mannes dazukommen. Wir sind nach 7 Monaten zusammen gezogen, haben allerdings auch vorher schon größtenteils zusammen gewohnt.“
Patchwork braucht Spielregeln und Rituale
Doch nicht alle haben das Glück, dass ihre Ex-Partner*innen verständnisvoll und kompromissbereit sind.
Eine Patchwork-Mama berichtet davon, dass es Schwierigkeiten gibt: „Die Expartner-Situation auf der Seite meines Freundes sieht ganz anders aus. Die Mutter seines Sohnes versucht alles, es dem Vater schwer zu machen. Hier wird gestritten per Anwalt, vorm Kind etc. Und das belastet auch die neue Beziehung.“ Und gerade wenn Anwälte dazukommen, dann denkt manch eine*r über die Trennung nach.
Patchwork braucht klare Ansagen
Klare Ansagen können manchmal helfen. Eine andere Patchwork-Mutter erzählt, wie sie die Situation geregelt hat. "Hier ist es so, dass mein Ex Partner und der neue Partner von Anfang an von mir gesagt bekommen haben, dass ich das Glück meiner Tochter über alles stelle und wenn hier Gerangel unter Männern statt findet oder der neue Partner nicht ertragen kann, dass ich mich mit dem alten Partner noch sehr gut verstehe, es dann zu keiner gemeinsamen Zukunft kommen wird. Ich habe das große Glück zwei sehr tolerante Männer zu haben, die sich tatsächlich auch einfach gut verstehen und auch ohne mich auf ein Bier vor die Tür gehen würden.“
Viele Ex-Partner*innen beharren auf Regeln
„Vielen Ratsuchenden ist gar nicht bewusst, dass sie zahlreiche Rituale pflegen“, sagt Katharina Grünewald. Die Stiefmutter beharre auf Regeln, damit sie nicht im Familienwirrwarr untergeht, die Stiefkinder forderten die Kontinuität des Gewohnten ein und die Väter kämpften um eine funktionierende Ordnung, die Konflikte vermeide. „So fordert unbewusst jeder seine eigenen Rituale ein, weil sich jeder in einer unsicheren und neuen Situation befindet“, sagt die Psychologin. Sie hält Regeln und Rituale auch für absolut notwendig, wenn sie richtig abgestimmt sind. „Regeln und Rituale bieten Halt und Sicherheit. Sie erleichtern das Zusammenleben und garantieren einen funktionierenden Ablauf.“
Es ist für alle schwer
„Natürlich war es oft auch für meine Freundin schwer, vier Kindern gerecht zu werden, denn das Kind aus der alten Beziehung will nicht benachteiligt werden gegenüber den ‚neuen‘ Kindern“, erinnert sich Simon. Man müsse also achten, gleich viel Gemecker und Liebe zu verteilen. „Mika kommt mit uns in den Urlaub. Ich sehe ihn regelmäßig, verbringe viel Zeit mit ihm. Das muss meine neue Familie akzeptieren und mitleben“, fügt er hinzu.
Dennoch könne man Verständnis nicht immer voraussetzen, meint Katharina Grünewald: „In meiner Praxis mache ich mit vielen Paaren ein Kommunikationstraining. Es gibt oft Fälle, bei denen die Stiefmutter Schwierigkeiten mit den fremden Kindern ihres Partners hat.“ Dabei sei auch Eifersucht ein Thema. „Jemand, der unsicher ist, ob er den Platz den er beansprucht, auch einnehmen darf, verhält sich oft eifersüchtig“, fügt sie hinzu.
Patchworkfamilie: Miteinander reden ist der Schlüssel
Ein Schlüssel, um aus dem Dilemma herauszukommen, sei, miteinander zu reden. „Das muss aber eine gezielte Kommunikation sein. Viel reden allein bringt nichts, wenn die anderen nicht zuhören oder das Gesagte nicht ankommt“, so Grünewald. „Ich sehe meine Aufgabe darin, einen Dialog in Gang zu bringen. Ich will, dass jeder Mensch mit all seinen Facetten gesehen wird. Dafür versuche ich ein Bewusstsein zu schaffen.“
Dann hält sie inne und lächelt: „In Patchworkfamilien wird oft mehr und intensiver gestritten als in klassischen. Eine Patchworkfamilie ist dichter, intensiver. Aber das macht sie auch so bunt und lebendig und wunderbar.“
So kann die Patchworkfamilie gelingen
„Ich denke", sagt Patchwork-Mama Vroni, "Patchwork kann gelingen, indem man viel Verständnis einander gegenüber hat und jeden sein lässt, wie er ist. Kommunikation, Akzeptanz, Liebe und Annahme sind da meiner Meinung nach die Schlüssel ebenso wie Geduld. Man muss sich Zeit geben und einander in Ruhe kennenlernen. Es ist ok, wenns mal kracht – wichtig ist, den Auslöser zu erkennen und zu schauen, was ein jeder braucht, damit das nächste Mal anders mit der Situation umgegangen werden kann.
Wir sind nun, nach den ganzen Jahren, eine Einheit. Aber auch diese ist eben erst zusammengewachsen. Ich denke, dass es sehr sehr wichtig ist, von Anfang an alles offen und ehrlich zu besprechen, beim Entstehen von Problemen direkt nach Lösungen zu suchen und nicht irgendetwas in sich hineinzufressen. Und Ehrlichkeit ist unerlässlich. Wenn etwas für eine Person im Haushalt nicht funktioniert, dann ist es wichtig, dass das angesprochen und nach Lösungen gesucht wird.“
Ja, Patchwork ist nichts für Feiglinge.
Eine Patchwork-Mama fasst es so zusammen. "Ich glaube, dass es nie leicht ist. Mein Mann ist ein wunderbarer Chaos-Manager, sehr geduldig und mutig - das hilft ungemein. Ich bin dann oft die kreative Lösungsfinderin und halte oder führe die Strippen immer wieder zusammen. Humor hilft! Humor, vor allem gemeinsamer, ist ungemein wichtig. Uns persönlich ist aber ebenso wichtig, dass wir immer wieder Paarzeit haben, die wir völlig frei für uns gestalten und in der wir uns auch wieder auftanken."
Volle Zustimmung
Patchwork ist nichts für Feiglinge, was für eine wahre Aussage. Es braucht ungleich mehr Mut eine Patchworkfamilie zu gründen, weil die Fallhöhe so viel höher ist. Deswegen finde ich es bewundernswert, wie viele Familien sich doch trauen. Ich wünschte mir, es würde auch mehr darüber gesprochen werden. Da gibt es eindeutig noch Nachholbedarf. Denn wenn es 7-13% aller Familien in Deutschland betrifft, dann haben auch die eine Stimme und sollten mehr gehört werden.
Buchtipps für die Patchworkfamilie
Quelle Datenlage: BMFSFJ
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