In unserem Idealbild von Familie sind Eltern immer für ihre Kinder da, beschützen und unterstützen sie und begleiten sie mit Liebe und Wohlwollen durch ihre Kindheit, Jugend und das Erwachsenendasein. Toxische Eltern tun dies alles nicht, bzw. nur nach außen. Woran ihr toxische Eltern erkennt, welche Folgen eine toxische Kindheit haben kann und wie ihr euch aus einer toxischen Eltern-Kind-Beziehung lösen könnt.
Was sind toxische Eltern?
"Toxische Eltern" ist kein eindeutig definierter Begriff aus der Medizin oder Psychologie. Es werden damit aber Eltern bezeichnet, deren Verhalten ihren Kindern gegenüber zu einer "vergifteten", sprich ungesunden, Kindheit führt. Das kann schwere Auswirkungen bis in unser Erwachsenenleben haben und wird von vielen Kindern auch erst dann erkannt. Denn solange wir klein sind und zuhause leben, halten wir das Verhalten unserer Eltern für normal. Deshalb können wir als Kind noch nicht erkennen, dass unsere Eltern toxisch sind.
Ein Toxin ist ein Gift. Wie schädigend dieses Gift wirkt, hängt von seiner Giftigkeit und der Dauer und Dosis ab, die wir diesem Gift ausgesetzt sind. Das bedeutet, je toxischer das Verhalten von Eltern ist und je enger unser Kontakt mit ihnen, desto schädlicher wirkt sich das auf unsere Psyche aus.
Diese Merkmale sind typisch für toxische Eltern
Toxische Eltern können nach außen sehr liebevoll und beschützend gegenüber ihren Kindern wirken. Doch zuhause hinter verschlossenen Türen schaden sie ihren Kindern mit ihrem toxischen Verhalten massiv. Wer sich einmal mit den typischen Verhaltensmustern von toxischen Eltern vertraut gemacht hat, wird diese bei seinen eigenen, aber auch fremden Eltern, schnell(er) erkennen:
- Ständige Kritik Nichts, was du tust ist gut genug. Wenn du dieses Gefühl von der Reaktion deiner Eltern auf dich und deine Leistungen kennst, dann hast du eventuell toxische Eltern. Damit meinen wir nicht, dass Eltern toxisch sind, sobald sie ihren Nachwuchs mal kritisieren. Hier macht der Ton und die Häufigkeit den Unterschied.
- Abwertung der Lebensumstände Dein Job könnte besser sein. Deine Wohnung ist nicht groß genug. Dein Auto zu alt, deine Kinder zu frech. Toxische Eltern akzeptieren nur ihre eigene Lebensweise und die, die sie für ihre Kinder vorgesehen haben. Weichen deine Lebensumstände von dem Wunschbild deiner toxischen Eltern ab, werden sie permanent abgewertet.
- Vergleich mit anderen und/oder Geschwistern Bei den anderen läuft es immer besser – sie sind leiser, braver, fleißiger, schöner, schneller und schlauer. Wenn toxische Eltern ihre Kinder vergleichen, dann schneiden sie immer schlechter ab als die anderen. Gerne wenden toxische Eltern diese Art des Wettbewerbsvergleich auch gegenüber Geschwisterkindern an, um dadurch zu bestrafen und herabzusetzen. Manchmal wird dieses Verhalten sogar bewusst verwendet, um einen Keil zwischen die Geschwister zu treiben.
- Grenzüberschreitungen Toxische Eltern bestimmten über ihre Kinder. In einem toxischen Elternhaus ist kein Platz für eigene Entscheidungen und schützende Rückzugsorte. Die Eltern fordern zu jeder Zeit zu jedem physischen und psychischen Ort Zugang und die Hoheit, darüber zu bestimmen bzw. ihre Meinung Kund zu tun.
- Manipulation Die Möglichkeiten, wie Eltern ihre Kinder manipulieren können, sind vielfältig: Von direkter Manipulation, bei der dem Kind konkret etwas (falsches) eingeredet wird, über Gaslightning bis hin zur Manipulation über Bande, bei der die Eltern sich gegenseitig ausspielen, um das Kind in ihrem Sinne zu beeinflussen.
- Fehlende Empathie Alles halb so schlimm. Stell dich nicht so an. Jetzt ist aber mal gut. Warum heulst du denn? Das sind nur ein paar Aussagen, die Kinder toxischer Eltern zu hören bekommen. Denn sich in ihr Kind hineinzuversetzen, seine Gefühle zu verstehen, zu akzeptieren und ihm damit zu helfen, das können oder wollen toxische Mütter und Väter nicht.
- Kontrolle Wenn du das Gefühl hast, dass deine Eltern immer hinter der nächsten Ecke auf dich lauern könnten, dann bist du eventuell in einem toxischen Elternhaus aufgewachsen. Denn toxische Eltern versuchen ihre Kontrolle, die sie über ihre kleinen Kinder hatten, auch auf ihre erwachsenen Kinder auszuweiten, in dem sie z. B. ständig anrufen, unangemeldet zu Besuch kommen und ungefragt Dinge (auch gerne als Geschenke getarnt) schicken, die ihrer Meinung nach in deinem Leben oder dem deiner Kinder fehlen.
- Einseitige Belastung Hattest du das Gefühl, dass du in deiner Kindheit und auch heute noch mehr für deine Eltern da bist als sie für dich? Brauchen sie ständig deinen Rat? Oder laden ihre persönlichen Sorgen und Probleme bei dir ab? Auch dieses scheinbar große Vertrauen in dich und die enge Vertrautheit mit dir kann ein toxischen Verhalten sein, wenn es von dir als belastend empfunden wird, wie zum Beispiel bei der Parentifizierung.
Beispiele für typisches Verhalten toxischer Eltern
Wenn dir diese oder ähnliche Situationen bekannt vorkommen, dann hattest bzw. hast du vielleicht toxische Eltern:
- Deine Mutter hat einen Kuchen gebacken und vergessen ihn rechtzeitig aus dem Ofen zu nehmen. Aber es ist deine Schuld, weil du sie mit deinen vielen Fragen, durch den lauten Streit mit deiner Schwester, das Bitten um Hilfe beim Anziehen, etc, abgelenkt hast.
- Wenn Mama mit Papa streitet, kommt sie immer zu dir, um sich auszuweinen. Es gibt Stress in der Arbeit, sie erzählt dir davon. Sie hat sich einen neuen Pulli gekauft, dir zeigt sie ihn als erstes. Denn du bist ihre beste*r Freund*in. Das klingt eigentlich ganz nett, führt für Kinder (in der Kindheit) aber zu einer starken Belastung und oftmals einem verschobenen Verantwortungsbewusstsein.
- Dein Bruder schreibt immer nur Einsen in der Schule. Dein Bruder hat das mit dem Fahrradfahren aber schneller hingekriegt. Dein Bruder räumt sein Zimmer viel besser auf. Schau doch mal, wie toll dein Bruder das macht. Toxisches Verhalten von Eltern kann Geschwister auf verschiedene Weise schädigen. Wenn sie Geschwister gegeneinander ausspielen, ist dies aber immer schädlich, egal, ob für das abgewertete oder für das aufgewertete Kind.
- Du leidest auch drei Monate nach der Trennung von deinem Partner oder deiner Partnerin noch, aber statt Rückhalt bekommst du von deinen toxischen Eltern nur Augenrollen, Achselzucken und schließlich den Satz: "Jetzt ist aber mal gut. Komm endlich darüber hinweg." Durch ihre fehlende Empathie können sich toxische Eltern nicht in dein Leiden hineinversetzen und reagieren daher genervt und abwertend.
Die Folgen von toxischen Eltern
Wer in einem toxischen Elternhaus aufgewachsen ist, merkt dies oft erst als Erwachsene*r bzw. wenn er oder sie das Elternhaus verlassen hat. Vielleicht war aber auch schon in der Kindheit das Gefühl da, dass bei den eigenen Eltern etwas anders ist oder sich das Verhalten der Eltern schlecht anfühlt. Aber richtig benennen, können viele Kinder toxischer Eltern die Herkunft ihres kindlichen Leidens oftmals erst nach Schaffung einer gewissen Distanz zu ihren Eltern.
Jedes Kind geht anders mit dem Verhalten seiner toxischen Eltern um. Die einen gehen in den Rückzug, versuchen sich klein zu machen, gehorsam zu sein und nicht aufzufallen. Andere wehren sich, werden rebellisch und kämpfen gegen das elterliche Toxin an. Dazwischen gibt es viele verschiedene Abstufungen, Muster und komplexe Verhaltensweisen, die Kinder toxischer Eltern nutzen, um in ihrem Leben zurecht zukommen.
Toxische Eltern ist ein sehr allgemeiner Begriff und die Ausprägung des toxischen Verhaltens kann sehr unterschiedlich sein. Die Grenzen zwischen Eltern, die zwar ungesunde Verhaltensweisen an den Tag legen, welche ihre Kinder aber nicht nachhaltig schädigen und solche, die mit ihrem toxischen Verhalten zu verankerten psychologischen Problemen führen, ist fließend.
Letztendlich könnt ihr nur für euch selbst festlegen, ob ihr eure Eltern als toxisch empfindet bzw. empfunden habt und ob ihr professionelle Hilfe benötigt, um diese Erfahrung zu verarbeiten.
Umgang mit toxischen Eltern: So könnt ihr euch selbst helfen
Es kann verschiedene Gründe geben, warum du deine Eltern als toxisch empfindest. Vielleicht leidest du unter einer narzisstischen Mutter oder dein Vater hat eine narzisstische Persönlichkeit. Auch verschiedene andere Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen können zu einem toxischen Umfeld im Elternhaus führen. Es müssen aber nicht immer pathologische Ursachen sein, die Eltern toxisch für ihre Kinder machen. Auch eine unschöne Trennung oder Scheidung, berufliche Belastungen, etc. können Eltern dazu bringen, dass sie die falschen Bewältigungsstrategien wählen und sich dies toxisch auf ihre Kinder auswirkt.
Was also können Kinder oder erwachsene Kinder tun, um sich selbst vor ihren toxischen Eltern zu schützen?
Für kleine Kinder ist es schwer, sich gegen toxische Einflüsse im Elternhaus zu wehren. Aber je älter Kinder werden, desto mehr Möglichkeiten haben sie, darauf Einfluss zu nehmen. Die meisten Vorschläge zum Umgang mit toxischen Eltern sind am besten für erwachsene Kinder umsetzbar.
Dialog suchen Wie in allen Beziehung gilt auch in der mit toxischen Eltern: Kommunikation ist der Schlüssel. Ob dieser bei einer stark vergifteten Eltern-Kind-Beziehung hilft, ist die andere Frage.
Kompromisse eingehen Meist gehen die Kinder von toxischen Eltern keine Komromisse ein, sondern richten ihr ganzes Leben nach den Bedürfnissen ihrer Eltern aus – weil sie (als Kinder) keine Wahl haben. Sind die Eltern sich aber eurer Bedürfnisse noch ein bisschen bewusst und können hin und wieder sogar auf Kompromisse eingehen, dann ist das ein guter Weg einen friedlichen Umgang miteinander zu finden, solange man z. B. noch unter einem Dach wohnt.
Grenzen setzen Toxische Eltern sind wie Dampfwalzen, die einfach über abweichende Meinungen und Wünsche drüber walzen. Um sich dem entgegenzusetzen, muss man stark (und in vielen Fällen leider auch erwachsen und selbstständig) sein. Seid in eurer Kommunikation möglichst klar, zeigt eure Grenzen auf und lasst diese auch nicht von den Eltern verschieben oder aufweichen. Beispiel: Eure toxischen Eltern bringen euch ungefragt Haushaltsgegenstände wie Handtücher, etc. als Gastgeschenke mit, obwohl ihr so etwas nicht braucht und wollt. Lehnt diese Präsente konsequent ab und gebt sie ihnen wieder mit.
Hilfe suchen Ihr fühlt euch von dem Verhalten eurer Eltern unter Druck gesetzt oder gar bedroht. Auch als Kinder hat man Rechte. Sucht nach einer Vertrauensperson, z. B. einer Lehrerin oder einem Erzieher, der ihr euch anvertrauen könnt. Wenn ihr schon erwachsen seid, dann wendet euch an professionelle Coaches und Therapeut*innen, die euch zu diesem Thema begleiten. Denn der Umgang mit toxischen Eltern kann sehr herausfordernd sein, auch mit 30, 40 oder 50 Jahren.
Konsequenzen ziehen Eure Wünsche und Bedürfnisse werden von euren Eltern ignoriert? Dann zieht Konsequenzen. Geht nicht ans Telefon, wenn ihr von ihnen nicht gestört werden wollt oder lasst die Haustür zu, wenn ihr ausdrücklich gebeten habt, von unangekündigten Besuchen abzusehen.
Kontaktabbruch Werden grundsätzlich all eure Grenzen übertreten, ohne Ein- und Rücksicht eurer toxischen Eltern und leidet ihr sehr darunter, bleibt für viele Kinder von toxischen Eltern am Ende nur noch der Kontaktabbruch. Das ist für Kinder und Eltern in den meisten Fällen ein sehr schmerzhafter Schritt, aber bei stark vergifteten Beziehungen manchmal der einzige Weg. Wenn ihr wieder Kontakt wollt, überlegt gut unter welchen Voraussetzungen. Ohne Therapie, Mediation oder Coaching setzt sich eine toxische Beziehung zwischen Eltern und Kindern nach eine erneuten Kontaktaufnahme einfach fort, ohne Verbesserung. Häufig folgt dann ein Kontaktabbruch nach dem anderen, ohne eine Verbesserung der Beziehung.
Ein Kontaktabbruch muss nicht für immer sein, aber ohne wirklich Arbeit an sich (Eltern und Kind) wird sich das Problem auch im Hintergrund nicht lösen.
Hinweis: Wenn ihr oder euer Kind gefährdet ist und ihr nicht weiter wisst, steht euch das Info-Telefon der Deutschen Depressionshilfe zur Verfügung. Ihr erreicht es unter 0800 / 33 44 533. In Notfällen, z. B. bei drängenden und konkreten Suizidgedanken zögert nicht, euch an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.
Quellen: Claudia Haarmann: Kontaktabbruch in Familien: Wenn ein gemeinsames Leben nicht mehr möglich scheint (Kösel Verlag 2019), Susan Forward: Emotionale Erpressung: Wenn andere mit Gefühlen drohen (Goldmann Verlag 2000), Kinderhilfe Deutsche Lebensbrücke e.V., Psychologie-Heute.de,