Verbrechen im Sozialismus? Gab es natürlich, aber es wurde nur sehr wenig darüber berichtet. Denn Kapitalverbrechen passen nicht zum sozialistischen Menschenbild. So wurden den Bürger*innen vorgetäuscht, es gäbe kaum Kriminalität, weil das Land so sicher sei. In den Medien wurde oftmals nur Alltagskriminalität behandelt. Insbesondere bei Taten, die von Partei-Funktionären, Stasi-Mitarbeitenden oder Sowjetsoldaten begangen wurden, wurde vertuscht. Die statistischen Jahresbücher der DDR haben in der Zeit von 1969 bis 1989 2263 Mord- und Totschlagsfälle dokumentiert. Natürlich wurde vieles davon erst nach der Wende publik.
Etwas, dass die meisten Menschen sich heute aus der Medienlandschaft gar nicht mehr wegdenken können, sind fiktive Krimigeschichten im Fernsehen. Das Genre wurde in der DDR kaum bedient, und wenn, dann wurden fast ausschließlich Verbrechen aus der BRD behandelt. Das änderte sich erst mit der Serie "Der Staatsanwalt hat das Wort". Hier wurden von Peter Przybylski, Staatsanwalt beim Generalstaatsanwalt der DDR, echte Verbrechen kommentiert. Aber auch dabei ging es vor allem um Raub, Unterschlagung oder Trunkenheit am Steuer. Gewaltverbrechen wurden nur in der Sendung "Polizeiruf" behandelt.
***Triggerwarnung: Die nachfolgenden Seiten beschrieben Morde und auch sexuelle Gewalt (gegen Kinder). Entscheidet für euch, ob ihr euch dem aussetzen möchtet.
Der Fall Eberswalde
Die Morde an mehreren Jungen in Eberswalde ist ein Fall, der tatsächlich zumindest lokal durchaus bekannter war. Denn die Bevölkerung wurde nach dem Mord an zwei Jungen dazu aufgefordert, ihre Kinder nicht mehr unbegleitet vor die Tür zu schicken.
1969 wurden zwei tote Jungen im Eberswalder Wald gefunden. Die Fahndung blieb erfolglos, auch wenn zeitweise über 150 Kriminalist*innen und Mitarbeitende des Ministeriums für Staatssicherheit mit dem Fall beschäftigt sind. Es werden Gerichtspsychiater befragt und Gutachten erstellt, die entscheidende neue Ansätze auf den Täter liefern sollen. 1970 muss das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt eingestellt werden.
Als knapp ein Jahr später ein weiteres Kind, das auf die gleiche Weise ermordet wurde, wieder im Eberswalder Wald gefunden wird, entschließt man sich, auch die den Leiter der Forensischen Psychiatrie der Charité und einen Großrechner, der Daten aus 6000 Fallgutachten auswerten soll, ins Boot zu holen. Der entscheidende Hinweis aber kommt aus Eberswalde. Der Chef der Eberswalder Klinik für Psychiatrie und Neurologie schlägt vor, die ortsansässigen Jungen zwischen 7 und 14 Jahren zu befragen und zu ermitteln, ob sie in der Vergangenheit vom Täter angesprochen wurden.
Ein Junge bringt den entscheidenden Hinweis: Er wurde vom Täter mit einem Messer und dem Tode bedroht, wenn er über die Begegnung spricht. Der 19-jährige Täter wird gefasst und 1972 hingerichtet.
Der Fall wurde in der Folge "Im Alter von ..." beim Polizeiruf 110 aufgearbeitet, durfte in der DDR aber nicht gesendet werden.
Amoklauf
Im Sommer 1980 erschießt ein Mann in Niederndodeleben (Landkreis Börde) fünf Menschen, darunter seine Frau und seine 13-jährige Tochter. Seine Frau tötete er, weil sie herausgefunden hatte, dass er sie mit anderen Frauen betrügt. Die Tochter musste sterben, weil sie zu Hause war und von der Tat etwas mitbekommen hatte. Auch weitere weibliche Familienmitglieder tötet der Mann. Er erschoss außerdem Kollegen, die im Ort wohnten und mit denen es Differenzen gab.
Der Täter hinterließ ein Geständnis, bedauerte darin aber vor allem, nicht noch mehr Menschen getötet zu haben. Die Ermittler fanden nur noch seine Leiche, der Täter hatte sich schließlich selbst getötet.
Polizistenmord in Leipzig
1981 wollte ein Mann aus Leipzig von der DDR in den Westen fliehen. Seine Idee: Mit einer geraubten Kalaschnikow ein Flugzeug auf dem Flughafen Schkeuditz entführen und sich damit in die BRD bringen zu lassen. Der Soldat, dem die Waffe entwendet wurde, machte Meldung und sowohl die NVA als auch die Volkspolizei suchten nach dem Flüchtigen.
Zwei Streifenpolizisten stießen auf den Mann, der sofort das Feuer auf die Beiden eröffnete. Ein Polizist starb noch vor Ort, der zweite überlebte schwer verletzt. Der Täter wurde festgenommen, gestand und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Tatsächlich wurde er aber bereits 1991 aus dem Gefängnis entlassen.
Der Vorfall wurde in der DDR-Presse nur in einer Tageszeitung als knappe Meldung veröffentlicht, gelangte nach der Wende aber doch noch an die breite Öffentlichkeit.
Kindermord
Von 1984 bis 1988 tötete eine Frau in Wernigerode fünf ihrer Kinder direkt nach der Geburt. Sie erstickte die Neugeborenen, ihr Mann verbrannte die Kinder anschließend im Ofen eines Heizhauses, zu dem er aufgrund seiner Tätigkeit als Heizer Zugang hatte.
Die Verbrechen fielen erst 1989 auf, als eine Vorgesetzte den fehlenden Babybauch und das fehlende Kind bemerkte. Eine anschließende Begutachtung beim Amtsärztlichen Dienst zeigte, dass die Frau mehrere Kinder geboren hatte. Zunächst behauptete die Beschuldigte, Fehlgeburten erlitten zu haben. Letztlich legten sowohl sie als auch ihr Mann ein Geständnis ab.
Der Fall wurde medial ausführlich besprochen, denn die Verhandlungen fanden im Frühjahr / Sommer 1990 statt. Mehrere Staatsanwälte und Strafverteidiger lehnten das Mandat ab, weil Morde nicht in das sozialistische Weltbild passten. Beide Angeklagte wurden noch nach DDR-Strafrecht zu je 15 Jahren Haft verurteilt.
Mord aus rassistischen Motiven
Ebenso wie Kapitalverbrechen gab es auch Rassismus in der DDR. Auch das wurde im Allgemeinen aber verschwiegen.
1979 wurden in Merseburg zwei Kubaner von mehreren DDR-Büger*innen ermordet. Was genau geschehen ist, lässt sich heute nicht mehr lückenlos aufklären, denn die Ermittlungen gegen fünf Verdächtige wurden damals auf Anordnung der obersten Staatsführung eingestellt. Stasiakten belegen dies. Die Beziehungen zum Bruderstaat Kuba sollten nicht gefährdet werden, folglich durfte es auch keine Täter in der DDR geben.
Man geht heute davon aus, dass mehrere DDR-Bürger*innen nach einer Veranstaltung beschlossen haben, Kubaner niederzuschlagen und dies dann auch in die Tat umsetzten. Die Opfer mussten den Rückzug ins Wohnheim antreten, wollten sich am nächsten Tag rächen. Als sie tags darauf zum Ort des Geschehens kamen, warteten ca.230 Deutsche auf die insgesamt vermutlich 45 Kubaner.
Sie alle flohen vor dem rassistischen Mob, einige sprangen vom Ufer aus in die Saale, um sich ans gegenüberliegende Ufer zu retten. Während der Flucht wurden sie mit Gegenständen beworfen. Die beiden getöteten Kubaner sprangen von der Brücke in den Fluss, sie wurden vermutlich von Flaschen und Steinen tödlich getroffen. Ihre Leichen wurden erst Tage später aus der Saale geborgen, die genaue Todesursache war wegen der Witterungen nicht mehr feststellbar.
Der Tod der 18 und 21 Jahre alte Männer wurde nie aufgeklärt.
Polizistenmord
1972 hat ein Mann in Seehausen, Landkreis Börde, nach einem alkoholseeligen Abend Streit mit einem Bekannten. Dieser eskaliert und der Täter sticht mit einem Messer auf sein Gegenüber ein. Verletzt droht dieser mit der Polizei, woraufhin der Täter Fleckenwasser trinkt, um sich selbst zu töten. Er ist bereits polizeilich bekannt und fürchtet, nach dem Angriff ins Gefängnis zu müssen.
Am nächsten Morgen, die Mutter des Beklagten hat ihm inzwischen Kondensmilch zu trinken gegeben und er sich davon erbrochen, kommt der Polizist, mit dem der Täter schon mehrfach Kontakt hatte, vorbei. Der Polizist wird niedergeschlagen, der Täter greift zur Dienstwaffe und drückt ab. Angeschossen ruft dieser um Hilfe, der Täter drückt erneut ab und flieht anschließend mit der Waffe aus dem Haus.
Noch am Tatort stirbt der Polizist, eine Großfahndung wegen "Angriff auf den Staat" wird eingeleitet. Der Täter zieht Selbstmord in Betracht, stellt sich aber schließlich. Weil er das Fleckenwasser getrunken hatte, wird eine beginnende Zersetzung der Leber festgestellt, der Täter überlebt dies aber letztlich. Nach 32 Vernehmungen unterschreibt der Täter ein umfassendes Geständnis. Der Täter wird zum Tode verurteilt, das Urteil wird 1973 vollstreckt.
Kreuzworträtsel-Fall
1981 sorgte ein Koffer in Halle für großes Aufsehen. In ihm fand sich die Leiche eines siebenjährigen Jungen, der auch sexuelle Gewalt ertragen musste. Was die Ermittler schließlich auf die Spur des Täters setzte, waren die ausgefüllten Kreuzworträtsel, die in dem Koffer gefunden wurden. Insgesamt 21.000 Schriftproben sammelte die Kripo. Ein Schriftsachverständiger kam zu dem Schluss, dass eine Frau mittleren Alters, die eine Schriftprobe abgegeben hatte, die Seiten ausgefüllt haben musste. Der Verlobte ihrer Tochter gestand letztlich. Er hatte dem Jungen sexuelle Gewalt angetan und ihn getötet, um die Tat zu verschleiern.
Übrigens: In der Sendung "Mysteriöse Kriminalfälle der DDR" beschäftigt sich das ZDF seit 2017 mit der Thematik. Viele Kriminalfälle könnt ihr euch in der ZDF-Mediathek anschauen.
Messediebe
In Leipzig wurden je einmal im Frühjahr und einmal im Herbst Messen abgehalten, zu denen Aussteller aus dem Westen anreisten. Ziel war es, Produkte vorzustellen, die es in der DDR nicht gibt. Die Messen waren fürs Publikum geöffnet, wer ein Ticket ergatterte, durfte auf der Messe den Duft der großen weiten Welt schnuppern und entdecken, was es so jenseits des eigenen Tellerrandes gab.
Weil auf der Messe aber nun Menschen aus dem Westen mit denen aus dem Osten in Kontakt treten konnten, waren Hunderte Stasi-Mitarbeitende vor Ort, um Gespräche und Transaktionen zu überwachen.
Wofür die Messe allerdings auch recht schnell bekannt war: Dass hier geklaut wurde als gäbe es kein Morgen. Man ging lange Zeit davon aus, dass die Diebstähle von den DDR-Bürger*innen begangen wurden. Mangelwirtschaft, Neid, die Gründe können vielseitig gewesen sein.
Immer mehr Anzeigen gingen bei der Volkspolizei ein, zwischen 1980 und 1985 wurden 141 Diebstahlsmeldungen aufgenommen. Alle Ermittlungen blieben aber, trotz der ausgesandten Stasi-Mitarbeitenden, erfolglos. Bis zum März 1985 als ein Stasi-Hauptmann in Magdeburg festgenommen wurde, weil er mit gefälschten Schecks eingekauft hatte. In der Vernehmung gestand der Mann, der seit den 70er Jahren regelmäßig auf der Leipziger Messe tätig war: Die jahrelangen Diebstähle gingen auf das Konto der Stasi.
Dank eines Generalschlüssels wurden nachts die Messestände geräubert, das Diebesgut im eigenen PKW nach Hause geschafft. Insgesamt 17 Beteiligte wurden festgenommen, zu Anklagen oder Gerichtsprozessen kam es nie. Es gab lediglich Versetzungen und Verweise, einzig der Stasi-Hauptmann musste die Stasi verlassen.
Ungeklärter Frauenmord
1979 wurde eine junge Frau tot auf einer Landstraße bei Eickendorf (Gemeinde Bördeland) gefunden. Zunächst sah alles nach einem Unfall mit Todesfolge aus. Bei der Obduktion stellte sich dann heraus, dass die Frau Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Ihr damaliger Freund galt als dringend tatverdächtig. Die Ermittler konnten ihm die Tat jedoch nicht nachweisen und so ist der Mord an der 19-Jährigen auch heute noch ungeklärt.
Sowjetsoldat erschießt Jugendliche
1987 werden in Fürstenberg zwei Jugendliche, 16 und 19 Jahre alt, erschossen. Der Täter: Ein ebenfalls 19 Jahre alter russischer Soldat. Er ist in der sowjetischen Panzereinheit stationiert. Der Vater der beiden Jungen hörte die Schüsse und konnte sie, aufgrund der jahrelangen Erfahrung, die das Leben neben einer Kaserne mit sich bringt, als Kalaschnikow zuordnen.
Der Täter ist schnell gefunden, er hat dem Jüngeren in den Rücken geschossen, dem Älteren ins Bein und ihn dann verbluten lassen. Ob die Jungen das militärische Gelände betreten haben (wie sie es vorher schon öfter mit Duldung getan haben), kann nicht mehr genau geklärt werden. Der junge Soldat wird zu 20 Tagen Armeearrest verurteilt, dann verliert sich seine Spur innerhalb der Roten Armee.
Die Stasi interessiert sich nicht für den Soldaten, ihnen geht es nur darum, den Fall zu vertuschen. In Fürstenberg regt sich Widerstand, weswegen dem Vater der toten Kinder angeboten wird, die Kosten für die Beerdigung zu übernehmen oder auch in den Westen überzusiedeln. Der Vater lehnt ab, fordert, dass auf den Grabsteinen steht, dass seine Söhne erschossen wurde. Dieses Gesuch wird verweigert, die Trauerfeier wird von der Stasi kontrolliert.
Zwei-Staaten-Mörder
1982 überfallen zwei Männer einen Schmuckhändler, erbeutet mehr als 20.000 DDR-Mark und töten den Mann. Das Opfer ist Mitarbeiter bei der Stasi, die Ermittlungen laufen. Die beiden Komplizen sind dringend tatverdächtig, es gibt aber nicht genug Beweise. Einer der Täter will über die innerdeutsche Grenze in den Westen fliehen. Er wird dabei entdeckt, angeschossen und ins Krankenhaus gebracht. Während ein Täter in der DDR gefasst, angeklagt und verurteilt wird, wird der zweite in der BRD angeklagt. Die DDR stellt einen Auslieferungsantrag, der allerdings abgelehnt wird. Diese Ablehnung führt zu massiven Spannungen zwischen den beiden Staaten, der Auslieferungsantrag wurde vor dem Bundesgerichtshof zugunsten der BRD entschieden.
Der Täter wird in Hamburg vor Gericht gebracht, das Urteil lautete auf lebenslängliche Haft. Im Gefängnis tötet er 1994 einen Mithäfling und wurde in einem Indizienprozess erneut zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die verschwundene FDJ-Sekretärin
1977 verschwindet eine FDJ-Sekretärin in Pirna. Bis heute ist ihr Verschwinden nicht aufgeklärt. Sie hatte bis gegen 22 Uhr gearbeitet, vorher noch in der Betriebskantine zu Abend gegessen. Niemand aber hat gesehen, wie die Frau das Gebäude verlassen hat. Die Frau bleibt verschwunden, es gibt bis heute keinerlei Erkenntnisse darüber, was mit ihr passiert sein könnte.
Der Vater der Frau vermutete, dass sie vielleicht für die Stasi in den Westen gegangen ist. Allerdings gibt es in den Stasi-Archiven auch darauf keinen Hinweis.
Quellen für alle hier vorgestellten Fälle: mz.de / ZDF / rbb.de / Bücher von Bernd Kaufholz/ welt.de
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