Vaterschaftsurlaub, schon wenn ich dieses Wort höre, sträubt sich alles in mir. Denn was eigentlich als Bezeichnung für das gemeinsame Wochenbett gemeint ist, bekommt duch das Anhängsel "Urlaub" mal mindestens gedanktlich eine andere Dimension.
Fragt man mich, was ich persönlich vom Vaterschaftsurlaub halte, ist die Antwort recht eindeutig: wenig. Aber bevor ihr jetzt aufhört zu lesen und euch denkt, pff, mir doch egal, was eine Frau zu dem Thema denkt, habe ich mir natürlich vorgesorgt und mit drei Vätern über das Thema gesprochen.
Gibt es Vaterschaftsurlaub?
Vaterschaftsurlaub ist in Deutschland eigentlich kein Thema. Es gibt ihn nicht, auch wenn viele Medien die Elternzeit des Vaters so bezeichnen. Die Schweiz hat das 2020 eingeführt, allerdings sollte man hier im Hinterkopf haben, dass es da, im Gegensatz zu Deutschland, überhaupt keine bezahlte Elternzeit gab.
In meinem Interview mit der Familienministerin Franziska Giffey habe ich auch nach dem Vaterschaftsurlaub gefragt. Auch, weil ich versprochen habe, eure Fragen zu stellen. Für mich persönlich ist es mindestens irritierend, dass Väter fordern, es möge ihnen für die erste Zeit im Wochenbett eine Art Extraurlaub zur Verfügung gestellt werden.
Ist Vaterschaftsurlaub nötig?
Arne Henkes, CCO von t-online.de sieht das ähnlich. Er findet, dass ein extra Vaterschaftsurlaub unnötig ist. "Elternzeit betrifft doch beide, das kann man sich doch aufteilen. Ich hätte Schwierigkeiten, das meiner Frau zu erklären, dass ich eine Extraeinladung brauche." Henkes gibt aber gleichzeitig zu, dass er selbst "kein Musterbeispiel für genommene Elternzeit" ist.
Dass Vaterschaftsurlaub unnötig ist, sagt auch das Familienministerium. Der Entwurf, Vätern eine bezahlte Freistellung zu ermöglichen, ohne, dass sie ihre Urlaubstage dafür verwenden müssen und ohne, wie beim Elterngeld üblich, auf einen Teil ihres Lohns zu verzichten, wurde abgewiesen. Die Begründung: Die Elternzeit ermöglicht gleichberechtigte Elternschaft.
Vaterschaftsurlaub als Weg zu gleichberechtigter Elternschaft?
Für den Journalisten Birk Grüling wäre der Vaterschaftsurlaub nur ein erster Schritt hin zu echter gleichberechtigter Elternschaft. "Ich sehe Elternschaft eher als Teamwork. Man muss das sicher auch besser kommunizieren, Vaterschaftsurlaub trifft es einfach nicht. Vielleicht passt Vaterschutzzeit besser."
Aber wieso braucht es diese Zeit? Ich weiß, jetzt kommen die immer gleichen Argumente von Geldproblemen und Verpflichtungen und dem Einkommen des Vaters, auf das die Familie angewiesen ist. Aber die Entscheidung für ein Kind ist doch eine, die im Vorfeld gemeinsam getroffen wurde.
Es ist doch in jedem Arbeitsumfeld machbar, Elternzeit zu nehmen. Es ist doch grundverkehrt anzunehmen, der eine Job wäre wichtiger als der andere. Da denkt man doch vom falschen Ende. Es geht doch immer darum zu schauen, was das Beste ist, was man als Familie machen kann.
Arne Henkes, Vater von drei Kindern
Fokus weg vom Hauptproblem
Natürlich können wir uns drüber unterhalten, dass es für viele Familien schwierig wird, wenn das sowieso schon nicht so üppige Gehalt in der Elternzeit nur noch 67 % beträgt. Aber das werden zwei Wochen Vaterschaftsurlaub im Wochenbett auch nicht verbessern. Und es lenkt den Fokus auf weg von der Frage: Wieso ist es eigentlich für Frauen ok, Einkommenseinbußen hinzunehmen, für Männer aber nicht?
Keiner der Väter, mit denen ich für diese Kolumne gesprochen habe, sagt oder meint das das so, natürlich nicht. Sie alle wollen, wie so viele Familien, gleichberechtigte Elternschaft leben. Marco Krahl, stellvertretender Chefredakteur von Mens Health und Redaktionsleiter von Mens Health Dad sieht das Problem auch in mangelnden Vorbildern.
Man fragt sich ja generell, warum Väter eine Extraeinladung brauchen. Das fragt man sich seit Jahrzehnten. Aber so ist es nun mal. Die Frage verändert aber ja nichts am Status Quo. Männer verstecken sich eher, als die Vaterrolle aktiv zu leben. Große Teile der Gesellschaft wollen das nicht mehr. Die Umsetzung ist aber nicht möglich, weil man anders geprägt ist.
Marco Krahl, Vater von zwei Kindern
Abwesende Väter
"Wir hatten selbst abwesende Väter", sagt Krahl und, dass auch in Unternehmen in den Entscheiderpositionen oft Menschen sitzen, die mit eben solchen Vätern aufgewachsen sind. "Der Leidensdruck muss groß sein und dann braucht es eine Menge Mut, etwas anders zu machen als die Generation vor einem. Deswegen glaube ich, dass wir die Väter da an die Hand nehmen müssen, damit sie die Vaterschaft leben können, die zeitgemäß ist."
Und dafür, so glaubt Marco Krahl aber auch Journalistenkollege Birk Grüling, braucht es eben zunächst politische Entscheidungen. Es muss, so sagt Grüling, der gerade das Buch "Eltern als Team" (u.a. bei thalia.de für 16 €) zum Thema Vereinbarkeit veröffentlicht hat, "gesellschaftlicher Konsens sein, dass jeder schief angeguckt wird, der nicht die ersten 10 Tage zuhause ist."
Ich finde, alle Väter sollten im Wochenbett zuhause bleiben. Mir fällt da kein Argument ein, warum man in den ersten Wochen nicht zuhause sein kann. Deswegen glaube ich, dass so ein Vaterschaftsurlaub sinnvoll sein kann.
Birk Grüling, Vater eines Kindes
Wochenbett ist auch die Zeit für Väter
Und um das zu erreichen, braucht es den Anschub, die Wochenbettzeit für den Vater wenigstens übergangsweise als bezahlten Sonderurlaub anzubieten. Ich kann die Idee als solche schon mittragen, dass es eben keinen guten Grund gibt, warum Väter nicht die erste Zeit im Wochenbett oder auch danach aktive Vaterzeit nehmen sollten. Ich frage mich nur, ob Vaterschaftsurlaub nun das Mittel der Wahl ist.
Viele Väter wissen doch auch gar nicht, was Wochenbett bedeutet. Weil da nicht drüber gesprochen wird. Das steht nicht in jedem Ratgeber, im Geburtsvorbereitungskurs gibt es auch keinen Vater, der sagt, was Wochenbett bedeutet. Männer wissen nicht, wie wichtig das ist, dass Väter da acht Wochen ihren Mann stehen, putzen, Frau und Baby kuscheln, Besuch abwimmeln, sich um alles kümmern.
Birk Grüling
Was bedeutet Vaterschaftsurlaub?
Faktisch stören mich zwei Sachen: Die Bezeichnung Vaterschaftsurlaub, die sich, warum auch immer, für dieses Thema ja schon sehr durchgesetzt hat. Den Begriff kann man ändern, natürlich, aber solange nicht gleichzeitig stärker in den Fokus rückt, was diese Auszeit für die Familie beinhaltet, dass es eben nicht bedeutet, Papa macht sein Ding und Mama kümmert sich um alles, solange bleibt das für mich problematisch.
Eigentlich ist er verlockend, der Begriff Vaterschaftsurlaub. Aber es ist doch kein Urlaub, da hat man doch nen Job zu erledigen.
Ob es nun Vaterschaftsurlaub, Vaterzeit oder Vaterschutz heißt, der Fokus liegt wie so oft auf den Vätern. Wenn das Ziel aber gleichberechtigte Elternschaft ist, wäre dann nicht eher ein Begriff wie Familienzeit zielführender? Birk Grüling argumentiert ähnlich.
Wir brauchen radikale Lösungen
"Es müsste", sagt er, "so sein wie bei der Mutter, dass es den Vätern gesetzlich verboten ist, zu arbeiten. Ich bin an einer Stelle, an der ich glaube, dass wir ohne radikale Lösung nicht mehr weiterkommen. Alle Paare, die Elternzeit klassisch aufteilen, wo der Vater vielleicht einen Monat nimmt und den Rest macht die Mutter, die müssen das finanziell spüren. Wer es gleichberechtigt aufteilt, bekommt 100 % , alle anderen 67 %. Das würde sicher viel bewegen, weil das finanzielle Argument wegfällt."
Ich finde es nachvollziehbar, dass über Geld argumentiert wird. Aber man trifft die Entscheidung für ein Kind ja im Vorfeld. Und vielleicht sollte man nicht exklusiv Vätern eine Brücke bauen, sondern über ein Familieneinkommen gehen.
Arne Henkes, Familienvater
Arne Henkes bringt noch einen Gedanken ins Spiel, der die Gleichberechtigung in der Familie auf ganz andere Weise fördern würde. "Warum reden wir nicht auch über Incentivierungen für Frauen", fragt er und gibt zu bedenken, dass die Idee, sich nur auf die Väter zu fokussieren, "es den Männern doch auch viel zu leicht" macht. "Wenn man den Vaterschaftsurlaub braucht, dann hat man die Notwendigkeit ja noch gar nicht erkannt."
Brauchen Väter eine Extraeinladung?
Und da wären wir beim zweiten Punkt, der mich stört. Warum zur Hölle brauchen Männer überhaupt diese Extraeinladung? Warum erkennen sie nicht, dass gleichberechtigte Elternschaft immer in der eigenen Familien beginnt, und dass man vielleicht auch als erster diesen Weg gehen muss, damit andere folgen.
Die Einführung des Elterngeldes hat gezeigt, dass es solche Impulse braucht. Zu Beginn haben sich 3 % der Väter eingebracht, mit dem Impuls aus der Politik ist das auf gut 30-40 % hochgeschnellt, innerhalb von 10 Jahren. Das zeigt ja auch, allein kriegen es die Männer leider nicht auf die Reihe, deshalb finde ich es gut, wenn ein Vaterschaftsurlaub von der Politik forciert wird.
Marco Krahl, Familienvater
Selbstverständlich habe ich den drei Vätern in unseren Gesprächen gut zugehört. Und auch wenn ich manches davon nachvollziehbar finde, gerade in Bezug auf fehlende Vorbilder und vielleicht auch Unwissenheit über die erste Zeit mit Baby, vollends überzeugt, dass eine Extrawurst wie Vaterschaftsurlaub gerechtfertigt ist, bin ich nicht.
Elterngeld macht viele Familien nicht gleichberechtigter
Auch wenn Marco Krahl schon ganz richtig argumentiert, dass die Einführung des Elterngeldes ein wichtiger Impuls war, der dazu geführt hat, dass nun mehr Väter Elternzeit nehmen, das ist ja auch noch viel Luft nach oben. Tatsächlich zeigt sich ja auch mit der Möglichkeit, dass beide Elterngeld bekommen und verpflichtend zwei Monate vom Vater genommen werden müssen, um den vollen Bezugszeitraum auszuschöpfen, die wenigstens Väter nehmen mehr Auszeit als das Minimum.
Ich kann das Argument nicht nachvollziehen, dass sich Frauen da jetzt benachteiligt fühlen, denn der Mann kümmert sich doch dann und ist für die Familie da. Es hat ja auch einen entscheidenden Einfluss daruf, wie der Vater dann weiter das Familienleben gestaltet.
Birk Grüling, Familienvater
Ärgere ich mich darüber, dass ein Großteil der Väter nicht von allein und ohne Druck auf die Idee kommen, mehr Elternzeit zu nehmen? Auf jeden Fall. Denn für uns Frauen scheint es schon immer ok zu sein, die finanziellen Einbußen, die mit der Geburt und Betreuung eines Kindes einhergehen, zu schultern.
Wenn man sich die Vorbilder in Skandinavien anschaut, dann sind wir da auch in einem deutlich gerechteren Rahmen. 67% des Gehaltes, das kann man sich als Akademikerfamilie leisten, ja. Aber eben nicht alle können es sich leisten auf einen Prozentsatz vom Gehalt zu verzichten.
Birk Grüling, Journalist
Fühle ich mich benachteiligt, wenn Väter in Zukunft vielleicht doch Vaterschaftsurlaub nehmen dürfen, um das Wochenbett gemeinsam zu gestalten und den Grundstein für ein gleichberechtigteres Familienleben zu legen? Nein, denn letztlich kommt es der gesamten Familie zugute.
Mein Fazit
Tatsächlich hat mein Mann mehr Elternzeit genommen als ich. Und gleichberechtigte Elternschaft war bei uns weniger ein Thema, weil wir mit drei Schreibabys so gefordert waren, dass vieles nicht individuell verhandelt werden musste. Es war klar: Wir schaffen das nur zusammen.
Nun wünsche ich nicht allen Eltern untröstlich weinende Babys, denn die sind eine Herausforderung für sich. Aber ich wünsche allen Zeit und Mut für unbequeme Gespräche darüber, wie Elternschaft gleichberechtigt gelebt werden kann. Es sind sicher ganz individuelle Lösungen und für manche mögen sie auch Vaterschaftsurlaub heißen. Aber wichtig ist, dass sich endlich was bewegt, weil ich davon überzeugt bin, dass Väter viel verpassen, wenn sie sich nicht aktiv einbringen.
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