Ende März ging eine traurige Meldung durch die Presse: Das DDR-Traditionsunternehmen, das sich auch über die Wiedervereinigung hinaus gut platzieren konnte, musste Insolvenz anmelden. Der bekannte Fotodienstleister im sachsen-anhaltinischen Wolfen ist (mal wieder) am Ende, wenn sich nicht bald ein neuer Investor findet. Wir nehmen das zum Anlass, um in die spannende, wechselvolle Geschichte der Marke Orwo einzutauchen – von den Anfängen bis heute.
Aus Agfa geht Orwo hervor
Es begann im Jahr 1909: Die Agfa (Aktien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation) in Berlin beschloss ihre Produktion zu erweitern: Dazu teilte sie im Juli die Erlaubnis, eine Filmfabrik in Wolfen bei Bitterfeld aufzubauen, damals noch unter dem Namen Agfa Wolfen. Damals war der Kine-Positivfilm das Hauptprodukt. 1936 erfolgte dann eine weltweite Innovation: Afga stellte in Wolfen den weltweit ersten Mehrschichtenfarbfilm her, der bis heute die Grundlage der Colorfilmherstellung bildet.
Auswirkungen des 2. Weltkriegs
Der zweite Weltkrieg hatte natürlich Spuren auf das Werk in Wolfen hinterlassen. Gegenüber Russen und Amerikanern sollten Produktionsgeheimnisse offen gelegt werden, es kam zu Demontagen und dem Abzug vieler Fachleute. 1953 wurde Agfa Wolfen als Reparationsbetrieb von der UdSSR an die DDR zurückgegeben. Das Warenzeichen teilte sich die Firma damals noch mit Agfa Leverkusen.
Das Label Orwo entsteht
Im Jahr 1964, wenige Jahre nach dem Mauerbau, verkaufte die DDR-Regierung die Markenrechte an das Unternehmen in der BRD. Daraufhin entstand das Label Orwo (Akronym aus Original Wolfen) und wurde weltweit ausgerollt. Orwo war überall – dafür sorgte die DDR mit einer enormen Werbekampagne, auch im Ausland. Doch die Politführung wollte, dass sich das Kombinat vor allem auf den Ostblock konzentrierte.
Casetten & Co. von Orwo
Das hier ist eine typische Musikkassette aus der DDR. 1970 begann Orwo erfolgreich auch mit der Herstellung von Magneton-, Video- und Computerbändern.
Orwo-Werbung in den 80ern
In den 80er Jahren war die Blütezeit der Marke Orwo. Niemand kam an der Marke vorbei und die Firma investierte in zahlreiche Werbekampagnen, wie man hier auch auf dem Bild sieht. Auch leicht bekleidete Models wurden dafür eingesetzt.
Der Orwo-Boom geht weiter
Im Jahr 1989 waren in Wolfen auf 165 Hektar 14.500 Beschäftigte tätig. Orwo war damals kurz vor der Wende in der Region einer der wichtigsten Arbeitgeber. Die Produktionszahlen waren enorm: Es wurden 200 verschiedene Filmsorten in 2.500 Konfektionierungen hergestellt. Man produzierte über 2 Millionen Quadratmeter magnetisches Aufzeichnungsmaterial, wie Tonbänder und Cassetten. Im Chemiefaserbereich wurden ca. 100.000 Tonnen an Zellstoffen und Viskoseprodukten ausgeliefert. Eine echte Erfolgsstory!
Die Wende 1989
Die Wende bedeutete zunächst einen Bruch in der Erfolgsstory des Unternehmens. 1990 firmierte das Kombinat in die Orwo AG und produzierte zunächst die bisherigen Produkte weiter.
Ende der Filmproduktion
Doch 1994 beschloss die Treuhand die Liquidation der Filmfabrik. Seitdem wurden in Wolfen zunächst keine Filme mehr produziert. Etliche alte Fabrikgebäude wurden abgerissen.
Übernahme und erste Insolvenz
Im Jahr 1995 stieg der bekannte Berliner Fotokaufmann Heinrich Mandermann bei der Orwo AG ein. Die Filmproduktion startete wieder, aber an einem anderen Standort. Sie wurden in Wolfen nur noch konfektioniert. Die Übernahme stand unter keinem guten Stern: Als der Kaufmann Mandermann erkrankte, war die Finanzierung Geschichte. 1997 erfolgte die erste Insolvenz.
Neugründung der Pixelnet AG und der Börsengang
In den 2000ern Jahren startete das Digitalzeitalter: Orwo konnte sich hier wieder gut platzieren. Denn 1999 übernahm die Lintec Computer AG die Unternehmen. Gegründet wurde für die digitale Sparte die PixelNet Ag und die Orwo Media GmbH für die Filmproduktion. Das Großlabor in Wolfen spezialisierte sich auf digitale Bearbeitung und Fotografie.
Im Jahr 2000 wagte das Unternehmen einen mutigen Schritt und die PixelNet AG ging an die Börse. Doch der gewünschte Erfolg und rasante Anstieg der digitalen Fotografie ließ zu wünschen übrig. Es konnten keine Umsätze generiert werden und der Börsengang scheiterte.
Die Orwo Net GmbH und Foto Quelle
Die PixelNet AG und die Orwo Media mussten 2002 einen Insolvenzantrag stellen. Daraufhin übernahm eine Investorengruppe das Ruder und plante eine Komplettsanierung des Fotogroßlabors. Die Orwo Net GmbH wurde im selben Jahr gegründet. Bei Orwo selbst kann man nachlesen:
"Dieser Zeitpunkt war optimal, da das modern aufgestellte Labor in das „Zeitalter der digitalen Fotografie“ hineinwachsen konnte. In Folge realisierte ORWO Net über Jahre zweistellige Umsatzanstiege. Die Mitarbeiteranzahl verzehnfachte sich auf über 300."
Im Jahr 2009 übernahm die Orwo Net alle Vermögenswerte der insolventen Foto Quelle GmbH. 2018 kam das Onlinegeschäft von Photodose.de und 2020 myFoto dazu.
Das Unternehmen aus Wolfen produziert seit 2020 als White Lavel Full-Service-Partner für viele Drogerieketten (wie u. a. Rossmann) und Handelsmarken und liefert Fotoprodukte an deren Endkunden. Nach eigenen Angaben sei Orwo "eines der führenden Fotogroßlabore" in Deutschland. 2023 erlitt es jedoch laut MDR.de einen großen finanziellen Verlust.
Orwo im Social Media Zeitalter
Die ehemalige Kultmarke geriet leider über die Jahre im internationalen Raum in Vergessenheit. Doch im Osten erinnern sich die Menschen gern an das Fotolabor und verbinden Geschichte und Tradition mit der Marke aus Wolfen. Mit einigen Marketing- und Social Media Kampagnen versucht Orwo an den Retroboom anzuknüpfen und verkauft auch T-Shirts und Co. Der Wettbewerb um die Kunden und Kundinnen verursachte hohe Marketingkosten und auch der Preiskampf durch Rabattaktionen fuhr Verluste ein. Die Umsatzzahlen reichen scheinbar nicht aus ...
Orwo heute: Was wird aus der Traditionsmarke?
2025 und die Orwo Net scheint wieder am Ende. Jetzt liegt es an der Insolvenzverwaltung, neue Investoren zu finden. 250 Mitarbeitende bangen um ihre Jobs. Aktuell heißt es, dass bestehenden Aufträge mit Kunden erfüllt werden können. Es bleibt spannend, wie es mit Orwo weiter geht ...
Lese-Tipp: Diese Unternehmen mussten 2023 Insolvenz anmelden.
Quelle: Orwonet.de/unternehmen/historie, orwo.de/orwo-historie, MDR.de