Arielle, die Meerjungfrau könnt ihr ab sofort im Kino bewundern. Wir sind uns sicher: Die Geschichte um das Mädchen, dass sich nach einem anderen Leben sehnt, wird euch begeistern. Viele kennen den Animationsfilm, aber die Realverfilmung lohnt einen Kinobesuch auf jeden Fall. Wir haben mit dem Regisseur Rob Marshall und dem Komponisten Alan Menken über das Loslassen der eigenen Kinder und das Finden der eigenen Stimme gesprochen.
"Arielle, die Meerjungfrau" ab sofort im Kino
Was möchten Sie, dass die Zuschauer*innen erleben, wenn sie “Arielle die Meerjungfrau” schauen und die Songs anhören?
Alan Menken: Emotionen, Inspirationen. Erinnerungen. Im Film gibt es die wichtige Botschaft: Folge deinem Herzen.
Rob Marshall: Ich habe das Gefühl, wir brauchen alle diese Art von Filmen in diesen Zeiten sehr. Wir wollen in andere Welten verschwinden, wollen uns getragen fühlen von einer Geschichte, die uns inspiriert, die bunt und fröhlich und emotional ist.
Ich habe das Gefühl, unsere Welt ist oft harsch. Die Chance, in so einen Film wie Arielle einzutauchen, kann deine Seele beflügeln. Das ist das, was Musicals tun können, wenn sie gut gemacht sind. Sie können uns in eine andere Welt katapultieren, das ist etwas Einzigartiges. Und ich glaube, wir alle brauchen genau das.
Wie können wir unsere Kinder loslassen?
König Triton lernt im Film, dass er seine Tochter gehen lassen muss. Wie lindern Eltern diesen Schmerz?
Rob Marshall: Das ist so eine gute Frage. Das ist genau das, was den Film ausmacht. Es ist auf eine Art eine Vater-Tochter-Geschichte. Es geht darum zu lernen, loszulassen. Kinder haben die Eigenschaft, nicht genau so zu werden, wie Eltern das im Vorfeld geplant haben.
Man sieht Arielle in der Geschichte eine bestimmte Richtung einschlagen. Triton hat sieben Töchter aus den sieben Weltmeeren. Und alle sind so, wie er sie sich vorgestellt hat, bis auf die Jüngste, Arielle. Sie sieht für sich selbst ein anderes Leben.
Ich glaube, für Eltern ist das eine tolle Lektion, wenn sie sich diesen Film anschauen. Denn ab einem gewissen Punkt im Leben musst du deinen Kinder zuhören. Ich liebe den Satz am Ende des Films, wenn Triton sagt: “Du hättest deine Stimme nicht aufgeben müssen, damit du gehört wirst. Aber jetzt höre ich dir zu.” Sie bedankt sich bei ihm dafür, dass er zugehört hat. Manchmal ist es genau das, was sein muss. Eltern müssen zuhören, wenn ihre Kinder erzählen, was sie möchten. Denn das ist das, was sie sind.
Arielle fühlt sich falsch da, wo sie ist, Sie hat das Gefühl, sie würde dort nicht hingehören, auch in den Körper, in dem sie ist. Ich glaube, viele Menschen können das nachempfinden. Und ich hoffe, dass Eltern und Kinder den Film sehen und das begreifen. Wir wollen unsere Kinder lieben und sie festhalten, aber es geht eigentlich darum, sie loszulassen und sie ihren eigenen Weg gehen zu lassen.
Alan Menken: [Wir lindern diesen Schmerz] durch Liebe. Es ist so, wie die Beatles sagen. Am Ende ist es wirklich sehr einfach: Liebe ist die Antwort auf alles. Liebe ist Mitgefühl, ist in dem Moment sein und zu wissen: Das hier, das kann nicht zerstört werden. Du musst mutig sein und mit Liebe das tun, was getan werden muss. Ich glaube aber nicht, dass das Loslassen einfach sein soll.
Liebe ist die Antwort auf alles
Das stimmt, Liebe ist die Antwort auf alles. Aber als Eltern wissen wir doch auch: Manchmal ist es wirklich schwer, die Liebe in jedem Augenblick zu spüren. Weil die Kinder uns wahnsinnig machen. Da immer liebevoll und zugewandt zu reagieren, kann so herausfordernd sein.
Alan Menken: Ja, das ist herausfordernd. Triton denkt an sich, an die Meeresbewohner*innen, daran, dass er seine Frau, Arielles Mutter verloren hat. Aber als er endlich auf Arielle achtet, als er sie wirklich sieht, wie sie ist, da kann er sie auch loslassen. Dann kann er akzeptieren: Du musst das tun. Das ist dein Leben, nicht meins.
Auf der persönlichen Ebene kann ich sagen, dass ich da nicht gut drin bin. Ich ermögliche meinen Kindern gern Dinge, passe auf sie auf. Ich facetime die ganze Zeit mit ihnen, nehme sehr intensiv an ihrem Leben teil. Und dann denke ich darüber nach, ob es nicht besser wäre, wenn ich weniger präsent in ihrem Leben wäre.
Die eigene Stimme nicht verlieren
Sie haben es schon angesprochen, König Triton sagt etwas sehr Wichtiges im Film. Er erklärt, Arielle sollte nicht ihre Stimme verlieren, nur damit sie gehört wird. Das ist manchmal aber schwer. Wir alle wollen gehört und gesehen werden, aber die Social Media Welt kann so laut sein.
Rob Marshall: Social Media ist ein zweischneidiges Schwert. Wir haben so viele Möglichkeiten in unseren Händen und gleichzeitig gibt es so viel Negativität. Niemand kann die Erwartungen erfüllen, die dort an uns gestellt werden, jeder kommt sich wie ein*e Versager*in vor. Niemand kann sich so wirklich erfolgreich fühlen, weil man sich immer mit anderen vergleichen wird.
Wenn wir wollen, dass unsere Stimme gehört wird, müssen wir zu uns selbst stehen. Wir müssen versuchen, alles andere auszublenden. Wir müssen versuchen, uns darauf zu fokussieren, was wir selbst wollen, was für uns wichtig ist, was uns berührt. Wie Arielle im Film sollten wir versuchen dem zu folgen, was uns antreibt und unsere Ziele zu erreichen. Wir sollten keine Angst haben vor dieser Reise.
Alan Menken: Manchmal ist Stille die stärkste Stimme, die wir haben. Wir wissen, dass wir kämpfen müssen. Und Filme wie dieser, zeigen diesen Kampf, zeigen, dass daraus etwas Gutes entstehen kann. Und sie nähren unsere Seele. Deswegen schreibe ich Musik. Ich kann vielleicht die richtige Antwort nicht sagen, aber ich kann sie spielen.
Besonderer Song in "Arielle, die Meerjungfrau"
Welcher Song wird immer einen besonderen Platz in Ihrem Herzen haben, Alan?
Alan Menken: Der eine Song, an den ich gerade denke, ist “Part of your world”. Dafür gibt es verschiedene Gründe, aber vor allem die Tatsache, dass ich mit dem Song sehr viel verbinde. Wenn ich ihn höre, denke ich an Howard Ashman [den inzwischen verstorbene Co-Komponisten und Freund von Alan Menken, Anmerkung der Redaktion] und was vielleicht aus unserer Zusammenarbeit hätte werden können. Ich denke daran, wie wir von “Little Shop of Horrors” zur kleinen Meerjungfrau gekommen sind.
Songs wie dieser oder auch aus “Die Schöne und das Biest” sind für mich eine Meditation darüber, dass das Leben immer nur ein Augenblick ist und gleichzeitig für immer. Mit einem einzigen Lied kann uns so etwas gelingen.
Rob Marshall über das Casting zu "Arielle"
Rob, wir müssen über Halle und die Reaktionen, die es auf ihr Casting gab, sprechen. Ich finde das unfassbar. Haben Sie damit gerechnet?
Rob Marshall: Ich war ehrlich gesagt sehr überrascht. Es fühlt sich so altertümlich an, als wären wir in einem anderen Jahrhundert. Warum diskutieren wir in 2023 solche Themen immer noch? Das schockiert mich sehr.
Um das mal hier transparent zu sagen: Es gab keine Agenda, eine woman of colour für diese Rolle zu casten. Die Frau, die wir an zweiter Stelle in dem Film gesehen hätten, war ein weißes Mädchen. Wir haben nur an die Rolle gedacht, das war alles.
Niemand hat aber die Messlatte, die Halle gehängt hat, überwunden. Die Figur musste vieles leisten können. Sie sollte natürlich wunderschön singen, das ist Teil der Geschichte, sie brauchte eine ätherische Stimme. Sie sollte stark und leidenschaftlich sein und gleichzeitig offen, warm und temperamentvoll, verletzlich. Sie musste all diese Dinge in sich kombinieren und gleichzeitig unschuldig sein.
Was ich wirklich unterschätzt habe, worauf ich jetzt aber sehr stolz bin, ist, dass sich Kinder of colour auf diese Weise repräsentiert sehen. Das bewegt mich sehr. Wie kann einen das nicht berühren? Und dann merkt man, dass wir noch nicht so weit gekommen sind, wie wir an diesem Punkt vielleicht sein sollten.
Hoffentlich kommen wir irgendwann an den Punkt an dem wir die beste Person für die Rolle casten – und das hört alles auf, weil es einfach niemanden mehr interessiert. Denn das ist das, was am Ende zählen sollte. Aber die Tatsache, dass wir da noch nicht angekommen sind, dass so viele Kinder sich bisher noch nicht repräsentiert fühlen und auf den Film so berührend reagieren, dafür empfinde ich tiefen Stolz.
Wir brauchen Menschen, die keine Angst vor anderen haben
Wie erziehen wir unsere Kinder so, dass sie nicht Ursula werden, sondern wie Arielle. Sie sorgt sich, sie ist liebvoll und neugierig. Genau das brauchen wir doch, Menschen die neugierig auf andere sind.
Rob Marshall: … die keine Angst vor anderen haben. Genau das brauchen wir. Viele Menschen werden von Filmen beeinflusst. Viele Kinder sehen Filme und ich hoffe, dass Arielle ihnen ein gutes Vorbild ist. Dass sie den Film schauen und sich darin erkennen. Dass sie sich sagen: Ich habe meine eigene Art zu denken, aber ich bin neugierig und interessiert an Anderen. Dass Menschen eben keine Vorurteile haben. Sie können Brücken bauen zu anderen Kulturen, das kann inspirierend sein. Ich hoffe also, dass viele Menschen den Film sehen werden und sich inspiriert fühlen.
Alan Menken: Darum haben wir auch Träume. Ich denke da an Kreativität. Als Kinder atmen wir Kreativität ein, schauen Filme, beispielsweise Disney-Klassiker, eben das, was wir lieben. Und als Erwachsene atmen wir die Kreativität wieder aus und lassen sie in die Welt ziehen.
Lin-Manuel Miranda, [der neue Co-Komponist] war als Junge sehr verliebt in die kleine Meerjungfrau und jetzt bringt er all das in die Welt. Er schrieb “Hamilton”, “In the Heights” und jetzt die neuen Songs für unseren Film. Das ist die Essenz von Kunst. Es ist eine gemeinsame Sprache die uns stärkt und beruhigt. Sie hilft uns dabei, Dinge auf einer nonverbalen Ebene zu verstehen.
Filmkritik zu "Arielle, die Meerjungfrau"
Einerseits finde ich: Den Film sollten ruhig viele Kinder sehen, denn, wie auch Rob Marshall sagt: Wir lernen viel aus Filmen. Arielle ist auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt, sie fühlt sich da, wo sie ist, falsch. Das können sicherlich viele Teenager nachvollziehen. Und auch wir Erwachsenen sind doch immer wieder auf der Suche nach unserem Weg durchs Leben.
Und damit wären wir auch schon bei meinem "Andererseits". Ich finde den Film, der eine FSK 6 Freigabe bekommen hat, für Kinder in dem Alter viel zu gruselig. Natürlich ist er auch lustig und bunt und fröhlich, aber es gibt einige Szenen, die ich für Sechsjährige total ungeeignet finde. Und die auch noch mit acht oder zehn Jahren überfordern können, je nachdem wie viel Film- und Gruselerfahrung eure Kinder so haben.
Kleiner Zusatztipp: Ich hatte das Glück den Film auf Englisch und Deutsch sehen zu können. Und ich fand die englische Originalversion sehr viel besser. Die Stimmen der Schauspieler*innen (und Sebastian und Scuddle) und vor allem auch die Songs sind im Original einfach großartig. Niemand langweilt sich bei der deutschen Version, aber mich hat das Original schon ein bisschen mehr abgeholt.