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Politik für Mombies & Walking Dads

Was ist eigentlich… der Gestaffelte Mutterschutz? Und warum brauchen wir ihn?

Was gestaffelter Mutterschutz: Frau of Color sitz nachdenklich am Fenster und verarbeitet den schweren Schicksalsschlag Fehlgeburt
© Getty Images/ LaylaBird

„Sie brauchen keine Krankschreibung. Sie können morgen wieder arbeiten gehen!“ Diesen Satz sagte mir die behandelnde Ärztin im Krankenhaus kurz nachdem ich aus der Vollnarkose aufwachte. Der Grund für die Operation war meine Fehlgeburt. Und nein, ich konnte am nächsten Tag nicht wieder arbeiten gehen. Doch dieser Satz löste eine Menge aus. Unter anderem, dass ich mich nun für den Gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten engagiere. 

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Aber was ist ein Gestaffelter Mutterschutz überhaupt und warum brauchen wir ihn so dringend? Das schauen wir uns jetzt in Durchblick in 5 Minuten: Politik für Mombies & Walking Dads an, kurz und übersichtlich erklärt.

Nicht alle Schwangerschaften haben ein Happy End

Tatsächlich schätzt man, dass etwa jede 3. Frau eine Fehlgeburt erleidet. Viele von ihnen werden nicht automatisch krankgeschrieben und erhalten auch keinen Mutterschutz. Theoretisch müssten sie am nächsten Tag wieder arbeiten gehen. Hier soll der Gestaffelte Mutterschutz Rechtssicherheit für betroffene Frauen bringen und bereits vor der 24. Schwangerschaftswoche greifen.

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Das Grundprinzip: Ein Mutterschutz, der sich entsprechend der Schwangerschaftswochen aufbaut – je länger die Schwangerschaft war, desto länger der (zu Beginn freiwillige) Mutterschutz.

Warum brauchen wir einen Gestaffelten Mutterschutz?

Beim Begriff Mutterschutz denkt man wohl zuerst an hochschwangere Frauen mit großen Babybäuchen und ans Wochenbett, die erste Zeit mit dem neuen Baby. Doch nicht alle Schwangeren erleben dieses Glück. Viele Frauen (und zwar viel mehr als darüber offen sprechen) erleiden Fehlgeburten. Auch sie waren schwanger, haben einen Mutterpass und sich auf das Geburtsdatum ihres Babys gefreut. Doch ihnen steht momentan kein einziger Tag Mutterschutz zu. Das soll der Gestaffelte Mutterschutz ändern, indem ihn auch Frauen nach Fehlgeburten in Anspruch nehmen können.

Wie ist die aktuelle Mutterschutzregelung?

Aktuell steht Frauen nach Fehlgeburten, also Geburten bei denen Babys keine Lebensmerkmale gezeigt haben, deren Gewicht weniger als 500 Gramm betrug, und deren Geburt vor der 24. Schwangerschaftswoche erfolgte, kein Mutterschutz zu. Dabei waren auch diese Frauen mitunter monatelang schwanger, benötigen ein Wochenbett und Rückbildung. Laut Artikel 6 Absatz 4 des Grundgesetzes hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. 2015 hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass dies auch für jede werdende Mutter gilt. 

Deswegen liegt dem Gericht aktuell eine Verfassungsbeschwerde gegen das aktuelle Mutterschutzgesetz vor, das Frauen nach Fehlgeburten ausschließt.
Micky Moses

Durchblick in 5 Minuten: Politik für Mombies & Walking Dads

Ihr habt keine Zeit für Politik, denn euer Alltag ist dank Care-Arbeit, Job, Haushalt und allem anderen voll genug? Aber gerade als Eltern merkt ihr im Alltag immer wieder, wie sehr Familien von der Politik nicht mitgedacht werden? Unsere familienpolitische Expertin Natascha Sagorski fasst euch aktuelle wichtige familienpolitische Debatten einfach und gut verständlich zusammen, sodass ihr auch mit wenig Zeit und Ressourcen wisst, was euch als Familien politisch aktuell betrifft und worauf es ankommt. Lest auch unsere ersten Folge zum aktuellen Mangel von Kindermedikamenten und der Familienstartzeit.

Micky Moses
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Warum eine Staffelung?

Aktuell gibt es eine harte Grenze, ab wann Mutterschutz greift oder nicht. Ein Beispiel: Eine Frau, die Ende der 23. Schwangerschaftswoche (das ist der sechste Monat) in die Praxis geht und erfährt, dass ihr Baby nicht mehr lebt, hat keinerlei Anspruch auf Mutterschutz. Eine Frau, die nur 24 Stunden später, am ersten Tag der 24. Woche dieselbe Diagnose erhält, hat dagegen Anspruch auf 18 Wochen Mutterschutz (Verlängerter Mutterschutz wegen Frühgeburt). Das ist nicht nur unfair, sondern auch medizinisch sinnfrei. Eine Staffelung würde mehr Gerechtigkeit bringen.

Wie kann eine solche Staffelung aussehen?

Weniger kompliziert als es vielleicht klingt. So könnte man für Frauen im ersten Trimester zwei Wochen freiwilligen Mutterschutz einführen. Für Frauen ab der 14. Schwangerschaftswoche bis zur 20. Schwangerschaftswoche vier Wochen und danach die üblichen acht Wochen. Dadurch würde keine Frau mehr ausgeschlossen werden und durch die Freiwilligkeit kann jede Frau individuell entschieden, ob sie den Mutterschutz in Anspruch nehmen möchte, lieber eine Krankschreibung anfragt oder arbeiten gehen mag. Das sollte aber die freie Entscheidung der Frau sein. 

Denn jede Fehlgeburt ist anders und jede Betroffene geht anders damit um.
Natascha Sagorski

Werden die Frauen nicht sowieso immer automatisch krankgeschrieben?

Leider nein. Es gibt viele tolle Ärztinnen und Ärzte, die genau das tun. Und dann gibt es eben auch viele, die das, aus welchen Gründen auch immer, nicht machen. So wie meine Ärztin damals in der Klinik. Selbst da dachte ich erst, ich wäre ein Einzelfall und hätte einfach Pech gehabt. Als ich später für mein Buch „Jede 3. Frau“ andere Betroffene interviewt habe, erzählten mir überraschend viele, dass es ihnen auch so ergangen war.

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Und als ich später eine Petition für einen Gestaffelten Mutterschutz ins Leben rief, wurde mein Postfach geflutet mit Geschichten von Frauen, die nach Fehlgeburten, nicht, nur ganz kurz oder erst von der dritten Ärztin krankgeschrieben wurde. Es darf aber nicht vom Glück oder Pech bei der Auswahl der Praxis abhängen, ob eine Frau am Tag nach ihrer Fehlgeburt wieder arbeiten gehen muss oder nicht. Deswegen würde ein Gestaffelter Mutterschutz Sicherheit schaffen.

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Was kostet der Gestaffelte Mutterschutz?

Nicht wirklich viel. Genaue Berechnungen sind zwar schwierig, weil es – Achtung kleiner Schocker – in Deutschland nicht statistisch erfasst wird, wie viele Fehlgeburten es gibt.

Das Mutterschutzgeld (entspricht dem Nettogehalt) setzt sich immer aus einem kassenfinanzierten Anteil und einem arbeitgeberfinanzierten Anteil zusammen. Auf Basis von Schätzungen des Robert Koch Instituts hat der IKK e.V. (Innungskassen) errechnet, dass die Kosten für die Gesetzlichen Kassen marginal wären. Der Arbeitgeberanteil wird dabei aus der sogenannten U2-Umlage finanziert, also solidarisch von allen Arbeitgebern gemeinsam, sodass kleinere und mittlere Unternehmen entlastet werden.

Was macht eine Fehlgeburt mit den Betroffenen?

Es gibt nicht viele (und kaum deutschsprachige) Studien zu den Auswirkungen von Fehlgeburten, aber ein Zusammenhang zwischen Fehlgeburten und Depressionen konnte bereits in internationalen Studien nachgewiesen werden. Von Frauen zu verlangen, nach einer Fehlgeburt einfach so weiter zu funktionieren, kann nachhaltige psychische Folgen haben. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kommt es so zu langwierigen Ausfällen von Arbeitskräften.

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Außerdem sollten Frauen das Recht haben, körperliche Auswirkungen der Schwangerschaft und Geburt (Blutungen, Milcheinschuss, etc.) in einem kleinen Wochenbett auszukurieren. Auch der psychische Druck spielt eine große Rolle: Eine Frau, der kein Mutterschutz zusteht, hat das Gefühl, sie „muss“ wieder arbeiten gehen. Stichwort Pflichtbewusstsein gegenüber dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin.

Ein Gestaffelter Mutterschutz würde diesen Druck mindern, weil die Frauen die grundsätzliche gesellschaftliche Berechtigung erhalten, sich eine Regenerationszeit zu nehmen, wenn sie es möchten.
Natascha Sagorski
Natascha Sagorski

Wie kann ich mich für den Gestaffelten Mutterschutz einsetzen?

Aktuell beraten die Fraktionen im Bundestag über einen möglichen Gesetzesentwurf. Damit hier auch frühe Fehlgeburten berücksichtigt werden, gibt es aktuell eine Ketten-Mail-Aktion, mit der ihr mit nur einem Klick die entsprechenden Politikerinnen und Politiker anschreiben könnt.

Natascha Sagorski

Quellen: Katapult Magazin (14.6.22), Natascha Sagorski.de, Bundestag.de

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