Meine Kitazeit war vermutlich typisch für rothaarige Kinder in den 80er Jahren. Ich hasste meine Haare. Die Hänseleien reichten von Pumuckl und Feuermelder über Karotte und Tomate bis hin zu Hexe und Pippi Langstrumpf. Heute liebe ich meine Haare und mein rothaariger Sohn hat komplett andere Erfahrungen gemacht als ich. Die Gründe sind sicher vielfältig, aber ich denke, dass sich vor allem die Wahrnehmung von Rothaarigen in der Gesellschaft gewandelt hat in den letzten Jahrzehnten.
Wie kommt es eigentlich zu rothaarigen Kindern?
Die Großmutter meines Vaters war rothaarig. Auf die millionenfach gestellte Frage, woher meine Schwester und ich denn unsere roten Haare hätten, wurde immer auf diese Urgroßmutter verwiesen. Nicht komplett falsch, aber nur die halbe Wahrheit, denn rote Haare erbt man immer von beiden Elternteilen. Es handelt sich bei dem verantwortlichen Gen um den Melanocortinrezeptor 1– auch MC1R genannt. Dieser Rezeptor ist an der Pigmentenproduktion beteiligt und kann über eine Version für rote Haare verfügen. Da diese rezessiv vererbt wird, müssen beide Elternteile diese bestimmte MC1R-Version besitzen, damit das Kind rote Haare bekommt. Allerdings ist Genetik komplex und auch das zweifache Vorhandensein dieser Version des Gens muss nicht zwingend zu roten Haaren führen. Die Wahrscheinlichkeit für rothaarige Kinder ist also insgesamt gering.
Fakten über Rothaarige
- Nur 1 bis 2 % der Weltbevölkerung ist rothaarig.
- Wir reagieren anders auf Schmerzreize: Wärme oder Kälte setzen uns besonders zu, aber wir sind weniger empfindlich bei Druck.
- Wir haben weniger Haare, dafür sind sie viel dicker.
- Wir ergrauen später, aber das halte ich für einen Mythos. (Oder hab ich irgendwie mieses Karma gesammelt?)
- In Schottland sind rund 13 % der Menschen rothaarig – mehr gibt es sonst nirgendwo.
Kindheit mit roten Haaren: Schlimm oder doch besonders?
Mobbing geht an keinem Kind spurlos vorbei. Ich hätte alles für braune oder blonde Haare gegeben. Auch wenn ich nie ganz verstanden habe, warum Pippi Langstrumpf ein Schimpfwort sein sollte. Vermutlich, weil sie zwar stark und selbstbewusst ist, aber dennoch eine Außenseiterin. Und wer will schon nicht dazugehören? Rückblickend bin ich ziemlich stolz auf mich, dass ich trotz allem an Fasching Pippi war.
Mein Verhältnis zu meinen Haaren änderte sich in der Pubertät. Viele meiner Freundinnen fingen an sich ihre Haare rot zu färben und das schmeichelte mir. Ich hatte etwas, das andere gerne wollten. Dumme Sprüche wie „Wenn das Dach rostig ist, ist meistens der Keller feucht“ und ähnliche Frechheiten wie die übergriffige Frage nach der Farbe der Schamhaare – Schwamm drüber! Ich konnte dem Anderssein allmählich etwas abgewinnen.
Ein rothaariges Kind – oh nein!
Ich hatte also meinen Frieden gemacht mit meinen Genen und war irgendwann tatsächlich ganz happy damit. Doch als ich schwanger war und wusste, dass ich einen Jungen bekommen würde, stellte sich ein ungutes Gefühl ein. Der Kleine wird doch hoffentlich keine roten Haare bekommen?! Ich dachte, dass ein Junge sicher noch viel mehr darunter zu leiden hätte. Heute tut es mir unglaublich leid, aber als mein Sohn tatsächlich mit leuchtend orangenen Haaren geboren wurde, war ich absolut geknickt. Ich sah sein zukünftiges Martyrium förmlich vor mir.
Zum Glück kam es anders. Er war weder im Kindergarten noch in der Schule Hänseleien ausgesetzt. Richtig glücklich war ich einmal, als mich eine Mutter ansprach und sagte, dass ihre Tochter zu Hause ständig von dem Jungen mit den goldenen Locken erzählen würde. Wie süß!
Medien im Wandel der Zeit
Nun hatten wir auch nicht dieselben Voraussetzungen. Er wächst nicht auf dem Dorf auf, sondern in Berlin, wo Vielfalt zum Alltag gehört. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sich die Zeiten für rothaarige Kinder insgesamt einfach geändert haben. Die mittelalterlichen Vorbehalte gegen Rothaarige verschwinden langsam aber sicher aus den Köpfen. Nicht zuletzt durch die Medien. Aber das war ein langer Prozess! Rothaarige waren dort früher nur die Außenseiter*innen oder die Bösen. Als Disney 1989 seiner Meerjungfrau rote Haare verpasste, gab es einen riesen Aufschrei aus der Spielzeugindustrie. Das könne doch wohl nicht Disneys Ernst sein. Keiner würde eine Puppe mit roten Haaren kaufen! Da hatten sie sich allerdings gehörig getäuscht. Arielle wurde zum absoluten Liebling.
Heute können Rothaarige in jede Rolle schlüpfen. Und ich meine, dass ihr Vorkommen in Filmen und Serien inzwischen ziemlich überproportional zu Ihrem Anteil an der Bevölkerung ist. Das negative Image wird heute also einfach gar nicht mehr transportiert wie früher. Jungs mit roten Haaren scheinen seit dem Erfolg des Sängers Ed Sheeran richtig angesagt zu sein.
The Story of My Life
Das ist natürlich eine persönliche Erfahrung, die nicht allgemeingültig sein muss. Mein Sohn jedenfalls trägt seine Haare mit 15 stolz als lange Locken und sagte mir, dass er es als was Besonderes empfindet. Nur Vergleiche mit Ron Weasley, alias Rupert Grint, die gefallen ihm gar nicht. Nicht weil er ihn nicht mag, sondern weil er da selbst einfach keine Ähnlichkeit sieht. Ich bin einfach nur froh, dass meine Ängste unbegründet waren. Habt ihr rothaarige Kinder und habt ähnliche oder vielleicht ganz andere Erfahrungen? Dann schreibt mir gerne: tina@familie.de
Ihr wollt mehr zum Thema Kindheitserinnerungen lesen? Dann schaut doch mal in diesen Ostalgie-Artikel meiner Kollegin Katja.
Bildquelle: familie.de Redaktion
Titelbild von Anja Müller Fotografie