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Tipps von der Expertin

Bindungsorientierte Erziehung: Wieso sie fürs Leben wichtig ist

Bindungsorientierte Erziehung

Bindungsorientierte Erziehung klingt wie ein neuer Trend, dem Eltern folgen sollten. Dabei versteckt sich dahinter kein neues Konzept, sondern ein Erziehungsansatz, der die ganze Familie und ihre individuellen Bedürfnisse im Blick hat.

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"Es gibt keine Patentlösung, nicht alle Lösungen passen für alle Familien." Das sagt Eliane Retz, promovierte Pädagogin und systemische Beraterin. Sie hat, zusammen mit der Journalistin Christiane Stella Bongertz das Buch "Wild Child" (u.a. bei thalia.de für 18,00 € erhältlich) geschrieben, das Eltern dabei hilft, die Entwicklung ihrer Kinder zu verstehen und gelassen zu erziehen. Klingt gut, aber wie oft erziehen wir denn überhaupt nicht gelassen?

Eliane Retz

Was ist bindungsorientierte Erziehung?

Bindungsorientierte Erziehung, auch als Attachment Parenting oder bedürfnisorientierte Erziehung bekannt, hat die Bedürfnisse aller Familienmitglieder im Blick. Diese Form der Erziehung bedeutet nicht, dass eure Kinder keine Grenzen gesetzt bekommen.

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"Grenzen setzen ist kein guter Begriff", sagt Eliane Retz, "das klingt inhaltsleer. Aber es geht in der bindungsorientierten Erziehung auch darum, dass man gegenüber dem Kind eigene Grenzen gut kommentiert. Und das sollten Eltern rechtzeitig tun."

Retz erklärt weiter: "Bindungsorienterte Erziehung hat für mich nichts mit antiautoritärer Erziehung zu tun." Vielmehr ginge es darum, wie wir Erwachsenen miteinander und mit unseren Kindern sprechen. Wichtig ist, dass wir auch die Perspektive unseres Kindes einnehmen können. Und, dass man auch auf Strafen verzichtet", so Eliane Retz.

Vorteile bindungsorientierter Erziehung

Die bindungsorientierte Erziehung macht Kinder kompetent. Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die sicher an ihre Eltern gebunden sind, lösungsorienterter agieren. Sie können sich besser in andere hineinversetzen und angemessen auf Situationen reagieren.

Wenn ein Kind sicher an ein Elternteil gebunden ist (es muss nicht unbedingt an beide Eltern sicher gebunden sein, KInder binden sich unterschiedlich an ihre Eltern) sind sie resilienter. Die Kinder sind empathischer und verfügen über die Möglichkeit eines Perspektivwechsels. "Es macht uns kompetent", sagt Retz, "wenn wir in der Lage sind andere gut zu verstehen. Es wirkt sich positiv aus auf die Möglichkeit, Freundschaften einzugehen."

Bindung an Eltern

Sicher gebundende Kinder weisen häufig eine gute Sprachentwicklung auf, denn es wird ja viel mit ihnen gesprochen. Sie sind auch oft fähig zum vertieften Spiel und lernen gern. Kinder, die nicht sicher an ihre Eltern gebunden sind, legen öfter auch agressive Verhaltensweisen an den Tag um dann eine Lösung herbeizuführen. Eliane Retz relativiert aber auch, dass ein gewisses Agressionspotential gerade in der Autonomiephase total normal ist.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für bindungsorientierte Erziehung?

Ab der Geburt. Im Prinzip ab dem Moment, wo euer Kind auf die Welt kommt, arbeitet ihr an der Bindung. Aber das bedeutet nicht, dass es nicht zu jedem Zeitpunkt möglich ist, an der Bindung zu eurem Kind zu arbeiten. Vielleicht wird es mit zunehmendem Alter euer Kinder schwerer, etwas zu verändern, aber ihr könnt und solltet immer an der Beziehung arbeiten.

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Es ist immer begrüßens- und lohneswert, wenn Eltern in die Bindung zu ihrem Kind investieren.
Eliane Retz

Denn wir alle wissen doch, nichts ist in Stein gemeißelt, wir Menschen können uns hervorragend an verschiedene Gegenbenheiten anpassen. Und ihr seid auch nicht mit der Bindung zu euren Kindern "fertig", wenn sie keine Babys mehr sind. Bindung ist eine Lebensaufgabe.

Eliane Retz rät, dass sich Eltern immer die Frage stellen sollten: "Was möchte ich langfristig damit erreichen?  Was könnte wichtig für mein Kind in fünf Jahren sein, welche Kompetenzen wird es auf dem Schulhof brauchen?" Das kann euch gerade auch bei frustrierenden Erfahrungen helfen. In der langfristigen Perspektive wirkt vieles weniger bedrohlich.

Was tun, wenn man das Gefühl hat, in der Kindererziehung alles falsch zu machen?

Es kann unendlich frustierend sein, wenn wir unsere Kinder nach bestem Wissen und Gewissen erziehen und die dann trotzdem ganz laut rumbrüllen und wütend sind. Wenn dann noch andere aus unserem Umfeld alles besser wissen, dann kann das zu jeder Menge Selbstzweifel führen.

Eliane Retz weiß das und beruhigt. "Wenn man neue Wege einschlägt und sich von autoritäten Erziehungsstilen verabschiedet, dann entsteht Frust. Denn die eigenen Bemühungen fruchten nicht immer, weil die Eltern nicht immer so gutes Feedback bekommen. Bindungsorientierte Erziehung ist ein langfristiges Projekt. Nur weil man nicht sofort ein kooperatives Kind bekommt, bedeutet das ja nicht, dass man einen Fehler macht."

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Was ist der Unterschied zwischen bindungs- und bedürfnisorientierter Erziehung?

"Das sind Begriffe, die äußerst flexibel eingesetzt werden", sagt Eliane Retz. Und auch wenn sie die Bezeichnung bedürfnisorientiert als einen sehr guten Begriff empfindet, nutzt sie ihn in ihrem Buch nicht so oft. Ihre Mitautorin Christiane Stella Bongerz dagegen schon.

Der Grund für die Pädagogin:  Bedürfnisorientierte Erziehung ist ihr "nicht wissenschaftlich genug. Zur bindungsorientierten Erziehung haben wir einfach sehr gute Daten."

Warum ist bindungsorientierte Erziehung so wichtig?

Wenn man ein "Wild child" ist, also ein KInd das wild und aufbrausend ist und trotzdem die Erfahrung macht geliebt und akzeptiert und anerkannt zu werden, dann ist das für die Entwicklung von Kindern elementar wichtig. Und bereitet die ganze Familie auf die vielen Emotionen vor, die in den kommenden Jahren folgen werden.

Erziehung hat ganz viel auch mit Durchhalten zu tun. Da ist natürlich eine große Unsicherheit, denn wir wissen ja nicht, wie sich das Kind entwickeln wird. Das ist anstregend.
Eliane Retz
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Aber es lohnt sich. Denn wer sein Kind gut durch die Autonomiephase begleitet hat, der hat auch einen wertvollen Grundstein für die Pubertät gelegt. "Wenn das Autonomiethema im Kleinkindalter gut gelebt wurde und die Familie da gut in Verbindung geblieben ist, dann kann man davon ausgehen, dass die Pubertät auch herausfordernd wird, aber man eine gute Basis geschaffen hat", sagt Retz.

Laut Retz ist die Unsicherheit etwas falsch zu machen, gerade beim ersten Kind besonders groß. "Denn wenn man das erste Kind durch die ersten 6 Jahre begleitet hat, dann wächst ein Stück Gelassenheit. Denn dann sind plötzlich andere Gespräche möglich."

Einem Kleinkind können Eltern noch ziemlich viel verbieten und bestrafen. Da kann man regide sein. Aber bei einem Teenager geht das nicht mehr. Deswegen ist es so gut, sich rechtzeitig mit bindungsornetierter Erziehung zu befassen.
Eliane Retz

Ich habe mein Kind angeschrieen und nun?

Durch einmal meckern gerät keine Beziehung ins Wanken. Eliane Retz kann euch beruhigen. "Es wird immer Situationen geben, wo nicht mehr diskutiert wird. Und das ist ok. Selbst die feinfühligsten Eltern kommen an ihre Grenzen. Und dann geschieht oftmals der Rückfall in autoritäre Sprache. Weil es einfach anstregend ist, feinfühlig zu sein. Natürlich ist da die Bestürzung groß, weil es sich auch nicht gut anfühlt und die Kinder sind verdattert."

Wichtig ist dann, dass ihr anschließend, wenn sich alle beruhigt haben, wieder in Beziehung zueinander geht und über das Erlebte sprecht.

Eltern sollen keine Angst bekommen, wenn sie sich mit dem Thema Bindung beschäftigen.
Eliane Retz
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Einem Kleinkind können Eltern noch ziemlich viel verbieten und bestrafen. Da kann man rigide sein. Aber bei einem Teenager geht das nicht mehr. Deswegen ist es so gut, sich rechtzeitig mit bindungsorientierter Erziehung zu befassen.
Eliane Retz
Andrea Zschocher

Meine Fazit

Was mir nach dem Interview mit Eliane Retz am besten in Erinnerung geblieben ist, ist ihre Erinnerung daran, dass Erziehung eben kein Sprint ist. Und, dass es ok ist immer wieder zu zweifeln. Denn natürlich wissen wir Eltern nicht, wie sich unser Kind entwickeln wird.

Abgrechnet wird am Schluss, wie mein Mann so schön sagt. Und wir Menschen sind ja nie wirklich "fertig", es gibt immer die Möglichkeit etwas zu verändern. Das ist ja das Gute, auch in punkto Erziehung. Es ist nie zu spät anzufangen mit der bindungsorientierten Erziehung.

Andrea Zschocher

Bildquelle: getty images / iStock / Getty Images Plus / Liderina
Foto Eliane Retz: privat

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