Dr. med. Till Reckert zur aktuellen Lage des Coronavirus: Kinder zeigen nicht die typischen Symptome, sondern nur Fieber und Husten. Entscheidend ist die Kontaktwahrscheinlichket mit einem Infizierten. Der Kinderarzt vermutet, dass wir vor einer weiteren Ausbreitung des Virus Covid-19 nicht sicher sind. Trotzdem hat er beruhigende Nachrichten für alle Eltern.
Am Thema Coronavirus kommt gerade auch der größte Nachrichten-Muffel nicht vorbei. Kaum ein Thema beschäftigt uns gerade so sehr, wie das neuartige Virus, dass sich immer weiter verbreitet. "Panikmache!" ruft die eine Seite – die Grippe sei doch wohl viel schlimmer, schließlich fallen ihr jedes Jahr aufs Neue hunderte Menschen zum Opfer. Die andere Seite tätigt schon Hamsterkäufe, um sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Wir wollen endlich Klarheit: Wie müssen wir das Coronavirus einschätzen? Und was können wir neben Händewaschen tun, um uns und unseren Nachwuchs zu schützen?
Die einen reden von Panikmache, die anderen malen Horror-Szenarien aus: Ist das Ganze eher Hysterie oder besteht eine ernsthafte Gefahr?
Beides: Wir haben ein seit wenigen Wochen bekanntes neues Virus, gegen das noch niemand immun ist und das sich derzeit rasch weltweit verbreitet. Es macht Fieber und dann Husten (eher keine Hals, Kopf- und Gliederschmerzen wie die Grippe) und im schlimmeren Fall eine Virus-Lungenentzündung mit Atemnot zwischen dem Husten, im allerschlimmsten Fall kann man an letzterer sterben. Die meisten Menschen erholen sich aber gut, gefährdet sind insbesondere ältere Personen.
Betrifft das Coronavirus Kinder besonders?
Kinder haben eher milde Verläufe, verteilen das Virus aber weiter. Das Virus hat eine Inkubationszeit von 2-14 Tagen und ist auch ansteckend, wenn man (noch) gar keine Symptome hat. Ist eine Verbreitung also einmal groß genug, ist im Prinzip jeder Risikopatient, der es noch nicht hatte.
Aufgrund der Eigenschaften des Virus ist nicht davon auszugehen, dass wir es im Griff hätten, um eine Weiterverbreitung sicher zu verhindern. Fakt ist aber, dass die Menschheit derzeit in einer beispiellosen Zusammenarbeit auf dieses Virus reagiert, so gut dies möglich ist. Ich finde es bemerkenswert, wie gut die Informationen fließen und wie schnell die Reaktionen sind. Das Problem ist aber folgendes: Die Pandemiepläne sind wahrscheinlich recht wenig nachhaltig und es besteht große Gefahr, dass sie rasch auf dem Boden der Realität zerschellen: Schutzkittel und Atemmasken sind jetzt schon ausverkauft, die Praxen sind überfüllt mit hustenden, fiebernden Patienten, weil wir ja auch noch Februar haben mit allen Infekten, die jährlich in dieser Zeit so vorkommen. Es ist also eine Frage der Zeit, dass sich auch Covid-19 ausbreiten wird. Auch bei uns.
Hysterie ist auch mit im Spiel: Wenn Patienten in die Praxis kommen wegen Covid-19-Angst, obwohl es den Kindern eigentlich gut geht, dann ist das unklug: An wenigen Orten wird demnächst die Gefahr größer sein, sich anzustecken.
Kinderarzt Dr. med. Till Reckert
Grippaler Infekt, Grippe oder Coronavirus? Kinder zeigen dieselben Symptome: Welche Unterschiede kann man erkennen?
Wer Husten und Fieber hat, hat wahrscheinlich einen anderen viralen Infekt, so wie er ständig vorkommt im Februar. Das ist lästig, aber nicht gefährlich. Wichtig ist, dass die Atmung zwischen dem Husten ruhig und nicht irgendwie angestrengt ist. Dann hat der Husten seine Aufgabe erfüllt und die Lungen geschützt.
Wenn man das ganz fein testen will, dann lässt man das Kind den Mund öffnen, leise und tief aus- und einatmen und hält das eigene Ohr vor den Mund. Ein Frühzeichen für mögliche Lungenprobleme wäre ein leises Geräusch, das klingt wie ein Glas Sprudel, das vor sich hin sprudelt. Hört man ein ganz freies normales Atmen, dann hört der Arzt mit großer Wahrscheinlichkeit mit seinem Stetoskop auch nichts und wird nicht viel tun können.
Dies gilt übrigens auch ohne Coronavirus: Kinder werden häufig zum Arzt gebracht – 30 % aller Akutvorstellungen beim Kinderarzt sind ja wegen Husten, und 90 % dieser Akutvorstellungen sind nicht notwendig. Und nach meiner Erfahrung können Eltern es sehr gut lernen, dies zu unterscheiden.
Ein Frühzeichen für mögliche Lungenprobleme wäre ein leises Geräusch, das klingt wie ein Glas Sprudel, das vor sich hin sprudelt.
Was sollen Eltern tun, wenn sie bei ihren Kindern Coronavirus-Symptome feststellen?
Man kann bei Kindern keine „Coronavirus-Symptome“ feststellen, sondern nur Fieber und Husten. Und das haben kleine Kinder bis zu acht mal im Winter. Zur Zeit sind die Kontaktwahrscheinlichkeiten entscheidend, um als Risikopatient zu gelten. Bei weiterer Verbreitung würde dieses Kriterium natürlich nicht mehr greifen.
Können wir uns und unsere Kinder vor dem Coronavirus schützen? Wenn ja, wie?
Letztlich nur, wenn man Menschenansammlungen meidet. Überflüssige Besuche in Kinder- und Jugendarztpraxen zu vermeiden, hilft auch.
Besteht also eine große Gefahr, sich mit dem Coronavirus im Wartezimmer anzustecken?
Die ist derzeit noch gering, wenn sich das Virus genügend ausbreitet, ist die Gefahr im Wartezimmer aber am höchsten. So wie heute schon bei allen anderen Infektionskrankheiten wie der Grippe.
Gesundheitsminister Jens Spahn behauptet, unser Gesundheitssystem sei gut vorbereitet. Wie sehen Sie das?
Das ambulante Gesundheitssystem arbeitet am Anschlag, auch ohne Coronavirus. Hier helfen keine Terminservicestellen, keine Hotlines, bei denen man nicht durchkommt, keine anfällige Telematikinfrastruktur, die zusätzliche Verwaltungsarbeit in die Praxen verlagert, keine klugen, aber in der Breite unrealistischen Pandemiepläne sondern nur die Ruhe und das ehrliche Engagement an der Basis, welches aber auch gewertschätzt gehört. Jeder tut sein Bestes.
Bildquelle: Getty Images/gpointstudio