Der Alltag unserer Kinder ist heute schon ab der Kita genau durchgetaktet, weil wir Eltern unsere Kleinen möglichst früh fördern möchten. Doch das viele Fördern und Fordern kann auch zum Gegenteil führen. Die Psychologin Dr. Anke Elisabeth Ballmann wirbt in ihrem neuen warmherzigen Erziehungsratgeber "Das Faultierprinzip" für mehr Gelassenheit zu Hause und in Kitas und Schulen. Folgende Botschaften können wir Eltern und Erziehende von Faultier Frieda und Pädagogin Anke lernen.
#1 Eine Kita ist keine Schule
Anke Elisabeth Ballmann begleitet schon über viele Jahre Eltern und Kinder psychologisch und war selbst stellvertretende Kitaleiterin. Sie sagt, dass eine Kita keine Schule sei und flexibel sein sollte, damit Kinder nicht schon frühzeitig unter Stress geraten. Kindergartenkinder sollten viel Zeit zum freien Spielen haben, anstatt dass Kitas frühpädagogische Bildungsprogramme abspulen. Sie ruft Eltern dazu auf, ihren Vorschulkindern nicht zu viel abzuverlangen, sondern sie das machen zu lassen, was ihnen Freude macht.
"Wenn frühe institutionelle Bildung wirklich so wichtig und so unersetzlich für Kinder ist, warum sind dann immer mehr Kinder psychisch krank, obwohl 95 Prozent aller Kinder in den Kindergarten gehen? Macht Bildung krank?"
Dr. Anke Elisabeth Ballmann
#2 Nicht jedes Kind muss aufs Gymnasium, um erfolgreich und glücklich zu werden
Ein Kapitel im Buch der Psychologin nennt sie "Fuck the Gymnasium!" Hinter diesem Titel verbirgt sich der Aufruf an Eltern, nicht so einen Stress um die Schulwahl der Kinder zu machen. Heutzutage drehe sich oft alles um das eine Ziel: Das Kind solle möglichst das Abitur erlangen, um ein erfolgreicher Mensch zu werden. Sie kritisiert nicht das Gymnasium als Lern- und Bildungsinstitution, aber den Druck, der auf viele Kinder ab der ersten Klasse herrscht, möglichst diese Bildungsstufe erreichen zu müssen.
Jedes Kind, das Leistungen erbringt, die womöglich nicht dafür reichen, hat es dann in den Augen vieler Eltern und der Gesellschaft nicht geschafft. Diesen Druck sollten wir uns nehmen, denn wie man häufig sieht, hängt das persönliche Glück nicht immer vom Bildungsabschluss ab. Jeder Beruf kann erfüllend sein, egal ob man dafür studiert haben muss oder eine Ausbildung macht.
Über Dr. Anke Elisabeth Ballmann
Dr. Anke Elisabeth Ballmann ist SPIEGEL-Bestsellerautorin und Expertin für kindgerechte Pädagogik. Als Psychologin begleitete sie in rund 15.000 Stunden Kinder und Eltern, war stellvertretende Leiterin eines Kindergartens und arbeitete als Beraterin bei der Zeitschrift „Mädchen“. Darüber hinaus coacht und supervidiert sie Pädagog*innen, lehrt als Dozentin und hält regelmäßige Fort- und Weiterbildungen. Seit 27 Jahren setzt sie sich engagiert und unermüdlich für Kinder und deren kindgerechtes Leben und Lernen ein.
#3 Lernen aus Freude, nicht für den Notenerfolg
Ein weiterer Kritikpunkt von Anke ist das PISA-System: Es gehe immer noch sehr darum, wie viele Einser-Schüler es in bestimmten Disziplinen gibt. Daran messe sich die Leistung von Jugendlichen und wenn eine Gesellschaft da schlecht abschneidet, heißt es, die Kinder seien doof. Ziel von Schulerfolg ist oft "möglichst rasch Geld verdienen und die Wirtschaft am Laufen erhalten". Dabei gehe die persönliche Erfüllung verloren und der Weg in die persönliche Sinnlosigkeit und ins Burn-out wird geebnet. Wir sollten Kindern jedoch mehr Spaß am Lernen vermitteln und ihnen nicht zeigen, dass es nur darum geht, gute Noten zu erreichen.
Sondern Kinder sollten aus Freude am Neuen lernen und herausfinden, was ihnen persönlich am besten liegt. Dazu können wir Eltern sehr viel beitragen, indem wir nicht verlangen, dass sie überall gute Noten haben oder sie schimpfen bzw. enttäuscht sind, wenn sie in Mathe, Deutsch oder Kunst mal schlechter als eine Drei sind. Das allein bestimmt nicht ihren Wert als Mensch und schon gar nicht ihre Zukunft!
#4 Sicherheit ist eine Illusion
Wir leben in einer Welt mit einem Überangebot an Möglichkeiten, Bildungswegen, Jobangeboten, Erziehungsmodellen, Lebensmitteln und und und. Daraus müssen wir uns die möglichst besten für ein "erfolgreiches" Leben auswählen und erarbeiten uns daher ein Sicherheitsnetz, um all diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Diese vielen Möglichkeiten führen jedoch zur totalen Entscheidungsangst und dem ständigen Schielen nach Alternativen. Unsere Kinder wachsen in diese Welt mit ihren vielen Ansprüchen hinein und sind daher schon von Anbeginn überfordert und gestresst. Die meisten unserer Entscheidungen in unserem Leben gehen wir aus Angst ein, die leider nie ein guter Ratgeber ist.
Vielmehr sollten wir gelassener bleiben, demütig sein und auf unseren Weg vertrauen. Denn die Coronapandemie, die Naturkatastrophen und die weltweite Energiekrise zeigen uns, dass es keine Sicherheit gibt. Von den Faultieren sollten wir lernen, alles langsamer anzugehen, gelassener zu bleiben und zu akzeptieren, dass das Leben voller Gefahren ist.
#5 Resilienz sichert unser Überleben
Für unser so anspruchsvolles Leben voller Gefahren benötigen wir eine Fähigkeit, die wir in jedem Alter lernen können – Resilienz: "Resiliente Menschen sind Menschen, die zwar umgeworfen werden, sich aber von den Schubsern und Schicksalsschlägen des Lebens gut erholen und wie ein Stehaufmännchen immer wieder auf die Beine kommen, weil sie sich an neue Gegebenheiten anpassen." Resilienz können wir und unsere Kinder immer wieder trainieren, indem wir weiter machen, wenn uns etwas zurückwirft und Dinge einfach ausprobieren, egal welche Hindernisse kommen könnten. Ein Kind braucht keine perfekten Eltern, die alles gut können, sondern Eltern, die zeigen, dass sie ihre Probleme angehen und lösen, wenn welche auf sie zukommen.
#6 Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen
Hinderlich für die resiliente Entwicklung unserer Kinder sind wir überfürsorglichen Eltern: Die Psychologin betont, dass wir Kindern nicht jedes Steinchen aus dem Weg räumen dürfen. Kinder müssen ihre eigenen Herausforderungen bekommen und diese meistern dürfen. Es geht um eine positive Fehlerkultur und darum, Kinder eher zu bestärken, Fehler zu machen als darin, es gar nicht erst zu versuchen. Helikopter- oder Rasenmäher-Eltern sind dabei keine Hilfe.
#7 Die sieben Säulen der Resilienz verinnerlichen
Zum Thema Resilienz hat Dr. Anke Ballmann den besten Satz im Buch:
"Wichtig ist es, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich von der ewigen Opferrolle zu verabschieden, denn unser Leben ist die Konsequenz all unserer Entscheidungen. Jede dieser Entscheidungen hat ihren ganz individuellen Preis, und wir können uns auch immer wieder neu entscheiden."
Dr. Anke Elisabeth Ballmann
Das heißt: Wir sollten auch unseren Kindern mehr zutrauen und sie ausprobieren lassen, auch wenn wir ahnen, dass es schief gehen könnte. Denn nur so können sie resilienter werden und das geht mit den sieben Säulen der Resilienz nach Dr. Ballmann:
- "Optimismus
- Akzeptanz
- Lösungsorientierung
- Opferrolle verlassen
- Verantwortung übernehmen
- Netzwerke aufbauen
- Zukunft planen"
Resilienz lernen wir daher mit jeder kleinsten Entscheidung in unserem und im Leben unserer Kinder.
#8 Miteinander sind wir stärker als gegeneinander
Bei all der persönlichen Förderung eines Kindes ist es auch wichtig, dass es lernt, mit anderen zu agieren und Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wir als Eltern sollten nicht nur an den intellektuellen Ergebnissen der Kinder interessiert sein, sondern dass sie sich in eine Gemeinschaft integrieren können und füreinander da sind. Persönliches Glück erwächst auch durch Bindung und soziales Verhalten. Wenn Kinder schon in der Grundschule einander helfen, voneinander lernen, dann werden sie nicht nur emphatischer, sondern auch glücklicher.
Mobbing ist ein extremes Problem, weil Kinder sich gegenseitig ausgrenzen, wenn ein Kind anders ist als der Rest. Dabei sind alle viel glücklicher, wenn sie die Verschiedenartigkeit des Einzelnen anerkennen und jeden mit seinen Stärken und Schwächen als Teil der Gemeinschaft ansehen. Wir Eltern können da große Vorbilder sein!
#9 Jedes Kind hat sein eigenes Lerntempo
"Erwachsene sollten es Kindern voller Vertrauen ermöglichen, die Welt zu entdecken."
Die schönste Botschaft des Buches animiert uns alle, mehr durchzuatmen: Wir müssen nicht gestresst durchs Leben hetzen und unsere Kinder müssen das auch nicht. Anke Elisabeth Ballmann ruft zu mehr Slow Parenting und Slow Familiy auf, weil wir es alle gebrauchen können, auf die Bremse zu treten. Wir hasten bestimmten Zielen nach, ohne je glücklich zu sein, auch wenn wir diese vermeintlich erreicht haben. Noch dazu sollten wir unseren Kindern Langsamkeit im Lernen zugestehen und ihnen da schulisch und privat den Druck rausnehmen. Das erfordert natürlich auch dementsprechendes langsames Tempo in den Schulen in einem sehr verhärteten, veralteten und starren Schulsystem. Doch es ist nie zu spät, daran zu arbeiten und etwas zu verändern.
Wenn ihr jetzt inspiriert seid und noch tiefer verstehen wollt, wie das Faultier-Prinzip funktioniert, dann empfehle ich euch Anke Elisabeth Ballmans Buch:
Was wir von den Faultieren lernen können
Ein neuer Erziehungsratgeber, der sich mit Gelassenheit und Faultieren beschäftigt? Großartige Kombination für mich, die ich Faultiere sehr liebe. Im Buch führt Autorin Anke ein fiktives Gespräch mit dem Faultier, das sozusagen aus seiner Perspektive der Gelassenheit auf unser wuseliges Leben blickt. Es macht Spaß den Ratgeber zu lesen und in Friedas Perspektive zu hüpfen, dadurch wirkt es so gar nicht belehrend, sondern man betrachtet die menschliche Welt mal aus tierischer Sicht. Dabei merkt man, wie absurd und widersprüchlich unser Verhalten teilweise ist.
Am schönsten fand ich die Faultierweisheiten am Ende des Buches, die es wirklich gut auf den Punkt bringen:
- Aufregung bringt uns keinen Schritt weiter.
- Praktiziert Entspannungstechniken!
- Übt euch in Gelassenheit!
- Macht Pausen!
- Schlaft genug!
- Sprecht freundlich!
- Akzeptiert, dass kein Mensch perfekt ist.
- Vermeidet Situationen und Menschen, die euch nicht guttun.
- Ihr könnt einen anderen Menschen niemals ändern, weder seine Gedanken, noch sein Verhalten. Ändern könnt ihr nur euch selbst!
Damit begebe ich mich jetzt in eine Pause und übe mich in Gelassenheit.
Die Psychologin hat übrigens noch weitere Fachbücher zu Erziehungsthemen und den Umgang mit Kindern verfasst:
Habt ihr ein Kleinkind zu Hause, das euch starke Nerven abverlangt? Das kennen wir nur zu gut. Hier kommen ein paar Tipps, wie wir mit Kindern in der beginnenden Autonomiephase umgehen können: