Geht es um die Kindererziehung, werden viele Jungs von ihren Eltern nach alten Rollenbildern erzogen. Von klein auf wird ihnen das Gefühl gegeben, dass sie „das starke Geschlecht“ sind und sie sich deshalb später auch (fast) alles erlauben dürfen. In der Erziehung von Jungen machen sich unsere stark veralteten Geschlechterbilder bemerkbar. Und genau da liegt das Problem. Hört auf, diesem Leitbild von Männlichkeit zu folgen und erzieht eure Söhne nicht zu modernen Machos!
Dieser Gastbeitrag von Stefan Uhr erschient zuerst bei unseren Kolleg*innen von Desired.
Das machen Jungs halt so!
Kleine Jungs bekriegen sich als Piraten mit Holzschwertern, schießen aufeinander mit Spielzeugpistolen oder ahmen mit anderen Waffen große Kämpfe tapferer und starker Männer nach. Jungs spielen in ihren blau gestrichenen Kinderzimmern mit Feuerwehrautos oder basteln, schrauben, hämmern und reparieren an ihrer Werkbank – ganz wie der Papa. Nicht zu vergessen spielen sie gerne Fußball. Das machen Jungs halt so, oder? Zumindest, wenn es um das gesellschaftlich stark verankerte Rollenbild von Geschlechtern geht.
Macho oder Weichei? Zwischen Puppen und Piraten
Was Jungs hingegen scheinbar nicht dürfen, sind die Farben Rosa oder Pink und erst recht kein Glitzer zu mögen, keine Prinzessinnen-Filme anschauen oder sogar Röcke tragen. Geht natürlich nicht, denn sie sollen ja zu mächtigen Machos von morgen werden. Machos, die dem traditionellen Männerleitbild unserer westlichen Kultur entsprechen, in dem ein Mann eher gefühlskalt als warmherzig und dazu mutig, dominant, aggressiv und gerne mal gewaltbereit ist. Eben ein starker, überlegener Mann, der innerhalb einer Familie als „Chef“ das Oberhaupt ist. Also alles, was Frauen eben nicht sind.
Dinge, die nicht ich selbst so sehe, sondern das stereotypische Rollenverständnis es versteht. Wer diesem Bild nicht entspricht, hat folglich als Kind mit Puppen gespielt oder weint sogar ab und an einmal und kann so nur zum Weichei werden. Während es nicht als ungewöhnlich angesehen wird, wenn Mädchen sich für Dinosaurier oder Piraten interessieren, wird es bei Jungs bis heute missbilligt, wenn diese eines Tages mit dem Lippenstift und Nagellack der Mutter spielen wollen. Aber ist dieses Geschlechterbild noch zeitgemäß? Nein, ist es nicht!
Altes Männer-Leitbild noch heute aktuell
Umso schockierender sind daher die Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung zu Rollenbildern von Jungen und Mädchen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Könnte man eigentlich annehmen, dass die klassische Männer-Macho-Rolle endlich aus unserer Gesellschaft verschwindet und unsere Generation ihre Kinder modern und offen erzieht, zeige sich ihr zufolge, dass Frauen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren das gesellschaftliche Männer-Leitbild vom Haupternährer und Beschützer auch heute noch bestärken und tatsächlich reproduzieren. Die Folge: Bei der Entwicklung von Lebensvorstellungen stehen bei Jungs nach wie vor die konservativen Männerleitbilder hoch im Kurs.
Mütter sind Co-Architektinnen des Rollenbildes
Es sind nicht die Jungs, die sich dazu entscheiden, diesem Rollenbild zu entsprechen. Kein Kind denkt in Blau oder Rosa, doch noch bevor sie geboren werden, öffnen sich bereits riesig große Klischee-Schubladen, aus denen all diese verstaubten Attribute und Eigenschaften herausgeholt werden. Es sind die Mütter, die ihre Jungs zu Machos machen! Ja, ganz genau, es mag nicht gefallen das zu lesen, aber Mütter sind aktiv als eine Art Co-Architektinnen an der Konstruktion des Rollenleitbilds von ihren Jungs beteiligt.
„Sie bestätigen, erwarten und verstärken in bestimmten Lebensphasen Kernelemente aus dem Leitbild vom traditionellen Haupternährer“, so die Studie des BMFSJ. Dies passiert durchaus unbewusst. Eltern geben jene Konzepte von Geschlecht und Identität an ihre Kinder weiter, die sie von ihren eigenen Eltern gelernt haben. Sie handeln in den meisten Erziehungsfällen total spontan und dadurch leider absolut geschlechtsstereotypisch.
Starke Helden & Klischee-Keulen
Neben dem eigenen Elternhaus und der Familie ist es auch der Kindergarten und die Schule, die noch viel zu oft in Stereotypen denken und das obwohl in den Bildungs- und Erziehungsplänen der Länder festgeschrieben steht, dass stets auf Geschlechtergerechtigkeit geachtet werden muss. Was das bedeutet? Das Kinder in ihrer Vielfältigkeit unterstützt werden müssen – egal ob Junge oder Mädchen. Aber auch die Medien üben einen nicht unbedenklichen Einfluss auf das Rollenverständnis aus. Im Kino und im Fernsehen sind Jungs und Männer die starken Helden, die Frauen oder gleich die ganze Welt retten und auch in der Werbung wird bis heute die Klischeekeule geschwungen. Das Denken in Blau und Rosa muss aufhören.
Ein Indianer kennt Schmerz
Geschlechterunterschiede sind nichts anderes als sozialen Konstruktionen. Rollen, die man lernt. Wer bei der Kindererziehung zu stark in männlich und weiblich denkt, nimmt seinem Kind – egal welches Geschlecht – die Möglichkeit, seine ganz eigenen Stärken zu entwickeln. Auch emotionale Stärken. Wenn euer Sohn weint, hört auf ihm zu sagen, dass Jungs nicht weinen oder wie Eltern früher sagten: Ein Indianer kennt keinen Schmerz.
Wenn er sich etwas nicht traut, bezeichnet ihn nicht als Mimose. Gebt ihm Raum für seine Gefühle und vermittelt ihm, dass er sie zeigen darf und vor allem auch soll. Lasst ihm seine Rosa-Phase, wenn ihm danach ist. Kauft ihm ein Tutu, wenn er tanzen statt Fußball spielen will. Oder alles auf einmal. Was die anderen dazu sagen werden? Zeigt eurem Kind, dass das komplett egal ist und steht für seine Interessen und Fähigkeiten ein.
Gebt euren Söhnen Spielraum
Glücklicherweise gibt es heute bereits viele Kinder, deren Durchsetzungskraft ihrer eigenen Bedürfnisse zu stark ist, sodass sie sich über die gesellschaftlich vorgegebenen Rollenbilder von ganz allein hinwegsetzen. Jedoch nicht alle. Deshalb appelliere ich hiermit an alle Mütter (und auch Väter): Erzieht eure Söhne nicht zu Machos. Gebt euren Jungs den Spielraum für ihre Identitätsentwicklung, die sie brauchen und schränkt euer Kind in seinem Sein nicht durch ein veraltetes Geschlechterverständnis ein. Denn ansonsten wird es sich später auch an den traditionellen Geschlechterkonstruktionen orientieren und stets seine Männlichkeit unter Beweis stellen wollen.
Dabei geht es nicht darum, eure Kinder zu geschlechtsneutralen Menschen zu erziehen, aber ihre ganz eigene Identität entwickeln zu lassen. Bietet aber nicht nur euren Jungs flexible Rollenbilder, damit sie keine Machos werden, sondern auch euren Töchtern. Erzieht sie zu modernen Feministinnen, damit sie nicht ihr Leben lang auf den großen starken Mann warten, der sie rettet.
Bildquelle: Getty Images / Aleksandar Nakic; Imgorthand; Orbon Alija