Aus der Nummer kommst du nie raus: Geschwister – und insbesondere Zwillinge – sind eine ganz eigene Spezies. Das zeigt sich auch bei der Frage, ob sie in ein und dieselbe Kita-Gruppe gehen sollten.
Geschwister verbringen viel Zeit zusammen. Entsprechend gut sind sie aufeinander eingespielt – streiten sich aber auch manchmal heftig. Der Eintritt in die Kita kann eine prima Chance sein, hier ein wenig Abwechslung ins Spiel zu bringen. Aber wie klappt das am besten? Sollten sie zusammen in eine Gruppe gehen oder lieber getrennt? Um es vorwegzunehmen: Es gibt keine grundsätzliche Empfehlung. Aber Eltern haben meist selbst ein feines Gespür dafür, was ihren Kindern guttut.
Außerdem können erfahrene Erzieherinnen recht schnell rückmelden, ob die Entscheidung richtig war. Man sollte das Thema bei der Anmeldung gleich ansprechen, denn in manchen Einrichtungen werden Zwillings- oder Geschwisterkinder grundsätzlich auf verschiedene Gruppen verteilt. Gute Argumente dafür lauten: Da die Kleinen sich auf diese Weise nicht am größeren Geschwisterkind orientieren, bzw. Zwillinge nicht aneinander klammern, haben sie die Möglichkeit, sich unabhängig voneinander zu entwickeln und je eigene Freunde zu finden. Manche Eltern erleben so zu ihrer eigenen Überraschung, dass ihre Kinder von der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Gruppen sehr profitieren. Sie blühen förmlich auf und erleben ihre neue Unabhängigkeit oft als befreiend.
Irgendwann heißt es: „Mach dein eigenes Ding!“
Eine Trennung der Kinder kann positiv sein, wenn etwa Zwillinge sich zu sehr abschotten und nur noch in ihrer eigenen Welt leben. Ein anderer Beweggrund kann sein, dass die große Schwester die kleine gerne mal unterbuttert – obwohl sie vielleicht nur wenige Minuten älter ist – oder der kleine Bruder dem großen permanent hinterherhechelt, statt sein eigenes Ding zu machen. Manche Eltern finden es zudem gut, dass jedes Kind zu Hause etwas Eigenes und Besonderes erzählen kann.
Doch es gibt auch gute Erfahrungen mit der anderen Variante, bei der die Geschwister in einer Gruppe sind. Viele Zwillinge wollen einander nicht missen, jüngere Kinder gewöhnen sich oft leichter ein und bei den älteren steigt das Selbstbewusstsein, weil sie ihrer Schwester oder ihrem Bruder alles zeigen können. Für sie ist es schön und beruhigend, Bruder oder Schwester in der Nähe zu wissen. Sind die Kinder in einer Gruppe, hat das nicht zuletzt den Vorteil, dass Mama oder Papa nicht zu zwei verschiedenen Elternabend-, Bastel- oder Ausflugsterminen gehen müssen.
Problematisch wird die gemeinsame Gruppenzugehörigkeit, wenn sich die Geschwister allzu fest zusammenschließen. Wenn etwa Freunde ein Kind nur einladen können, wenn auch der Bruder oder die Schwester mitkommen darf. Auch für die Gruppe kann so ein Verhalten schwierig werden. Eltern und Erzieherinnen müssen dann herausfinden, warum sich die Geschwister so eng miteinander verbünden. Vielleicht brauchen sie einander, weil es tiefgreifende Änderungen wie Trennungen oder einen Umzug gab? Andernfalls kann man die vermeintlich Unzertrennlichen in jeweils andere Aktivitäten einbinden, damit sie sich nach und nach auch für andere Kinder öffnen. Die Geschwisterforschung zeigt, dass insbesondere Zwillinge durch die permanente Zweisamkeit sozialer eingestellt sind und sich gegenseitig Halt geben – was nicht bedeutet, dass sie ständig ein Herz und eine Seele sind. Sie kennen sich eben (zu) gut.
In der Zeit von der Geburt bis zur Grundschule sind Geschwister einander besonders eng verbunden. Alle Gefühle, ob Zuneigung, Eifersucht oder Ärger, werden dann intensiv erfahren, ausgelebt und geteilt. So nervig das für andere sein mag, es gehört schlicht dazu.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Zwillinge müssen nicht speziell oder anders erzogen werden als andere Kinder bzw. Geschwister. Allerdings brauchen Mehrlinge mehr Zeit für ihre Entwicklung. Weil sie stärker aufeinander als auf die Eltern bzw. Erwachsenen fixiert sind, lernen sie zum Beispiel in der Regel erst ein halbes Jahr später sprechen als andere Kinder. Durch ihre Ähnlichkeit erkennen sich eineiige Zwillinge auch später als andere Kinder im Spiegel als Individuum – und entwickeln so mit Verzögerung ein Bewusstsein für das eigene Ich. Passiert nichts Unvorhergesehenes, sind solche Unterschiede spätestens bis zum Anfang der Grundschule ausgeglichen.
In diesem Zusammenhang nennt der Frühpädagoge und Psychologe Hartmut Kasten als wesentliche Entwicklungsaufgabe für Kita und Grundschule: „Wechselseitige emotionale Unterstützung, Aufbau von Freundschaft und Kameradschaft; die älteren Geschwister helfen den jüngeren, man erweist sich kleine Gefälligkeiten und steht einander bei, solidarisiert sich und bezieht etwa gemeinsam Front gegen Dritte (gelegentlich auch gegen die eigenen Eltern).“
Rivalität um Anerkennung und Aufmerksamkeit
Unter guten Freunden funktioniert das meist auch; schwieriger ist es allerdings für Geschwisterkinder bzw. Zwillinge, die zwar Vorlieben, Spiele und Ärger gerne teilen, nicht aber Mama und Papa. Gerade diese Rivalität – Wer bekommt mehr Anerkennung? – ist zwischen Geschwisterkindern ein häufiger Reizpunkt. Nicht nur bei diesem Problem kann eine funktionierende Erziehungspartnerschaft zwischen Kita, Eltern und Kindern entlastend wirken. Dabei gilt: Zu welcher Lösung die Erwachsenen am Ende auch kommen, sie sollten die Kinder an der Entscheidung beteiligen – und sie keinesfalls gegen ihren Willen einfach voneinander trennen.
von Sylvia Meise / erschienen in der familie&co 08/2016