Der aus dem Griechischen stammende Begriff „Progerie" kann mit „vorzeitiges Altern" übersetzt werden. Es handelt sich hierbei um eine sehr seltene Erkrankung, die die betroffenen Menschen deutlich schneller altern lässt. Beschrieben wurde sie erstmals und unabhängig voneinander 1886 von Jonathan Hutchinson und 1897 von Hastings Gilford. Aus diesem Grund wird Progerie auch als „Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom" (HGPS) bezeichnet.
- 1.Gibt es verschiedenen Arten von Progerie?
- 2.Was ist die Ursache bzw. der Auslöser von Progerie?
- 2.1.Vermutliche Auslöser der Typ-1-Progerie (HGPS)
- 2.2.Vermutliche Auslöser der Typ-2-Progerie
- 3.Was sind die Symptome von Progerie?
- 3.1.Mögliche Symptome bei der Typ-1-Progerie (Auswahl)
- 3.2.Mögliche Symptome bei der Typ-2-Progerie (Auswahl)
- 4.Wie bekommt man Progerie?
- 5.Lebenserwartung: Wie lange kann man mit Progerie leben?
- 6.Ist Progerie heilbar?
Gibt es verschiedenen Arten von Progerie?
Tatsächlich kann man nicht ganz allgemein von der Erkrankung „Progerie" sprechen, denn es müssen zwei unterschiedliche Typen unterschieden werden:
- Progerie Typ I: Das „Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom" (HGPS) oder „Progeria infantilis"
- Progerie Typ II: „Werner-Syndrom"
Beim Progerie-Typ 1 zeigt ein zunächst bei der Geburt völlig gesund wirkendes Baby bereits im ersten Lebensjahr deutliche Zeichen von Vergreisung. Bei der Typ-2-Progerie bricht die Krankheit erst in der Pubertät aus und macht sich zunächst durch Wachstumsstörungen bemerkbar. Die beschleunigte Vergreisung setzt erst nach Abschluss der Pubertät mit ca. 30 Jahren oder etwas früher ein.
Was ist die Ursache bzw. der Auslöser von Progerie?
Vollständig einig sind sich Wissenschaftler*innen über die Ursache von Progerie noch nicht. Sie gehen allerdings davon aus, dass der Erkrankung eine Gen-Mutation, ein Fehler in der Erb-Information also, zugrunde liegt.
Vermutliche Auslöser der Typ-1-Progerie (HGPS)
Bei der Typ-1-Progerie geht man davon aus, dass ihr eine Gen-Mutation zugrunde liegt, die autosomal-dominant vererbt wird.
Als Autosomen werden jene 22 Chromosomenpaare bezeichnet, die nicht zu den Geschlechtschromosomen gehören.
Dominant bedeutet, dass die Krankheit auch dann ausbricht, wenn sie auf nur einer der beiden Genkopien eines Chromosomenpaares auftritt.
Im Fokus steht beim HGPS das Chromosom Nummer 1 und auf diesem so genannte Lamin-A-Gen. Lamin ist ein Protein („Eiweiß"), das dafür zuständig ist, eine Gerüststruktur um den Zellkern und die Zellkernhülle zu bauen, damit diese stabil ist. Das Lamin-A-Gen gibt dem Körper sozusagen die Information zur Herstellung dieses Proteins.
Kommt es nun zu einer Mutation, entsteht ein Schreibfehler in der Bauanleitung des Lamin-A: Statt des „normalen" Proteins baut der Körper plötzlich eine verkürzte Form. Diese wird als „Progerin" bezeichnet. Eine der schwerwiegenden Folgen: Die Gerüststruktur und die Zellkernhülle sind nun weniger stabil, der Zellkern dadurch verformt.
Das Progerin kommt in der Zelle nun in sehr großer Menge vor. Wie genau es dort wirkt, ist bisher nicht bekannt. Forscher und Forscherinnen gehen allerdings davon aus, dass die Zellen durch das anwesende Progerin schneller altern.
Eine weitere Beobachtung ist, dass Menschen mit Typ-1-Progerie stark verkürzte Telomere haben.
Telomere sind die Endstücke der Chromosomen. Es wird angenommen, dass sie u.a. für das Altern der Zellen verantwortlich sind, denn sie bilden im Prinzip eine Art von Schutzkappe, um Schäden an den Chromosomen zu verhindern. Je kürzer die Telomere, desto weniger gut können sie schützen. Bei Menschen mit dem HGP-Syndrom sind sie schon bei der Geburt extrem verkürzt.
Vermutliche Auslöser der Typ-2-Progerie
Beim Werner-Syndrom gehen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von einer autosomal-rezessiven Vererbung vor. Diese liegt also, wie auch beim Typ-1, auf den Autosomen vor, wird aber nicht dominant, sondern eben rezessiv vererbt.
Eine rezessive Vererbung liegt vor, wenn eine Krankheit nur dann ausbricht, wenn beide Genkopien eines Chromosomes defekt sind.
Im Fokus steht hier das Chromosom Nummer 8 und auf diesem das so genannte RecQL1-Gen, das u.a. für Reparaturmechanismen in den Zellen zuständig ist. Die Telomere verkürzen sich sehr schnell und durch die Mutationen werden Folgeerkrankungen begünstigt.
Was sind die Symptome von Progerie?
Auch hier muss zwischen der Typ-1- und der Typ-2-Progerie unterschieden werden.
Mögliche Symptome bei der Typ-1-Progerie (Auswahl)
- Osteoporose („Knochenschwund")
- Arthrose („Gelenkverschleiß")
- Eine sehr dünne, lange Nase
- Haarverlust während des ersten Lebensjahres
- Dünne, trockene Haut aufgrund des sich zurückbildenden Unterhautfettgewebes
- Schmales Gesicht, schmaler „zerbrechlicher" Körper
Mögliche Symptome bei der Typ-2-Progerie (Auswahl)
- Ausbleiben des Wachstumsschubs in der Pubertät
- Dünnes, früh ergrautes Haar
- Diabetes mellitus
- Osteoporose
- Tumorbildung
- Grauer Star
Ihr möchtet euch genauer informieren, wie das Leben von Menschen mit Progerie aussehen kann? In der HBO Doku „Life According To Sam" aus dem Jahr 2013 begleitet ihr Sam Berns und seine Eltern in ihrem Alltag:
Wie bekommt man Progerie?
Wie in dem Abschnitt über die Ursachen von Progerie beschrieben, liegen beiden Typen Gen-Mutationen zugrunde. Da Menschen mit Typ-1-Progerie selten das zeugungsfähige Alter erreichen, gehen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen davon aus, dass meist eine Spontan-Mutation für das Auftreten verantwortlich ist.
Um an einer Typ-2-Progerie erkranken zu können, die, wie gesagt, rezessiv vererbt wird, müssten beide Eltern das Merkmal der Erkrankung in sich tragen und an das Kind weitergeben. Das ist sehr unwahrscheinlich – es sei denn, die Eltern sind miteinander verwandt, haben zum Beispiel die selben Eltern. Dann ist es auch wahrscheinlicher, dass sie beide den Gendefekt in sich tragen und weitergeben können.
Da bei beiden Progerie-Typen das Träger-Gen bekannt ist, kann mittels Pränataldiagnostik bereits während der Schwangerschaft festgestellt werden, ob ein Kind betroffen ist oder nicht. Dies geschieht mit Hilfe eines Gentests.
Lebenserwartung: Wie lange kann man mit Progerie leben?
Die Lebenserwartung ist vor allem bei der Typ-1-Progerie deutlich herabgesetzt. Die Blutgefäße der Betroffenen altern schneller, was wiederum Gefäßkrankheiten begünstigt und im schlimmsten Fall zu Schlaganfällen und Herzinfarkten führen kann. Kinder mit dem HGP-Syndrom werden meist zwischen sechs und 20 Jahre alt.
Auch bei Menschen, die an der Typ-2-Progerie leiden, ist die Lebenserwartung deutlich verkürzt und liegt bei etwa 50 Jahren. Auch bei ihnen altern die Blutgefäße über die Maßen schnell, die Folge sind auch hier Herzinfarkte und Schlaganfälle. Zudem treten vermehrt bösartige Tumore auf, die oft zum Tod führen.
Ist Progerie heilbar?
Bisher gehen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen davon aus, das Progerie beider Typen nicht heilbar ist. Bei der Behandlung geht es darum, Schäden an verschiedenen Organen und Stellen im Körper zu behandeln und Symptome zu lindern.
Seit Mitte Oktober 2022 gibt es allerdings ein Medikament, das auf dem deutschen Markt zur Behandlung des HGP-Syndroms (Typ 1) erhältlich ist. Es trägt den Namen „Lonafarnib" und ist ab einem Lebensalter von zwölf Monaten bei Patient*innen mit genetisch bestätigter Diagnose von HGPS zugelassen. Studiendaten zeigen bisher, dass das Medikament das Leben der Betroffenen deutlich verlängern kann. Geheilt werden können sie zwar nicht, das Voranschreiten der Krankheit aber etwas ausgebremst werden.
In unserem Video erfahrt ihr noch mehr über Kinderkrankheiten:
Quellen: Ratgeber Progerie, GARD, doccheck.de, pharmazeutische-zeitung.de, onmeda.de, medlexi.de,
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