Dass unsere Kinder nicht immer so essen wie wir Eltern uns das wünschen, ist weit verbreitet: Bestimmte (meist gesunde) Lebensmittel werden vielleicht verpöhnt oder dem neugierigen Nachwuchs fehlt "die Zeit" zum Essen. Doch bis zu welchem Punkt ist das normal und ab wann wird das Essverhalten problematisch? Wie ihr die Symptome einer Fütterstörung erkennt, welche Ursachen zugrundeliegen können und wie die Behandlungsmöglichkeiten aussehen.
- 1.Was ist eine Fütterstörung?
- 2.Wann kann eine Fütterstörung bei Kindern auftreten?
- 2.1.Fütterstörung beim Baby im ersten Lebenshalbjahr
- 2.2.Fütterstörung beim Baby im zweiten Lebenshalbjahr
- 2.3.Fütterstörung im Kleinkindalter
- 3.Vorübergehende Fütterstörungen
- 4.Fütterstörung: Was tun?
- 5.Symptome einer schweren Fütterstörung
- 6.Mögliche Ursachen für eine Fütterstörung
- 7.Therapiemöglichkeiten bei Fütterstörung
- 7.1.Logopädie bei Fütterstörung
Was ist eine Fütterstörung?
Eine Fütterstörung im frühen Kindesalter, wissenschaftlich auch "Pädysphagie" genannt, kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. In diesem Artikel geht es um Fütterstörungen bei Babys und Kleinkindern, für die keine organischen Gründe (z. B. chronische Krankheiten, Fehlbildungen, Lebensmittelunverträglichkeiten, Muskelschwäche, Behinderungen) vorliegen:
"Im Allgemeinen umfasst die Nahrungsverweigerung extrem wählerisches Essverhalten bei angemessenem Nahrungsangebot und einer einigermaßen kompetenten Betreuungsperson in Abwesenheit einer organischen Krankheit. Begleitend kann Rumination – d. h. wiederholtes Heraufwürgen von Nahrung ohne Übelkeit oder eine gastrointestinale Krankheit – vorhanden sein."
Wann kann eine Fütterstörung bei Kindern auftreten?
Eine Fütterstörung ist gar nicht so selten: Bis zu 25 Prozent der Kinder bis 2 Jahre entwickeln phasenweise eine Pädysphagie, bei Frühchen sind es sogar bis zu 40 Prozent. Je nach Alter äußert sich die Fütterstörung unterschiedlich.
Fütterstörung beim Baby im ersten Lebenshalbjahr
Tritt bei Säuglingen eine Fütterstörung auf, zählt diese meist zu den frühkindlichen Regulationsstörungen. Daher hängen diese Fütterstörungen auch oft mit Schlafschwierigkeiten oder extremem Schreien zusammen. Die Babys haben Probleme beim Stillen oder Trinken aus dem Fläschchen, bleiben nicht bei der Sache, kommen nicht zur Ruhe, sind permanent abgelenkt oder auch zu schläfrig um zu trinken. Außerdem geben sie keine oder kaum Hungerzeichen.
Da insbesondere für Säuglinge eine regelmäßige Nahrungsaufnahme überlebenswichtig ist, solltet ihr euch beim Verdacht auf Fütterstörung im ersten Lebenshalbjahr schnellstmöglich an eure Hebamme oder Kinderärztin wenden. Sie können euch Hilfestellung geben bzw. angemessene Behandlungsschritte einleiten.
Fütterstörung beim Baby im zweiten Lebenshalbjahr
Babys, die älter als ein halbes Jahr sind, verweigern bei einer Fütterstörung oft bestimmte Nahrungsmittel, z. B. breiige Konsistenzen bei Einführung der Beikost. Sie haben keinen Appetit, drehen den Kopf weg oder spucken die Nahrung wieder aus. Ebenfalls von einer Fütterstörung spricht man, wenn die Kleinen sich nur bei Ablenkung füttern lassen, also z. B. während des Spielens, wenn sie schon fast eingeschlafen sind oder nebenher aufs Tablet oder den Fernseher schauen dürfen.
Fütterstörung im Kleinkindalter
Kleinkinder mit Fütterstörung sind extrem wählerisch, was ihr Essen angeht, lehnen bestimmte Geschmacksrichtungen oder altersentsprechende Konsistenzen hartnäckig ab (z. B. wenn ein Kleinkind immer noch ausschließlich Brei ist, keine feste Nahrung). Oder sie essen nur in bestimmten, nicht altersgemäßen Positionen, z. B. nur im Liegen oder partout nicht im Hochstuhl. Manche Kids werden dann auch wütend und schmeißen das Essen oder Geschirr runter.
Vorübergehende Fütterstörungen
Größtenteils sind diese Fütterstörungen vorübergehend und auf ganz normale Anpassungsschwierigkeiten zurückzuführen. Sie treten in Übergangsphasen auf, also z. B.:
- beim Abstillen und Umgewöhnen auf Fläschchen
- beim Einführen der Beikost
- beim Angewöhnen der Familienkost
- nach der Fütterungsphase: wenn die Kinder lernen, selbstständig zu essen
- seltener: beim Wechsel der Milchzähne zu bleibenden Zähnen
Bei Babys im ersten Lebensjahr sind Hebammen die Ansprechpartner*innen Nummer 1, wenn's um Probleme beim Stillen oder Füttern geht. Wie du eine kompetente, einfühlsame Hebamme findest, zeigt unser Video:
Fütterstörung: Was tun?
Bei "Picky Eatern", also eigentlich gesunden, aber phasenweise besonders wählerischen Minis, braucht es dann oft "nur" etwas Geduld und Einfühlungsvermögen. Auch diese Maßnahmen können helfen:
- Beikostreife abwarten: Bitte Beikost nicht zu früh und ohne Druck anbieten. Auf Beikostreifezeichen achten.
- Sättigungszeichen ernst nehmen: Wenn euer Baby den Kopf wegdreht und den Mund zukneift, bitte nicht versuchen, es noch zu "überreden". Respektiert seine Grenzen.
- Bye-bye Brei: Manche Kinder mögen einfach nichts Püriertes. Vielleicht ist Baby-led Weaning hier der bessere Weg? Gerne einfach mal ausprobieren.
- Regelmäßigkeit: Haltet regelmäßige Mahlzeiten ein. Wichtig: Dazwischen gibt es Zeiten ohne Nahrung, also auch ohne Snacks.
- Auf Getränke achten: Wenn euer Kleines zwischen den Mahlzeiten permanent Milch oder reichhaltige Säfte trinkt, macht das das Bäuchlein ganz schön voll. Getränke also bitte im Blick behalten und nach Möglichkeit nur Wasser anbieten.
- Essenszeit ist keine Spielzeit: Das Kind beim Essen bitte nicht ablenken lassen, spielen darf es nachher wieder. Das gilt aber auch für uns Erwachsene: keine Handys, kein Fernseher, keine laute Musik.
- Wir essen zusammen: Lasst euer Baby oder Kleinkind wann immer möglich mit der ganzen Familie zusammen am Tisch essen. Versucht dabei, eine möglichst positive, lockere Atmosphäre zu schaffen.
- Meine Regeln, deine Regeln: Die Eltern bestimmen die Essenszeit und was es gibt, das Kind bestimmt, ob es essen will und welche Menge.
- Kindgerechtes Essen anbieten: Zu scharf, zu kompliziert zum Essen, komische Konsistenz? Gründe, Mahlzeiten abzulehnen, gibt es aus Kindersicht viele. Probiert gerne mal diese Kinderrezepte aus – von der familie.de-Redaktion erfolgreich getestet!
- Kleine Portionen: Bitte nicht zu viel auf den Teller oder den Löffel laden. Von großen Mengen fühlen sich Kinder oft überfordert. Lasst das Kind gerne auch mal selbst schöpfen.
- Selbst essen lassen: Euer Kind möchte nicht gefüttert werden, sondern selber essen? Lasst es ausprobieren. Auch wenn der Boden nachher aussieht wie Sau. Ihr könnt ja eine Zeitung unter den Stuhl legen oder den Staubsauger schon griffbereit stellen.
- Nicht dauernd Mund abwischen: Bitte macht den Mund eures Kindes erst sauber, wenn es fertig mit dem Essen ist. Würde uns ja auch stören, wenn uns beim Kauen dauernd jemand im Gesicht rumwischt, oder?
- Mahlzeiten beenden: Wenn das Kind nicht mehr essen will, wartet höchstens noch 5 Minuten und räumt dann den Tisch ab. Bitte die Mahlzeit nicht ewig in die Länge ziehen.
- Keep cool: Versucht, die Fütterungsprobleme nicht andauernd zu thematisieren und nicht so aufzubauschen. Essen geht für die Kleinen leichter, wenn sie sich nicht dabei überwacht fühlen.
Ganz wichtig: Bitte übt keinen Druck auf euer Kind aus und macht ihm keine Vorwürfe. Versucht, das Thema möglichst locker anzugehen und vorzuleben, dass Essen etwas Schönes, Genussvolles und vor allem: etwas ganz Normales ist. Weder Bestrafung, noch Belohnung! Klar, dass ihr manchmal genervt seid, wenn ihr euch viel Mühe gegeben habt und das Kind dann den Teller runterschmeißt. Aber je mehr "Theater" um das Essen gemacht wird, umso problematischer kann die Sache werden.
Symptome einer schweren Fütterstörung
Wie gesagt, oft sind diese Anpassungsprobleme nach kurzer Zeit wieder vorbei. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen sich die Pädysphagie hartnäckig fortsetzt. Kritisch wird eine Fütterstörung immer dann, wenn sie länger als einen Monat anhält und die Nahrungsaufnahme mehrmals am Tag problematisch ist.
Wenn ihr folgende Symptome beobachtet, solltet ihr dringend eure Kinderärztin aufsuchen:
- Nahrungsaufnahme dauert extrem lange (über 45 Minuten)
- das Kind isst nahezu nichts mehr oder nur noch winzig kleine Portionen
- das Kind ist überempfindlich gegen alle Berührungen am Mund, hat neben dem Essen z. B. auch beim Zähneputzen große Probleme
- das Kind würgt die Mahlzeit wieder herauf, übergibt sich oder das Essen kommt aus der Nase wieder raus
- häufiger Durchfall
Rund 10 Prozent der Kinder bis zu zwei Jahren entwickeln eine schwere Form der Fütterstörung. In 3 bis 4 Prozent der Fälle führt diese sogar zu einer Gedeihstörung: Die Kinder nehmen nicht mehr zu oder sogar ab und es kann zu Wachstumsstörungen kommen.
Klar, dass Eltern sich dann Sorgen machen. Wenn Kinder an einer schweren Fütterstörung leiden, ist dies oft eine Belastung für die ganze Familie. Wir Eltern befürchten, dass das Kind nicht genug zu sich nimmt und neigen deswegen dazu, die Intervalle zwischen den Mahlzeiten immer weiter zu verkürzen, oft auf unter 2 Stunden. Bald dreht sich alles nur noch ums Essen, die Eltern fühlen sich womöglich als Versager und der Druck auf das Kind steigt. Dadurch verweigert sich dieses noch mehr – ein Teufelskreis kommt in Gang.
Um diesen schnellstmöglich zu durchbrechen, solltet ihr euch beim Verdacht auf Fütterstörung, wie gesagt, an euren Kinderarzt wenden. Dieser checkt den Perzentilenverlauf und kann damit beurteilen, ob hinsichtlich Gewicht und Größe schon Auffälligkeiten bestehen. Eventuell wird er euch auch bitten, ein Ernährungstagebuch zu führen oder Videoaufnahmen von den Mahlzeiten zu machen, um die Lage besser einschätzen zu können.
Mögliche Ursachen für eine Fütterstörung
Um die Fütterstörung erfolgreich behandeln zu können, müssen der Arzt oder die Ärztin den Ursachen auf den Grund gehen. Können organische Faktoren ausgeschlossen werden, liegt die Fütterstörung möglicherweise in einem oder mehreren der folgenden Punkte begründet:
- Beikost wurde zu früh oder zu schnell eingeführt
- das Kind darf nicht selbstständig essen, obwohl es das möchte
- posttraumatische Fütterstörung, da das Kind längere Zeit über eine Sonde ernährt oder intubiert wurde (z. B. Frühgeborene)
- Kind wurde zum Essen gezwungen
- das Kleine ist sensorisch sehr sensibel und lehnt deswegen bestimmte Konsistenzen oder Geschmacksrichtungen an (Hypersensibilität)
- Interaktions- und Bindungsstörungen zu den Eltern (die Probleme beim Essen treten in diesem Fall meist nur auf, wenn die Eltern füttern, nicht bei anderen Personen)
- Depression oder eigene Essstörung der Eltern, die sich auf das Kind überträgt
Therapiemöglichkeiten bei Fütterstörung
Da die möglichen Ursachen für eine Fütterstörung so vielfältig sind, ist viel Einfühlungsvermögen von Seiten des Arztes nötig und es fast immer angeraten, Expert*innen mehrer Fachrichtungen hinzu zu ziehen. Die Kinderärztin wird euch ggf. zu einem (Kinder-)Psychologen, zur Ernährungsberatung, in die Ergo- oder Physiotherapie oder auch zur Kieferorthopädin oder dem HNO-Arzt überweisen. Egal, welche Ursache zugrundeliegt: Die Eltern-Kind-Beziehung ist fast immer ein bedeutender Teil der Therapie und entscheidend für den Behandlungserfolg.
Logopädie bei Fütterstörung
Logopädische Therapien können bei vielen Ursachen von Fütterstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern hilfreich sein. Bei Säuglingen helfen evtl. Desensibilisierungsmaßnahmen am Mund, vor allem, wenn die Fütterstörung von früheren negativen Erfahrungen wie z. B. Nahrungsmittelsonden herrührt. Auch lernen die Kids in der Logopädie, ihre Trink- und Esskoordination zu verbessern und die Motorik des Mundraums wird unterstützt, so dass Babys besser saugen können. Zusätzlich geben Logopäd*innen den Eltern Tipps für altersgerechte, stressfreie Mahlzeiten und vermitteln geeignete Fütterungstechniken.
Unbehandelt kann eine Fütterstörung zu Entwicklungproblemen, Verhaltensauffälligkeiten, Bindungsschwierigkeiten und Angststörungen führen. Außerdem ist das Risiko, später an einer Essstörung wie Magersucht zu erkranken, erhöht. Bitte scheut euch daher nicht, bei Fütterstörungen medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt nichts, wofür man sich schämen muss!
Wir recherchieren mit großer Sorgfalt und nutzen nur vertrauenswürdige Quellen. Die Ratschläge und Informationen in diesem Artikel ersetzen aber natürlich keine medizinische Betreuung durch entsprechendes Fachpersonal. Bitte wendet euch bei gesundheitlichen Fragen und Beschwerden an eure Ärztinnen, Hebammen oder Apotheker, damit sie euch individuell weiterhelfen können.
Quellen: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Dysphagiezentrum, Medical Tribune