Die kosmische Erziehung ist ein wichtiger Bestandteil der Montessori-Pädagogik. Hinter dem Begriff, der zunächst nach Astrologie oder gar Hokus-Pokus klingt, steckt ein sehr bodenständiges und ganzheitliches Mindset. Und das ist in unserer Zeit von extremen Krisen in Klima, Gesundheit und Politik relevanter denn je: Wir zeigen unseren Kindern, dass sie ein wichtiger Teil ihrer Umwelt sind und sie sie aktiv mitgestalten können. So lässt sich das Prinzip auch zu Hause super anwenden.
Bereits 1936 hat Maria Montessori ihre ersten Ideen zur kosmischen Erziehung vorgestellt und daraufhin in ihren Schulen jahrzehntelang erforscht. Das pädagogische Konzept ist umfangreich, aber die Prinzipien lassen sich leicht auf unseren Familienalltag übertragen.
Das Geheimnis der gesamten Natur liegt in der Seele des Kindes.
Maria Montessori
Der Gedanke, dass unser Handeln mit unserer Umwelt verbunden ist, ist gerade für die bindungsorientierte Erziehung sehr relevant. Er hilft uns, in Alltagssituationen mit unseren Kids offener zu reden. Und ihnen Anstöße zu geben, die Welt mit ihren eigenen Augen zu sehen. Das stärkt unsere Bindung, aber auch ihr Selbstvertrauen und die Leidenschaft fürs Lernen.
Was bedeutet kosmische Erziehung?
Die kosmische Erziehung bedeutet, Dinge als Teil eines Ganzen (der Natur) zu verstehen. Sie ist ein wichtiger Grundstein, der in Montessori-Schulen vor allem in der Altersgruppe 6 bis 12 Jahre angewendet wird. Es geht darum, Inhalte nicht getrennt voneinander zu vermitteln, sondern sie mit anderen zu verknüpfen. In der Montessori-Pädagogik bedeutet das, vom Großen Überblick (dem Kosmos) zum kleinen Detail zu kommen. Um als Beispiel beim Weltall zu bleiben: Wie kommen wir vom Planeten im All zum Steinchen auf dem Spielplatz?
Einzelheiten lehren bedeutet Verwirrung stiften. Die Beziehung unter den Dingen herstellen bedeutet, Erkenntnisse zu vermitteln.
Maria Montessori
Dieser Blickwinkel hilft Kindern, die Welt als eine Ordnung wahrzunehmen, in der alles seinen Teil und seine Bedeutung hat. Wie diese genau aussieht, interpretieren und bestimmen sie selbst. Die Idee ist, dass sie so schnell lernen, wie wichtig ihre eigene Rolle als Teil ihrer Umwelt ist. Montessori lässt Kinder selber entscheiden, wie genau diese Rolle aussieht. Sie werden zu selbstbewussten, "mündigen Erdenbürgern", die die Welt aktiv gestalten.
Wichtig dabei ist auch, dass ihre Umgebung an die Natur der Kinder angepasst ist. Wie das geht, erklärt Montessori-Expertin Iris Mayr im Interview:
Vorteile der kosmischen Erziehung
- hilft beim Verständnis der Dinge und des eigenen Seins
- fördert Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung
- unterstützt Mitgefühl und soziales Verhalten
- schult Verantwortungsbewusstsein
- stärkt Neugierde und Freude am Lernen
Interessiert an den Grundprinzipien von Montessori? Im Video haben wir sie alle auf einen Blick.
Wie lässt sich kosmische Erziehung anwenden?
Schon im Kleinkind-Alter lässt sich der Ansatz der Ganzheitlichkeit und Neugier zu Hause vermitteln. Montessori, aber auch die bewusste und respektvolle Erziehung, gehen davon aus, dass ein Sinn von Ordnung Kindern emotionalen Halt gibt und ihnen so hilft, ihre Gefühle zu regulieren. Das bestärkt sie darin, neue Erfahrungen zu machen und bildet gleichzeitig Resilienz.
Diese Ordnung, von der Montessori spricht, lässt sich auf drei verschiedenen Ebenen schaffen:
- In der direkten Umgebung: Eine feste Bindung und die Zugänglichkeit der Bezugspersonen ist besonders wichtig. Alle wichtigen Gegenstände haben ihren festen Platz und sind für unsere Kids erreichbar. Routinen machen den Tagesablauf und das Konzept von Zeit verständlicher. Anm. der Redaktion: Auch wenn eine aufgeräumte Wohnung hilft, geht es hier nicht um diese Form von Ordnung (und läuft bei uns auch ohne).
- Im Innenleben: Bedürfnisorientierte Erziehung gibt emotionale Stabilität. Bei Montessori sind Respekt, Aufmerksamkeit und eine kindgerechte Umgebung die Grundpfeiler für die emotionale, geistige und auch körperliche Entwicklung von Kindern.
- Im Kosmos: Zu sehen, dass alle Dinge miteinander in Verbindung stehen, gibt ihnen Sinn und macht es leichter, diesen zu verstehen.
In ihrem Werk "Kosmische Erziehung" schreibt Maria Montessori:
"Die Sterne, die Erde, die Gestirne, alle Formen des Lebens bilden in enger Beziehung untereinander ein Ganzes; und so eng ist diese Beziehung, dass wir keinen Stein begreifen können, ohne etwas von der großen Sonne zu begreifen! Keinen Gegenstand den wir berühren, ein Atom oder eine Zelle, können wir erklären ohne Kenntnis des großen Universums. Welche bessere Antwort können wir diesen Wissensdurstigen geben?"
11 Sätze als Beispiel für kosmische Erziehung zu Hause
Das Prinzip des Kosmos klingt am Anfang ganz schön abgehoben, aber es bedeutet am Ende vor allem, dass wir die Dinge nicht isoliert voneinander betrachten. Und nach Zusammenhängen und Verbindungen zwischen uns und unserer Umwelt, zwischen Sachverhalten, Lebewesen und Situationen suchen, um sie ganzheitlich zu betrachten und Wechselwirkungen zu erkennen.
Dafür brauchen wir keine Vollblut-Montessori-Pädagog*innen (oder -Eltern) zu sein oder in jede Menge Montessori-Spielzeug zu investieren. Aber es ist einfach toll zu sehen, wie dieses Mindset uns plötzlich aus der Rolle der Welterklärenden herausholt und uns dafür öffnet, was unsere Kids eigentlich denken und ihnen Freiheit zu schenken. Montessori schreibt dazu:
Der Lehrer muss passiv werden, damit das Kind aktiv werden kann.
Schon im Alltag können wir offene Fragen stellen, statt Dinge zu erklären. Statt unsere Kids zu "testen" oder ihnen die (für uns) richtige Antwort zu geben, geben wir Anstöße zum eigenständigen Denken, Hinterfragen und Handeln. Das klappt super in tagtäglichen Situationen, wie z. B. beim Haustier streicheln, beim Aufräumen, Spielen, Trösten, Händewaschen oder Bücher lesen:
- Warum denkst du, schläft unsere Katze so viel? Warum schlafen wir eigentlich und was passiert dann mit unserem Körper?
- Warum ist es eine gute Idee, das Spielzeug vom Boden aufzulesen? Wie machen wir das jetzt am besten?
- Wie fühlst du dich, wenn dir jemand wehtut? Was hilft dir dann am meisten? Was machen wir, wenn sich jemand verletzt hat?
- Warum glaubst du, hat xy das gemacht?
- Wo geht das Wasser eigentlich hin, wenn wir uns die Hände waschen? Und wo kommt es her?
- Wie kommen die Bilder und Geschichten ins Buch? Warum sind sie für uns wichtig?
Unsere Kids sind ja selber Expert*innen im offene Fragen stellen, gerade auch in Situationen, die uns Erwachsenen die Sprache verschlagen. Auch hier können wir zu Reflexion, Empathie oder Lösungsorientierung anregen, indem wir eine (ehrliche) Frage zurückstellen.
- Was denkst du darüber?
- Warum glaubst du, ist das so?
- Hm, jetzt hat xy dir das weggenommen. Was können wir jetzt machen?
- Was hätte anders laufen können?
- Was würdest du gerne ausprobieren?
No pressure
Keine Angst, es geht gar nicht darum, sich jetzt ständig clevere Anstöße ausdenken zu müssen. Sondern darum, unsere Kinder einfach mal machen zu lassen. Am wichtigsten ist es, dass wir uns selber treu bleiben und authentisch bleiben. Um öfter mal aus echter Neugier nachzuhaken oder einfach laut zu Überlegen oder zu Kommentieren, gibt die Kosmische Erziehung einen tollen Anstoß.
Ich finde toll, wie viel Nähe wir mit offenen Fragen schaffen können. Die Botschaft ist: Ich sehe dich, deine Meinung und deine Ideen sind mir wichtig. Und schnell sind wir mit unseren Kindern voll im Moment.
Auch Gefühle lassen sich so gut thematisieren und es hilft meinen Kindern, Dinge zu benennen. Dieser Dialog (Was fühle ich? Was brauche ich jetzt?) wird auch im Resilienz-Coaching angewandt und läuft irgendwann automatisch in unserem Inneren ab. Was viele von uns Erwachsenen versuchen, uns anzueignen, können unsere Kinder so also ganz natürlich verinnerlichen.
Kosmische Erziehung und Handlungen
Der Fokus muss auch gar nicht auf dem Verbalen liegen: Montessori ist wohl eine der größten Advokatinnen der Freiheit von Kindern, selbstbestimmt zu handeln. Deshalb geht es auch darum, dass unsere Kinder (ob im Klassenzimmer oder zu Hause) Probleme und Situationen selber lösen dürfen. Die Fragen, die wir in solchen Momenten stellen, sind also vor allem dazu da, unsere Kinder handeln zu lassen, statt selber einzugreifen (auch wenn es manchmal einfacher wäre ...)
Noch mehr zu den Themen Achtsamkeit, Respektvolle Erziehung und Montessori haben wir hier:
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