1. familie.de
  2. Kleinkind
  3. Märchen
  4. Erdmännchen, das (6-12 Jahre)

Märchen

Erdmännchen, das (6-12 Jahre)

Meerkat (Surikate)

Es war einmal ein reicher König, der hatte drei Töchter. Die gingen alle Tage im großen, schönen Schlossgarten spazieren.

Erfahre mehr zu unseren Affiliate-Links
Wenn du über diese Links einkaufst, erhalten wir eine Provision, die unsere redaktionelle Arbeit unterstützt. Der Preis für dich bleibt dabei unverändert. Diese Affiliate-Links sind durch ein Symbol gekennzeichnet.  Mehr erfahren.

Denn der König war ein großer Liebhaber von schönen Bäumen.

Einen Baum hatte er so lieb, dass er denjenigen, der ihm einen Apfel davon pflückte, hundert Klafter tief unter die Erde verwünschte.

Anzeige

Als es Herbst war, wurden die Äpfel an diesem Baum so rot wie Blut.

Die drei Töchter gingen alle Tage unter den Baum um zu sehen, ob nicht der Wind einen Apfel heruntergeschlagen hätte, aber sie fanden keinen und der Baum saß so voll, dass die Zweige bis auf die Erde herab hingen.

Da überkam dem jüngsten Königskind eine gewaltig Lust, und es sagte zu ihren Schwestern:

„Unser Vater hat uns viel zu lieb, als dass er uns verwünschen würde; ich glaube, das würde er nur bei fremden Leuten tun.“

Und das Kind pflückte einen ganz dicken Apfel und sprang vor seine Schwestern umher und sagte:

„Nun schmeckt mal, liebe Schwestern, so etwas Schönes habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gegessen.“

Da bissen die beiden anderen Königstöchter auch in den Apfel und versanken alle drei tief unter die Erde, wo kein Hahn mehr nach ihnen krähte.

Als es nun Mittag wurde, wollte sie der König zu Tisch rufen, doch sie waren nirgends zu finden. Er suchte sie im Schloss und im Garten, aber sie waren verschwunden.

Da wurde er sehr betrübt und ließ das ganze Land aufbieten und versprach demjenigen einer seiner Töchter zur Frau, der sie wiederbrächte.

Da gingen viele junge Leute über Feld und suchten, denn jeder hatte die drei Kinder gern gehabt, weil sie zu jedermann freundlich gewesen waren.

Und auch drei Jägerburschen zogen aus, und als sie wohl an die acht Tage gesucht hatten, kamen sie zu einem großen Schloss, in dem schöne Stuben waren, und in einer Stube war sogar ein Tisch gedeckt mit Speisen, die noch warm waren, dass sie dampften.

Anzeige

Aber in dem ganzen Schloss war kein Mensch weder zu sehen noch zu hören. Da warteten sie noch einen halben Tag, aber die Speisen blieben weiterhin warm und dampfend.

Endlich wurden sie so hungrig, dass sie sich an den Tisch setzten und aßen.

Dann machten sie miteinander aus, sie wollten auf dem Schlosse wohnen bleiben. Und das Los sollte entscheiden, wer im Haus bleiben sollte.

Die zwei anderen dagegen sollten immer einen Tag lang die Töchter suchen.

Sie losten und das Los traf den Ältesten.

Am nächsten Tag gingen nun die zwei Jüngsten auf die Suche, der Älteste aber musste zu Hause bleiben.

Am Mittag kam nun ein ganz kleines Männchen, das um ein Stückchen Brot bat. Da nahm der Zurückgebliebene von dem Brote, das er gefunden hatte, schnitt ein Stück ab und wollte es dem Kleinen geben.

Anzeige

Aber als er es ihm reichte, ließ es das kleine Männchen fallen und bat dann, er solle doch so gut sein und es ihm aufheben und geben.

Als der Jägerbursche das tat und sich bückte, packte ihn das Männchen bei den Haaren und fing derb an ihn zu schlagen.

Am nächsten Tag, als der Zweite zu Hause bleiben musste, ging es diesem um nichts besser.

Als die beiden anderen, der Älteste und der Jüngste, an diesem Abend nach Hause kamen, fragte der Älteste: „Na, wie ist es denn dir ergangen?“

– „Oh, mir ging es ganz schlecht.“

Da klagten sie einander ihre Not, aber dem Jüngsten sagten sie nichts davon, weil sie ihn nicht leiden mochten und ihn für einen dummen Hans hielten.

Am dritten Tag blieb nun der Jüngste zu Haus und wieder kam das kleine Männchen und wollte dasselbe tun. Aber als es den Jüngsten bat, ihm das heruntergefallene Brot aufzuheben, sagte dieser:

„Kannst du dir das Stück Brot nicht selber aufheben?

Anzeige

Wenn du dir nicht einmal Mühe gibst um deine tägliche Nahrung, nicht einmal soviel Mühe, dann bist du auch nicht wert, dass du zu essen hast.“

Da wurde das Männchen aber böse und sagte, er müsse es tun.

Der Jüngste aber, nicht faul, nahm das kleine Männchen und drosch es tüchtig durch.

Da schrie das Männchen und rief:

„Hör auf, hör auf, und lass mich laufen, dann will ich dir auch sagen, wo die Königskinder sind.“

Als der Jüngste das hörte, ließ er mit dem Schlagen nach und das Männchen erzählte, er sei ein Erdmännchen, und von seiner Sorte gäbe es mehr als tausend. Wenn er mit ihm gehen würde, wolle er ihm auch zeigen, wo die Königstöchter wären.

Der Jüngste war einverstanden und sie kamen an einen tiefen Brunnen, in dem aber kein Wasser war.

Anzeige

Das Männchen sagte ihm, es wisse, dass seine Gesellen es nicht ehrlich mit ihm meinten, und wenn er die Königskinder erlösen wolle, dann müsste er es alleine tun. Seine beiden Gesellen würden natürlich auch gern die Königstöchter finden, aber sie wollten sich deswegen nicht bemühen und keine Gefahr auf sich nehmen.

Wer aber die Königstöchter erlösen wolle, müsste einen großen Korb nehmen, und müsste sich mit einem Hirschfänger und einer Schelle hineinsetzen und sich herunter winden lassen. Unten seien drei Zimmer; in jedem sitze ein Königskind und müsse einen Drachen mit vielen Köpfen liebkosen.

Und den Drachen müsste er die Köpfe abschlagen.

Nachdem das Erdmännchen das alles gesagt hatte, verschwand es. Als es Abend war, kamen die beiden anderen und fragten den Jüngsten, wie es ihm ergangen sei. Da sagte er:

„Ach, ganz gut.“ Er habe keinen Menschen gesehen, außer am Mittag ein kleines Männchen, das um ein Stückchen Brot gebeten habe. Als er ihm das Brot gegeben habe, habe das Männchen es fallen lassen und habe gesagt, er möge es ihm wieder aufheben. Und als er das nicht getan habe, habe das Männchen angefangen zu schimpfen.

Daraufhin habe er das Männchen geprügelt. Und um sich von den Prügeln freizumachen, habe es ihm erzählt, wo die Königskinder wären.

Da ärgerten sich die beiden so sehr, dass sie gelb und grün wurden.

Am nächsten Tag gingen sie nun zusammen zum Brunnen und losten, wer sich zuerst in den Korb setzen sollte. Wieder fiel das Los auf den Ältesten, und er musste sich in den Korb setzen und die Klingel mitnehmen.

Als sie ihn nun hinunter gleiten lassen wollten, sagte er:

„Wenn ich klingele, müsst ihr mich sofort wieder heraufziehen.“

Als er nun ein bisschen herabgelassen worden war, klingelte er und die zwei von oben zogen ihn wieder herauf.

Nun setzte sich der Zweite in den Korb, machte es aber ebenso.

Die Reihe kam nun an den Jüngsten, der sich aber ganz hinunterwinden ließ.

Als er nun aus dem Korb gestiegen war, nahm er seinen Hirschfänger, ging vor die erste Tür und lauschte. Da hörte er den Drachen ganz laut schnarchen.

Langsam machte er die Tür auf und sah die eine Königstochter sitzen, die hatte auf ihrem Schoß neun Drachenköpfe liegen und liebkoste sie.

Da nahm er seinen Hirschfänger, schlug zu, und neun Köpfe waren ab.

Die Königstochter aber sprang auf und fiel ihm um den Hals, drückte und küsste ihn und nahm ein Schmuckstück von ihrer Brust, das von rotem Golde war, und hängte es dem Jüngsten um.

Dann ging er zur zweiten Königstochter, die einen Drachen mit sieben Köpfen kosen musste; und erlöste sie auch. Und dann erlöste er die Jüngste, deren Drachen vier Köpfen hatte.

Dann drückten sie sich alle und küssten sich ohne aufzuhören.

Der Junge klingelte dann so laut, bis seine Gesellen es oben hörten. Dann setzte er die Königstöchter eine nach der andern in den Korb und ließ sie hinaufziehen.

Als nun die Reihe an ihn kam, fielen ihm die Worte des Erdmännchens ein und er nahm einen großen Stein und legte ihn in den Korb. Und als der Korb ungefähr bis zur Mitte heraufgezogen war, schnitten die falschen Brüder oben den Strick durch, dass der Korb mit dem Stein in den Brunnen fiel, und sie glaubten nun, der Dritte wäre tot.

Dann liefen sie mit den drei Königstöchtern fort, ließen sich aber von ihnen versprechen, dass sie ihrem Vater sagen sollten, sie beide hätten die Mädchen erlöst. Sie kamen nun zum König und begehrten jeder eine Königstochter zur Frau.

Unterdes ging der jüngste Jägerbursche ganz betrübt in den drei Kammern umher und dachte, dass er nun sterben müsse.

Da sah er an der Wand eine Flöte hängen, und er dachte: „Warum hängt die da wohl?

Hier kann ja doch keiner lustig sein!“

Er sah sich auch die Drachenköpfe an und dachte:

„Die können mir auch nicht helfen!“

So ging er auf und ab spazieren und kam plötzlich auf den Gedanken, die Flöte von der Wand zu nehmen und ein Stückchen darauf zu spielen.

Und mit einem Mal kamen viele kleine Erdmännchen und bei jedem Ton, den er blies, kam einer mehr. Nun blies er so lange, bis das ganze Zimmer voller Erdmännchen war.

Die Erdmännchen fragten was sein Begehren wäre.

Da sagte er ihnen, dass er gern wieder ans Tageslicht wolle.

Da fasste jeder von ihnen eins seiner Haare an, und sie hoben ihn hoch und flogen mit ihm bis zur Erde hinauf.

Er ging nun gleich zum Königsschloss, wo gerade die Hochzeit mit den beiden Königstöchtern sein sollte.

Und er ging zum Zimmer, wo der König mit seinen drei Töchtern war. Als ihn die Kinder sahen, wurden sie fast ohnmächtig.

Da wurde der König böse, und ließ ihn ins Gefängnis werfen, weil er meinte, er hätte den Kindern ein Leid angetan.

Als aber die Königstöchter wieder zu sich kamen, baten sie den König, er möge doch den Jägerburschen wieder freilassen. Und sie sagten ihm, dass sie nicht zu erzählen gedurft hätten, wer ihr wirklicher Retter wäre.

Da ließ er die beiden anderen Jägerburschen an den Galgen hängen, dem Jüngsten aber gab er die jüngste Tochter.

➤ Kategorie: Grimms Märchen

➤ Quelle: Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Josef Singer Verlag, Berlin 1920

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.