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Märchen

Der alte Sultan (6-10 Jahre)

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Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden und hatte alle Zähne verloren, so dass er nichts mehr fest packen konnte. Einmal stand der Bauer mit seiner Frau vor der Haustüre und sprach: „Den alten Sultan schieß ich morgen tot, der ist zu nichts mehr nütze.“ Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Tier hatte, antwortete: „Da er uns so lange Jahre gedient und ehrlich zu uns gehalten hat, so könnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben.“ – „Ei was“, sagte der Mann, „du bist nicht recht gescheit; er hat keinen Zahn mehr im Maul, und kein Dieb fürchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen dafür gekriegt.“

Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehört und war traurig, dass morgen sein letzter Tag sein sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem schlich er abends hinaus in den Wald und klagte über das Schicksal, das ihm bevorstünde. „Höre, Gevatter“, sagte der Wolf, „sei guten Mutes, ich will dir aus deiner Not helfen. Ich habe mir etwas ausgedacht. Morgen in aller Frühe geht dein Herr mit seiner Frau ins Heu, und sie nehmen ihr kleines Kind mit, weil niemand im Hause zurückbleibt. Sie pflegen das Kind während der Arbeit hinter die Hecke in den Schatten zu legen. Lege dich daneben, so als wolltest du es bewachen. Ich will dann aus dem Walde herauskommen und das Kind rauben, du musst mir eifrig nachspringen, als wolltest du mir es wieder abjagen. Ich lasse es fallen, und du bringst es den Eltern wieder zurück.

Die glauben dann, du hättest es gerettet, und sind viel zu dankbar, als dass sie dir ein Leid antun würden; im Gegenteil, du kommst in völlige Gnade, und sie werden es dir an nichts mehr fehlen lassen.“ Der Ratschlag gefiel dem Hund, und wie er ausgedacht war, so ward er auch ausgeführt. Der Vater schrie, als er den Wolf mit seinem Kinde durchs Feld laufen sah; als es aber der alte Sultan zurückbrachte, da war er froh, streichelte ihn und sagte: „Dir soll kein Härchen gekrümmt werden, du sollst das Gnadenbrot essen, solange du lebst.“ Zu seiner Frau aber sprach er: „Geh gleich heim und koche dem alten Sultan einen Weckbrei, den braucht er nicht zu beißen, und bring das Kopfkissen aus meinem Bette, das schenk ich ihm zu seinem Lager.“ Von nun an hatte es der alte Sultan so gut, wie er sich's nur wünschen konnte.

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Bald danach besuchte ihn der Wolf und freute sich, dass alles so wohl gelungen war. „Aber, Gevatter“, sagte er, „du wirst doch ein Auge zudrücken, wenn ich bei Gelegenheit deinem Herrn ein fettes Schaf weghole. Es ist heutzutage schwer, sich durchzuschlagen.“ – „Darauf rechne nicht“, antwortete der Hund, „meinem Herrn bleibe ich treu, das kann ich nicht zulassen!“ Der Wolf meinte, das wäre nicht im Ernst gesprochen worden, kam in der Nacht herangeschlichen und wollte sich das Schaf holen. Aber der Bauer, dem der treue Sultan das Vorhaben des Wolfes verraten hatte, passte ihn ab und kämmte ihm mit dem Dreschflegel garstig die Haare. Der Wolf musste ausreißen, schrie aber dem Hund zu: „Wart, du schlechter Geselle, dafür sollst du büßen!“

Am nächsten Morgen schickte der Wolf das Schwein und ließ den Hund hinaus in den Wald fordern, da wollten sie ihre Sache ausmachen. Der alte Sultan konnte keinen anderen Beistand finden als eine Katze, die nur drei Beine hatte, und als sie zusammen hinausgingen, humpelte die arme Katze daher und streckte zugleich vor Schmerz den Schwanz in die Höhe. Der Wolf und sein Beistand waren schon an Ort und Stelle, als sie aber ihren Gegner daherkommen sahen, meinten sie, er führte einen Säbel mit sich, weil sie den aufgerichteten Schwanz der Katze dafür hielten. Und wenn das arme Tier so auf drei Beinen hüpfte, dachten sie nichts anderes, als höbe es jedes Mal einen Stein auf und wolle damit auf sie werfen.

Da ward ihnen beiden angst: Das wilde Schwein verkroch sich ins Laub, und der Wolf sprang auf einen Baum. Der Hund und die Katze wunderten sich, als sie ankamen, dass sich niemand sehen ließ. Das wilde Schwein aber hatte sich im Laub nicht ganz verstecken können, sondern die Ohren ragten noch heraus. Während die Katze sich bedächtig umschaute, zuckte das Schwein mit den Ohren; die Katze, welche meinte, es rege sich da eine Maus, sprang darauf zu und biss herzhaft hinein. Da erhob sich das Schwein mit großem Geschrei, lief fort und rief: „Dort auf dem Baum, da sitzt der Schuldige.“ Der Hund und die Katze schauten hinauf und erblickten den Wolf, der schämte sich, dass er sich so furchtsam gezeigt hatte, und nahm vom Hund den Frieden an.

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➤ Kategorie: Grimms Märchen
➤ entnommen aus: Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. Verlegt bei Eugen Diederichs. Jena 1912.
➤ angepasst an die zeitgemäße deutsche Sprache

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.