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Märchen

Der Gaudieb und sein Meister (8-12 Jahre)

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Jan will seinen Sohn ein Handwerk lehren lassen; da geht Jan in die Kirche und betet zu unserem Herrgott.

Der Küster steht aber hinter dem Altar und sagt:

„Das Gaudieben, das Gaudieben.“

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Jan geht also wieder zu seinem Sohn und sagt, er müsse das Gaudieben lernen, das habe unser Herrgott gesagt.

Er geht also mit seinem Sohn und sucht sich einen Mann, der das Gaudieben versteht. Sie gehen eine ganze Zeit und kommen in einen großen Wald, in dem ein kleines Häuschen steht mit einer alten Frau darin.

Sagt Jan zu ihr: „Wisst Ihr nicht einen Mann, der das Gaudieben kann?“

– „Das kann Ihr Sohn bei uns lernen“, sagt die Frau, „mein Sohn ist ein Meister darin.“

Er spricht nun mit dem Sohn darüber, ob er das Gaudieben auch richtig könne.

Der Gaudiebsmeister sagt: „Ich will Euren Sohn schon richtig lehren. Kommt übers Jahr wieder, wenn Ihr dann Euren Sohn noch kennt, will ich kein Lehrgeld haben; kennt Ihr ihn aber nicht, dann müsst Ihr mir zweihundert Taler geben.”

Der Vater geht wieder nach Hause, und der Sohn lernt gut hexen und gaudieben. Als das Jahr um ist, will der Vater nach seinem Sohn sehen. Er überlegt aber dabei, wie er es nun anstellen soll, dass er seinen Sohn wieder erkennt. Er lächelt dabei so vor sich hin und denkt an die zweihundert Taler. Als er nun so geht und lacht, kommt ihm ein kleines Männchen entgegen, das sagt:

„Mann, was lacht Ihr? Und warum überleg Ihr dabei so?“

– „Oh“, sagt Jan, „ich habe meinen Sohn vor einem Jahr bei einem Gaudiebsmeister vermietet. Der sagte mir, ich solle übers Jahr wiederkommen, und wenn ich dann meinen Sohn nicht kenne, sollte ich ihm zweihundert Taler geben; würde ich ihn aber kennen, dann hätte ich ihm nichts zu geben.

Nun bin ich aber sehr bange, dass ich ihn nicht erkenne, und ich weiß nicht, wo ich das Geld hernehmen soll.“

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Da sagt das Männchen zu ihm, er solle ein Krüstchen Brot mitnehmen und sich neben den Kamin stellen. Auf dem Kamin stehe ein Körbchen, aus dem ein Vögelchen herausgucke, das sei sein Sohn.

Da geht Jan nun hin. Im Zimmer schneidet er ein Krüstchen Schwarzbrot ab und wirft es vor den Kamin. Da kommt das Vögelchen aus dem Korb heraus und blickt herunter:

„Holla, mein Sohn, bist du hier?“

sagt der Vater. Da freut sich der Sohn, dass er seinen Vater sieht, aber der Lehrmeister schreit: „Das hat dir der Teufel eingegeben; wie kannst Du Deinen Sohn sonst erkennen?“

Der Junge aber sagt: „Vater, lass uns gehen.“

Der Vater will nun mit seinem Sohn nach Hause gehen. Unterwegs kommt eine Kutsche angefahren.

Da sagt der Sohn zu seinem Vater:

"Ich will mich in einen großen Windhund verwandeln, dann könnt Ihr viel Geld mit mir verdienen.“

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Der Herr aus der Kutsche ruft:

„Mann, wollt Ihr den Hund verkaufen?“

– „Ja“, sagt der Vater.

„Wie viel Geld wollt Ihr denn für ihn haben?“

– „Dreißig Taler.“

– „Mann, das ist aber viel. Da er aber so ein schöner gewaltiger Rüde ist, will ich ihn behalten.“

Der Herr nimmt ihn in seine Kutsche, aber kaum sind sie ein wenig gefahren, springt der Hund durch das Glas aus dem Wagen, und da war er kein Windhund mehr und war wieder bei seinem Vater.

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Sie gehen nun zusammen nach Hause.

Am anderen Tag ist Markt im nächsten Dorf; da sagt der Junge zu seinem Vater: „Ich will mich nun in ein schönes Pferd verwandeln, dann verkauft mich; aber wenn Ihr mich verkauft habt, dann müsst Ihr mir den Zaum abnehmen, denn sonst kann ich kein Mensch wieder werden.”

Der Vater geht nun mit dem Pferd zum Markt; da kommt der Gaudiebsmeister und kauft das Pferd für hundert Taler. Der Vater vergisst aber, ihm den Zaum abzunehmen.

Der Gaudiebmeister nimmt nun der Mann das Pferd mit nach Hause und stellt es in den Stall.

Als die Magd über die Diele geht, da sagt das Pferd:

„Nimm mir den Zaum, nimm mir den Zaum ab!“

Erstaunt sagt die Magd:

„Du kannst ja reden“, geht hin und nimmt ihm den Zaum ab.

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Da wird das Pferd ein Sperling und fliegt über die Türe, aber der Hexenmeister wird auch ein Sperling und fliegt ihm nach. Sie kommen zusammen und beißen sich, aber der Meister verspielt und macht sich ins Wasser und ist ein Fisch.

Da wird der Junge auch ein Fisch, und sie beißen sich wieder, doch der Meister verspielt.

Da macht sich der Meister zum Huhn, doch der Junge zum Fuchs und beißt dem Meister den Kopf ab.

Da ist er gestorben und liegt tot bis auf den heutigen Tag.

➤ Kategorie: Grimms Märchen
➤ entnommen aus: Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Josef Singer Verlag, Berlin 1920
➤ angepasst an die zeitgemäße deutsche Sprache

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.