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Gute-Nacht-Geschichten

Der König vom goldenen Berg (8-10 Jahre)

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Es war einmal ein Kaufmann, der hatte zwei Kinder, einen Buben und ein Mädchen, die waren beide noch klein und konnten noch nicht laufen. Es fuhren aber zwei reich beladene Schiffe von ihm auf dem Meer. Da war sein ganzes Vermögen drin. Und als er meinte, dadurch viel Geld zu gewinnen, kam die Nachricht, sie wären gesunken. Da war er nun statt eines reichen Mannes ein armer Mann und hatte nichts mehr übrig als einen Acker vor der Stadt. Um sich sein Unglück ein wenig aus dem Kopf zu schlagen, ging er hinaus auf den Acker, und als er da so auf und ab ging, stand auf einmal ein kleines schwarzes Männchen neben ihm und fragte, warum er so traurig wäre und was er sich so sehr zu Herzen nähme.

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Da sprach der Kaufmann: „Wenn du mir helfen könntest, wollt ich es dir wohl sagen.“ – „Wer weiß“, antwortete das schwarze Männchen, „vielleicht helfe ich dir.“ Da erzählte der Kaufmann, dass ihm sein ganzer Reichtum auf dem Meere zugrunde gegangen sei und er nichts mehr übrig habe als diesen Acker. „Bekümmere dich nicht“, sagte das Männchen, „wenn du mir versprichst, das, was dir zu Haus als erstes gegen dein Bein stößt, in zwölf Jahren hierher auf den Platz zu bringen, sollst du Geld haben, soviel du willst.“ Der Kaufmann dachte: „Was kann das anders sein als mein Hund?“ Aber an seinen kleinen Jungen dachte er nicht und sagte ja, gab dem schwarzen Mann Unterschrift und Siegel darüber und ging nach Haus.

Als er nach Haus kam, da freute sich sein kleiner Junge so sehr darüber, dass er sich an den Bänken hochzog, zu ihm herbeiwackelte und ihn an den Beinen fest packte. Da erschrak der Vater, denn es fiel ihm sein Versprechen ein, und er wusste nun, was er verschrieben hatte. Weil er aber immer noch kein Geld in seinen Kisten und Kasten fand, dachte er, es sei nur ein Spaß von dem Männchen gewesen. Einen Monat später ging er auf den Boden und wollte altes Zinn zusammensuchen und verkaufen, da sah er einen großen Haufen Geld liegen. Nun war er wieder guter Dinge, kaufte ein, ward ein größerer Kaufmann als vorher und ließ Gott einen guten Mann sein. Unterdessen ward der Junge groß und dabei klug und gescheit. Je näher aber die zwölf Jahre herbeikamen, desto sorgenvoller ward der Kaufmann, so dass man ihm die Angst im Gesicht ansehen konnte.

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Da fragte ihn der Sohn einmal, was ihm fehlte. Der Vater wollte es nicht sagen, aber jener fragte so lange, bis er ihm endlich sagte, er habe ihn, ohne zu wissen, was er verspreche, einem schwarzen Männchen zugesagt und vieles Geld dafür bekommen. Er habe seine Unterschrift mit Siegel dafür gegeben, und nun müsste er ihn, wenn zwölf Jahre herum wären, ausliefern. Da sprach der Sohn: „Oh Vater, lasst Euch nicht bang sein, das wird schon gut werden, der Schwarze hat keine Macht über mich.“ Der Sohn ließ sich von dem Geistlichen segnen, und als es Zeit war, gingen sie zusammen hinaus auf den Acker, und der Sohn machte einen Kreis und stellte sich mit seinem Vater hinein. Da kam das schwarze Männchen und sprach zu dem Alten: „Hast du mitgebracht, was du mir versprochen hast?“

Er schwieg still, aber der Sohn fragte: „Was willst du hier?“ Da sagte das schwarze Männchen: „Ich habe mit deinem Vater zu sprechen und nicht mit dir.“ Der Sohn antwortete: „Du hast meinen Vater betrogen und verführt, gib die Unterschrift heraus!“ – „Nein“, sagte das schwarze Männchen, „mein Recht gebe ich nicht auf.“ Da redeten sie noch lange miteinander, endlich wurden sie einig. Der Sohn, weil er nun dem Erbfeind und nicht mehr seinem Vater gehörte, sollte sich in ein Schiffchen setzen, das auf einem abwärts fließenden Wasser stände. Und der Vater sollte es mit seinem eigenen Fuß fort stoßen, und dann sollte der Sohn dem Wasser überlassen bleiben. Da nahm er Abschied von seinem Vater, setzte sich in ein Schiffchen, und der Vater musste es mit seinem eigenen Fuß fort stoßen. Das Schiffchen schlug um, so das der unterste Teil oben war, die Decke aber im Wasser; und der Vater glaubte, sein Sohn wäre verloren, ging heim und trauerte um ihn.

Das Schiffchen aber versank nicht, sondern floss ruhig fort, und der Jüngling saß sicher darin, und so floss es lange, bis es endlich an einem unbekannten Ufer festsitzen blieb. Da stieg er ans Land, sah ein schönes Schloss vor sich liegen und ging darauf los. Wie er aber eintrat, war es verwünscht. Er ging durch alle Zimmer, aber sie waren leer, bis er in die letzte Kammer kam, da lag eine Schlange darin und ringelte sich. Die Schlange aber war eine verwünschte Jungfrau, die freute sich, wie sie ihn sah, und sprach zu ihm: „Kommst du, mein Erlöser? Auf dich habe ich schon zwölf Jahre gewartet; dies Reich ist verwünscht, und du musst es erlösen.“ – „Wie kann ich das?“ fragte er. „Heute Nacht kommen zwölf schwarze Männer, die mit Ketten behangen sind, die werden dich fragen, was du hier machst, da schweig aber still und gib ihnen keine Antwort, und lass sie mit dir machen, was sie wollen.

Sie werden dich quälen, schlagen und stechen, lass alles geschehen, nur rede nicht; um zwölf Uhr müssen sie wieder fort. Und in der zweiten Nacht werden wieder zwölf andere kommen, in der dritten vierundzwanzig, die werden dir den Kopf abhauen; aber um zwölf Uhr ist ihre Macht vorbei. Und wenn du dann ausgehalten und kein Wörtchen gesprochen hast, so bin ich erlöst. Ich komme zu dir, und habe in einer Flasche das Wasser des Lebens, damit bestreiche ich dich, und dann bist du wieder lebendig und gesund wie zuvor.” Da sprach er: „Gerne will ich dich erlösen.“ Es geschah nun alles so, wie sie gesagt hatte. Die schwarzen Männer konnten ihm kein Wort abzwingen, und in der dritten Nacht ward die Schlange zu einer schönen Königstochter, die kam mit dem Wasser des Lebens und machte ihn wieder lebendig. Und dann fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn, und da war Jubel und Freude im ganzen Schloss. Dann wurde ihre Hochzeit gehalten, und er war König vom goldenen Berge.

Also lebten sie vergnügt zusammen, und die Königin gebar einen schönen Knaben. Acht Jahre waren schon herum, da fiel ihm sein Vater ein und sein Herz ward bewegt, und er wünschte ihn einmal zu besuchen. Die Königin wollte ihn aber nicht fortlassen und sagte: „Ich weiß schon, dass es mein Unglück sein wird“, er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie einwilligte. Beim Abschied gab sie ihm noch einen Wünschring und sprach: „Nimm diesen Ring und steck ihn an deinen Finger, so wirst du alsbald dahin versetzt, wo du dich hinwünschest, nur musst du mir versprechen, dass du ihn nicht gebrauchst, mich von hier weg zu deinem Vater zu wünschen.“ Er versprach ihr das, steckte den Ring an seinen Finger und wünschte sich heim vor die Stadt, wo sein Vater lebte.

Im Augenblick befand er sich auch dort und wollte in die Stadt hinein. Als er aber vors Tor kam, wollten ihn die Schildwachen nicht einlassen, weil er seltsame und doch so reiche und prächtige Kleider anhatte. Da ging er auf einen Berg, wo ein Schäfer hütete, tauschte mit diesem die Kleider, zog den alten Schäferrock an und ging also ungestört in die Stadt ein. Als er zu seinem Vater kam, gab er sich zu erkennen, der aber glaubte nimmermehr, dass es sein Sohn sei, und sagte, er habe zwar einen Sohn gehabt, der sei aber längst tot. Doch weil er sehe, dass er ein armer dürftiger Schäfer sei, so wolle er ihm einen Teller voll zu essen geben. Da sprach der Schäfer zu seinen Eltern: „Ich bin wahrhaftig euer Sohn, wisst ihr kein Mal an meinem Leibe, woran ihr mich erkennen könnt?“ – „Ja“, sagte die Mutter, „unser Sohn hatte eine Himbeere unter dem rechten Arm.“

Er streifte das Hemd zurück, da sahen sie die Himbeere unter seinem rechten Arm und zweifelten nicht mehr, dass es ihr Sohn sei. Darauf erzählte er ihnen, er sei König vom goldenen Berge, und eine Königstochter sei seine Gemahlin, und sie hätten einen schönen Sohn von sieben Jahren. Da sprach der Vater: „Nun und nimmermehr ist das wahr! Das ist mir ein schöner König, der in einem zerlumpten Schäferrock hergeht!“ Da ward der Sohn zornig und drehte, ohne an sein Versprechen zu denken, den Ring herum und wünschte beide, seine Gemahlin und sein Kind, zu sich. In dem Augenblick waren sie auch da, aber die Königin, die klagte und weinte und sagte, er habe sein Wort gebrochen und sie unglücklich gemacht. Er sagte: „Ich habe es unachtsam getan und nicht mit bösem Willen“ und redete ihr gut zu. Sie tat auch so, als gäbe sie nach, aber sie hatte Böses im Sinn.

Da führte er sie hinaus vor die Stadt auf den Acker und zeigte ihr das Wasser, wo das Schiffchen abgestoßen worden war, und sprach dann: „Ich bin müde, setze dich nieder, ich will ein wenig auf deinem Schoß schlafen.“ Da legte er seinen Kopf auf ihren Schoß, und sie lauste ihn ein wenig, bis er einschlief. Als er eingeschlafen war, zog sie erst den Ring von seinem Finger, dann zog sie den Fuß unter ihm weg und ließ nur den Pantoffel zurück. Daraufhin nahm sie ihr Kind in den Arm und wünschte sich wieder in ihr Königreich. Als er aufwachte, lag er da ganz verlassen, und seine Gemahlin und das Kind waren fort und der Ring vom Finger auch, nur der Pantoffel stand noch da als Wahrzeichen. „Nach Haus zu deinen Eltern kannst du nicht wieder gehen“, dachte er, „die würden sagen, du wärst ein Hexenmeister. Ich sollte lieber packen und gehen, bis ich in mein Königreich komme.“

Also ging er fort und kam endlich zu einem Berg, vor dem drei Riesen standen und miteinander stritten, weil sie nicht wussten, wie sie ihres Vaters Erbe teilen sollten. Als sie ihn vorbeigehen sahen, riefen sie ihn an und sagten, kleine Menschen hätten klugen Sinn, er sollte ihnen die Erbschaft verteilen. Die Erbschaft aber bestand aus einem Degen, wenn einer den in die Hand nahm und sprach: „Köpf alle runter, nur meinen nicht!”, so lagen alle Köpfe auf der Erde. Zweitens aus einem Mantel, wer den anzog, war unsichtbar. Drittens aus einem Paar Stiefel, wenn man die angezogen hatte und sich wohin wünschte, so war man im Augenblick dort. Er sagte: „Gebt mir die drei Stücke, damit ich probieren könnte, ob sie noch in gutem Zustand sind!“ Da gaben sie ihm den Mantel, und als er ihn umgehängt hatte, war er unsichtbar und war in eine Fliege verwandelt.

Dann nahm er wieder seine Gestalt an und sprach: „Der Mantel ist gut, nun gebt mir das Schwert!“ Sie sagten: „Nein, das geben wir nicht! Wenn du sagtest: „Köpf alle runter, nur meinen nicht“, so würden unsere Köpfe alle herabfallen und du allein hättest den deinigen noch.“ Doch gaben sie es ihm unter der Bedingung, dass er es an einem Baum probieren sollte. Das tat er, und das Schwert zerschnitt den Stamm eines Baumes wie einen Strohhalm. Nun wollt er noch die Stiefel haben, sie sprachen aber: „Nein, die geben wir nicht weg, wenn du sie angezogen hast und dich oben auf den Berg wünscht, so stünden wir da unten und hätten nichts!“ – „Nein“, sprach er, „das will ich nicht tun.“

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Da gaben sie ihm auch die Stiefel. Als er nun alle drei Stücke hatte, so dachte er an nichts anderes als an seine Frau und sein Kind und sprach so vor sich hin: „Ach, wäre ich auf dem goldenen Berg“, und alsbald verschwand er vor den Augen der Riesen, und so war also ihr Erbe geteilt. Als er nah beim Schloss war, hörte er Freudengeschrei, Geigen und Flöten, und die Leute sagten ihm, seine Gemahlin feiere Hochzeit mit einem andern. Da ward er zornig und sprach: „Die Falsche, sie hat mich betrogen und mich verlassen, als ich eingeschlafen war.“ Da hing er seinen Mantel um und ging unsichtbar ins Schloss hinein. Als er in den Saal eintrat, war da eine große Tafel mit köstlichen Speisen besetzt, und die Gäste aßen und tranken und scherzten. Sie aber saß in der Mitte, in prächtigen Kleidern auf einem königlichen Sessel und hatte die Krone auf dem Haupt.

Er stellte sich hinter sie und niemand sah ihn. Wenn sie ihr ein Stück Fleisch auf den Teller legten, nahm er es weg und aß es. Und wenn sie ihr ein Glas Wein einschenkten, nahm er es weg und trank es aus. Sie gaben ihr immer, und sie hatte doch immer nichts, denn Teller und Glas verschwanden augenblicklich. Da ward sie bestürzt und schämte sie sich, stand auf und ging in ihre Kammer und weinte, er aber ging hinter ihr her. Da sprach sie: „Ist denn der Teufel über mir, oder kam mein Erlöser nie?“ Da schlug er ihr ins Angesicht und sagte: „Kam dein Erlöser nie? Er ist über dir, du Betrügerin! Habe ich das an dir verdient?” Dann machte er sich sichtbar, ging in den Saal und rief: „Die Hochzeit ist aus, der wahre König ist gekommen!“ Die Könige, Fürsten und Räte, die da versammelt waren, höhnten und verlachten ihn. Er sprach aber kurze Worte und sprach: „Wollt ihr hinaus oder nicht?“ Da wollen sie ihn fangen und drangen auf ihn ein, aber er zog sein Schwert und sprach: „Köpf alle runter, nur meiner nicht!“ Da rollten alle Köpfe zur Erde, und er war allein der Herr und war wieder König vom goldenen Berge.

➤ Kategorie: Grimms Märchen
➤ entnommen aus: Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm.Verlegt bei Eugen Diederichs. Jena 1912.
➤ angepasst an die zeitgemäße deutsche Sprache

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.