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Gute-Nacht-Geschichten

Der Zaunkönig (4-10 Jahre)

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In alten Zeiten, da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung.

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Wenn der Hammer des Schmieds ertönte, so rief er:

„Smiet mi to! Smiet mi to!“

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Wenn der Hobel des Tischlers schnarrte, so sprach er:

„Dor häst! Dor, dor häst!“

Fing das Räderwerk der Mühle an zu klappern, so sprach es:

„Help, Herr Gott! Help, Herr Gott!“, und war der Müller ein Betrüger und ließ die Mühle an, so sprach sie hochdeutsch und fragte erst langsam:

„Wer ist da? Wer ist da?“, dann antwortete sie schnell:

„Der Müller! Der Müller!“, und endlich ganz geschwind:

„Stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vom Achtel drei Sechter.“

Zu jener Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache, die jedermann verstand, jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern, Kreischen und Pfeifen und bei einigen wie Musik ohne Worte. Es kam aber den Vögeln in den Sinn, sie wollten nicht länger ohne Herrn sein und einen unter sich zu ihrem König wählen.

Nur einer von ihnen, der Kiebitz, war dagegen; frei hatte er gelebt, und frei wollte er sterben, und angstvoll hin und her fliegend rief er:

„Wo bliew ick? Wo bliew ick?“

Er zog sich zurück in einsame und unbesuchte Sümpfe und zeigte sich nicht wieder unter seinesgleichen.

Die Vögel wollten sich nun über die Sache besprechen, und an einem schönen Maimorgen kamen sie alle aus Wäldern und Feldern zusammen, Adler und Buchfinke, Eule und Krähe, Lerche und Sperling, was soll ich sie alle nennen?

Selbst der Kuckuck kam und der Wiedehopf, sein Küster, der so heißt, weil er sich immer ein paar Tage früher hören lässt; auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte, mischte sich unter die Schar.

Das Huhn, das zufällig von der ganzen Sache nichts gehört hatte, verwunderte sich über die große Versammlung.

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„Wat, wat, wat is den dar to don?“ gackerte es, aber der Hahn beruhigte seine liebe Henne und sagte:

„Luter riek Lüd!“, erzählte ihr auch, was sie vorhätten.

Es ward aber beschlossen, dass der König sein sollte, der am höchsten fliegen könnte.

Ein Laubfrosch, der im Gebüsche saß, rief, als er das hörte, warnend:

„Natt, natt, natt! Natt, natt, natt!“, weil er meinte, es würden deshalb viel Tränen vergossen werden.

Die Krähe aber sagte: „Quark ok!“, es sollte alles friedlich abgehen.

Es ward nun beschlossen, sie wollten gleich an diesem schönen Morgen aufsteigen, damit niemand hinterher sagen könnte:

„Ich wäre wohl noch höher geflogen, aber der Abend kam, da konnte ich nicht mehr.“

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Auf ein gegebenes Zeichen erhob sich also die ganze Schar in die Lüfte. Der Staub stieg da von dem Felde auf, es war ein gewaltiges Sausen und Brausen und Fittichschlagen, und es sah aus, als wenn eine schwarze Wolke dahin zöge.

Die kleinern Vögel aber blieben bald zurück, konnten nicht weiter und fielen wieder auf die Erde.Die größeren hielten es länger aus, aber keiner konnte es dem Adler gleichtun, der stieg so hoch, dass er der Sonne hätte die Augen aushacken können.

Und als er sah, dass die anderen nicht zu ihm herauf konnten, so dachte er:

„Was willst du noch höher fliegen, du bist doch der König“, und fing an sich wieder herabzulassen.

Die Vögel unter ihm riefen ihm alle gleich zu:

„Du musst unser König sein, keiner ist höher geflogen als du.“

"Ausgenommen ich“, schrie der kleine Kerl ohne Namen, der sich in die Brustfedern des Adlers verkrochen hatte.Und da er nicht müde war, so stieg er auf und stieg so hoch, dass er Gott auf seinem Stuhle sitzen sehen konnte.

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Als er aber so weit gekommen war, legte er seine Flügel zusammen, sank herab und rief unten mit feiner, durchdringender Stimme:

„König bün ick! König bün ick!“

„Du unser König?“ schrieen die Vögel zornig.

„Durch Ränke und Listen hast du es dahin gebracht.“ Sie machten eine andere Bedingung, der sollte ihr König sein, der am tiefsten in die Erde fallen könnte.

Wie klatschte da die Gans mit ihrer breiten Brust wieder auf das Land!

Wie scharrte der Hahn schnell ein Loch!

Die Ente kam am schlimmsten weg, sie sprang in einen Graben, verrenkte sich aber die Beine und watschelte fort zum nahen Teiche mit dem Ausruf:

„Bettlerwerk! bettlerwerk!“

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Der Kleine ohne Namen aber suchte ein Mäuseloch, schlüpfte hinab und rief mit seiner feinen Stimme heraus:

„König bün ick! König bün ick!“

„Du unser König?“ riefen die Vögel noch zorniger.

„Meinst du, deine Listen sollten gelten?“

Sie beschlossen, ihn in seinem Loch gefangenzuhalten und auszuhungern.

Die Eule ward als Wache davor gestellt; sie sollte den Schelm nicht herauslassen, so lieb ihr das Leben wäre.

Als es aber Abend geworden war und die Vögel von der Anstrengung beim Fliegen große Müdigkeit empfanden, so gingen sie mit Weib und Kind zu Bett. Die Eule allein blieb bei dem Mäuseloch stehen und blickte mit ihren großen Augen unverwandt hinein.

Indessen war sie auch müde geworden und dachte: Ein Auge kannst du wohl zutun, du wachst ja noch mit dem andern, und der kleine Bösewicht soll nicht aus seinem Loch heraus.

Also tat sie das eine Auge zu und schaute mit dem anderen steif auf das Mäuseloch. Der kleine Kerl guckte mit dem Kopf heraus und wollte weg witschen, aber die Eule trat gleich davor, und er zog den Kopf wieder zurück. Dann tat die Eule das eine Auge wieder auf und das andere zu und wollte so die ganze Nacht abwechseln. Aber als sie das eine Auge wieder zumachte, vergaß sie das andere aufzutun, und sobald die beiden Augen zu waren, schlief sie ein.

Der Kleine merkte das bald und schlüpfte weg.

Von der Zeit an darf sich die Eule nicht mehr am Tage sehen lassen, sonst sind die andern Vögel hinter ihr her und zerzausen ihr das Fell.

Sie fliegt nur zur Nachtzeit aus, hasst aber und verfolgt die Mäuse, weil sie solche böse Löcher machen.

Auch der kleine Vogel lässt sich nicht gerne sehen, weil er fürchtet, es ginge ihm an den Kragen, wenn er erwischt würde.

Er schlüpft in den Zäunen herum, und wenn er ganz sicher ist, ruft er wohl zuweilen: „König bün ick!“, und deshalb nennen ihn die andern Vögel aus Spott Zaunkönig.

Niemand aber war froher als die Lerche, dass sie dem Zaunkönig nicht zu gehorchen brauchte. Sobald sich die Sonne blicken lässt, steigt sie in die Lüfte und ruft:

„Ach, wo is dat schön! Schön is dat! Schön! Schön! Ach, wo is dat schön!“

➤ Kategorie: Grimms Märchen
➤ entnommen aus: Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm.Verlegt bei Eugen Diederichs. Jena 1912.
➤ angepasst an die zeitgemäße deutsche Sprache

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.