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Fabeln

Der Zaunkönig und der Bär (6-10 Jahre)

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Zur Sommerzeit gingen einmal der Bär und der Wolf im Wald spazieren, da hörte der Bär schönen Gesang von einem Vogel und sprach: „Bruder Wolf, was ist das für ein Vogel, der so schön singt?“ – „Das ist der König der Vögel“, sagte der Wolf, „vor dem müssen wir uns neigen.“ Es war aber der Zaunkönig. „Wenn das so ist“, sagte der Bär, „möchte ich auch gerne seinen königlichen Palast sehen, komm und führe mich hin.“ – „Das geht nicht so, wie du meinst“, sprach der Wolf, „du musst warten, bis die Frau Königin kommt.“ Bald darauf kam die Frau Königin und hatte Futter im Schnabel, und der Herr König auch, und sie wollten ihre Jungen füttern. Der Bär wäre gerne nun gleich hinterdrein gegangen, aber der Wolf hielt ihn am Ärmel und sagte: „Nein, du musst warten, bis Herr und Frau Königin wieder fort sind.“

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Also nahmen sie das Loch in Acht, wo das Nest stand, und trabten wieder ab. Der Bär aber hatte keine Ruhe, wollte den königlichen Palast sehen und ging nach einer kurzen Weile wieder vor. Da waren König und Königin richtig ausgeflogen. Er guckte hinein und sah fünf oder sechs Junge, die darin lagen. „Ist das der königliche Palast!“ rief der Bär, „das ist ein erbärmlicher Palast! Ihr seid auch keine Königskinder, ihr seid unehrliche Kinder.“ Als das die jungen Zaunkönige hörten, wurden sie gewaltig böse und schrieen: „Nein, das sind wir nicht, unsere Eltern sind ehrliche Leute; Bär, das soll geklärt werden mit dir.“ Dem Bär und dem Wolf ward angst, sie kehrten um und setzten sich in ihre Höhlen. Die jungen Zaunkönige aber schrieen und lärmten fort, und als ihre Eltern wieder Futter brachten, sagten sie: „Wir rühren kein Fliegenbeinchen an, und sollten wir verhungern, bis ihr erst geklärt habt, ob wir ehrliche Kinder sind oder nicht.

Der Bär ist da gewesen und hat uns gescholten.“ Da sagte der alte König: „Seid nur ruhig, das soll geklärt werden.“ Flog darauf mit der Frau Königin dem Bären vor seine Höhle und rief hinein: „Alter Brummbär, warum hast du meine Kinder gescholten? Das soll dir übel bekommen, das wollen wir in einem blutigen Krieg ausmachen.“ Also war dem Bären der Krieg angekündigt, und alles Vierfüßige ward Getier berufen: Ochs, Esel, Rind, Hirsch, Reh, und was die Erde sonst alles trägt. Der Zaunkönig aber berief alles, was in der Luft fliegt. Nicht allein die Vögel groß und klein, sondern auch die Mücken, Hornissen, Bienen und Fliegen mussten herbei fliegen.

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Als nun die Zeit kam, wo der Krieg beginnen sollte, da schickte der Zaunkönig Kundschafter aus, wer der kommandierende General des Feindes wäre. Die Mücke war die Listigste von allen, schwärmte im Wald herum, wo der Feind sich versammelte, und setzte sich endlich unter ein Blatt auf den Baum, wo die Parole ausgegeben wurde. Da stand der Bär, rief den Fuchs vor sich und sprach: „Fuchs, du bist der Schlauste unter allem Getier, du sollst General sein und uns anführen.“ – „Gut“, sagte der Fuchs, „aber was für Zeichen wollen wir verabreden?“ Niemand wusste es. Da sprach der Fuchs: „Ich habe einen schönen langen buschigen Schwanz, der sieht aus fast wie ein roter Federbusch; wenn ich den Schwanz in die Höhe halte, so geht die Sache gut, und ihr müsst drauflos marschieren. Lass ich ihn aber herunterhängen, so lauft, was ihr könnt.“ Als die Mücke das gehört hatte, flog sie wieder heim und verriet dem Zaunkönig alles haarklein.

Als der Tag anbrach, an dem die Schlacht geliefert werden solle, hu, da kam das vierfüßige Getier daher gerannt mit Gebraus, dass die Erde zitterte. Der Zaunkönig mit seiner Armee kam auch durch die Luft daher, die schnurrte, schrie und schwärmte, dass einem angst und bange ward; und sie gingen von beiden Seiten aufeinander los. Der Zaunkönig aber schickte die Hornisse hinab, sie sollte sich dem Fuchs unter den Schwanz setzen und aus Leibeskräften stechen. Als nun der Fuchs den ersten Stich bekam, zuckte er, dass er das eine Bein aufhob, doch ertrug er es und hielt den Schwanz noch in der Höhe. Beim zweiten Stich musste er ihn einen Augenblick herunterlassen. Beim dritten aber konnte er sich nicht mehr halten, schrie und nahm den Schwanz zwischen die Beine. Als das die Tiere sahen, meinten sie, alles wäre verloren, und fingen an zu laufen, jeder in seine Höhle. So hatten die Vögel die Schlacht gewonnen.

Da flog der Herr König und die Frau Königin heim zu ihren Kindern und riefen: „Kinder, seid fröhlich, esst und trinkt nach Herzenslust, wir haben den Krieg gewonnen.“ Die jungen Zaunkönige aber sagten „Noch essen wir nicht, der Bär soll erst vors Nest kommen und Abbitte tun und soll sagen, dass wir ehrliche Kinder sind.“ Da flog der Zaunkönig vor das Loch des Bären und rief: „Brummbär, du sollst vor das Nest zu meinen Kindern gehen und Abbitte tun und sagen, dass sie ehrliche Kinder sind, sonst sollen dir die Rippen im Leib zertreten werden.“ Da kroch der Bär in der größten Angst hin und tat Abbitte. Jetzt waren die jungen Zaunkönige erst zufrieden, setzten sich zusammen, aßen und tranken und machten sich lustig bis in die späte Nacht hinein.

➤ Kategorie: Fabeln
➤ entnommen aus: Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm.Verlegt bei Eugen Diederichs. Jena 1912.
➤ angepasst an die zeitgemäße deutsche Sprache

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.