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Märchen

Hans mein Igel (6-10 Jahre)

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Es war einmal ein Bauer, der hatte viel Geld und Gut, aber so reich er auch war, so fehlte doch etwas an seinem Glück: Er hatte mit seiner Frau keine Kinder. Oftmals, wenn er mit den anderen Bauern in die Stadt ging, spotteten sie über ihn und fragten, warum er keine Kinder habe. Da ward er zornig, und als er nach Hause kam, sprach er: „Ich will ein Kind haben, und sollt es ein Igel sein!“ Da bekam seine Frau ein Kind, das war oben ein Igel und unten ein Junge, und als sie das Kind sah, erschrak sie und sprach: „Siehst du, du hast uns verwünscht!“ Da sprach der Mann: „Was kann das alles helfen, getauft muss der Junge werden, aber wir können keinen Gevatter (Taufpaten, die Redaktion) dazu nehmen.“

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Die Frau sprach: „Wir können ihn auch nicht anders taufen als Hans mein Igel.“ Als er getauft war, sagte der Pfarrer: „Der kann wegen seiner Stacheln in kein ordentliches Bett kommen.“ Da wurde hinter dem Ofen ein wenig Stroh zurechtgemacht und Hans mein Igel darauf gelegt. Er konnte auch an der Mutter nicht trinken, denn er hätte sie mit seinen Stacheln gestochen. So lag er da hinter dem Ofen acht Jahre, und sein Vater wurde ihn müde und dachte, wenn er nur stürbe; aber er starb nicht, sondern blieb da liegen. Nun trug es sich zu, dass in der Stadt ein Markt war, und der Bauer wollte hingehen, da fragte er seine Frau, was er ihr mitbringen sollte. „Ein wenig Fleisch und ein paar Brötchen, was zum Haushalt gehört,“ sprach sie.

Darauf fragte er die Magd, die wollte ein Paar Pantoffeln und Zwickelstrümpfe. Endlich fragte er auch: „Hans mein Igel, was willst du denn haben?“ – „Väterchen“, sprach er, „bring mir doch einen Dudelsack mit!“ Als nun der Bauer wieder nach Hause kam, gab er der Frau, was er ihr gekauft hatte, Fleisch und Brötchen, dann gab er der Magd die Pantoffeln und die Zwickelstrümpfe, endlich ging er hinter den Ofen und gab dem Hans mein Igel den Dudelsack. Und als Hans mein Igel den Dudelsack hatte, sprach er: „Väterchen, geht doch zur Schmiede und lasst mir meinen Gockelhahn beschlagen, dann will ich fort reiten und will nimmermehr wiederkommen.“

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Da war der Vater froh, dass er ihn loswerden sollte, und ließ ihm den Hahn beschlagen. Und als er fertig war, setzte sich Hans mein Igel darauf, ritt fort, nahm auch Schweine und Esel mit, die wollte er draußen im Walde hüten. Im Wald aber musste der Hahn mit ihm auf einen hohen Baum fliegen, da saß Hans mein Igel nun und hütete die Esel und Schweine und saß lange Jahre, bis die Herde ganz groß war, und wusste sein Vater nichts von ihm. Wenn er aber auf dem Baum saß, blies er seinen Dudelsack und machte Musik, die war sehr schön. Einmal kam ein König vorbeigefahren, der hatte sich verirrt und hörte die Musik.

Da wunderte er sich darüber und schickte seinen Diener hin, er solle sich einmal umgucken, wo die Musik herkäme. Er guckte sich um, sah aber nichts als ein kleines Tier auf dem Baum oben sitzen, das sah aus wie ein Gockelhahn, auf dem ein Igel saß, und der machte die Musik. Da sprach der König zum Diener, er solle fragen, warum er dasitze und ob er nicht wisse, wo der Weg in sein Königreich ginge. Da stieg Hans mein Igel vom Baum und sprach, er wolle den Weg zeigen, wenn der König ihm das verspreche und überschreibe, was ihm zuerst begegne am königlichen Hofe, sobald er nach Haus komme. Da dachte der König: „Das kann ich leicht tun, Hans mein Igel versteht’s doch nicht, und ich kann schreiben, was ich will.“

Da nahm der König Feder und Tinte und schrieb etwas auf, und als es geschehen war, zeigte ihm Hans mein Igel den Weg, und er kam glücklich nach Haus. Seine Tochter aber, als sie ihn von weitem sah, war so voll Freuden, dass sie ihm entgegen lief und ihn küsste. Da dachte er an Hans mein Igel und erzählte ihr, wie es ihm ergangen sei und dass er einem wunderlichen Tiere habe überschreiben sollen, was ihm daheim zuerst begegnen würde. Und das Tier habe auf einem Hahn wie auf einem Pferd gesessen und schöne Musik gemacht; er habe aber geschrieben, er solle es nicht haben, denn Hans mein Igel könne es doch nicht lesen. Darüber war die Prinzessin froh und sagte, das sei gut, denn sie wäre doch nimmer hingegangen.

Hans mein Igel aber hütete die Esel und Schweine, war immer lustig, saß auf dem Baum und blies auf seinem Dudelsack. Nun geschah es, dass ein anderer König vorbei gefahren kam mit seinen Dienern und Läufern. Er hatte sich verirrt und wusste nicht, wie er wieder nach Hause kommen sollte, weil der Wald so groß war. Da hörte er gleichfalls die schöne Musik von weitem und fragte seinen Läufer, was das wohl sei, er solle einmal nachsehen. Da ging der Läufer hin unter den Baum und sah den Gockelhahn sitzen und Hans mein Igel oben drauf. Der Läufer fragte ihn, was er da oben vorhabe. „Ich hüte meine Esel und Schweine; aber was ist Euer Begehren?“ Der Läufer sagte, sie hätten sich verirrt und könnten nicht wieder ins Königreich, ob er ihnen den Weg nicht zeigen wolle.

Da stieg Hans mein Igel vom Baum herunter und sagte zu dem alten König, er wolle ihm den Weg zeigen, wenn er ihm das zu eigen geben wolle, was ihm zu Haus vor seinem königlichen Schlosse als erstes begegnen würde. Der König sagte: „Ja“ und unterschrieb dem Hans mein Igel, er solle es haben. Als das geschehen war, ritt er auf dem Gockelhahn voraus und zeigte ihm den Weg und der König gelangte glücklich wieder in sein Reich. Als er auf den Hof kam, war große Freude darüber. Nun hatte er eine einzige Tochter, die war sehr schön, lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn und freute sich, dass ihr alter Vater wiederkam.

Sie fragte ihn auch, wo er so lange in der Welt gewesen sei; da erzählte er ihr, er habe sich verirrt und wäre beinahe gar nicht wiedergekommen, aber als er durch einen großen Wald gefahren sei, habe einer, halb wie ein Igel, halb wie ein Mensch, rittlings auf einem Hahn in einem hohen Baum gesessen und schöne Musik gemacht. Der habe ihm weiter geholfen und den Weg gezeigt, er aber habe ihm dafür das versprochen, was ihm am königlichen Hofe zuerst begegne. Und das sei sie, und das tue ihm nun so leid. Da versprach sie ihm aber, sie wolle gerne mit ihm gehen, wenn er komme. Ihrem alten Vater zuliebe.

Hans mein Igel aber hütete seine Schweine, und die Schweine bekamen wieder Schweine und wurden so viel, dass der ganze Wald voll war. Da wollte Hans mein Igel nicht länger im Walde leben und ließ seinem Vater sagen, sie sollen alle Ställe im Dorf räumen, denn er komme mit einer so großen Herde, dass jeder schlachten könne, der nur schlachten wolle. Da war sein Vater betrübt, als er das hörte, denn er dachte, Hans mein Igel wäre schon längst gestorben. Hans mein Igel aber setzte sich auf seinen Gockelhahn, trieb die Schweine vor sich hin ins Dorf und ließ schlachten. Hu! Das war ein Gemetzel und ein Hacken, dass man’s zwei Stunden weit hören konnte. Danach sagte Hans mein Igel: „Väterchen, lasst mir meinen Gockelhahn noch einmal in der Schmiede beschlagen, dann reite ich fort und komme mein Lebtag nicht wieder.“ Da ließ der Vater den Gockelhahn beschlagen und war froh, dass Hans mein Igel nicht wiederkommen wollte.

Hans mein Igel ritt fort in das erste Königreich. Da hatte der König befohlen, wenn einer auf einem Hahn geritten käme und einen Dudelsack bei sich hätte, dann sollten alle auf ihn schießen, hauen und stechen, damit er nicht ins Schloss käme. Als nun Hans mein Igel daher geritten kam, drangen sie mit Bajonetten auf ihn ein, aber er gab dem Hahn die Sporen, flog hinauf und über das Tor vor das Fenster des Königs. Da ließ er sich da nieder und rief ihm zu, er solle ihm geben, was er versprochen habe, sonst wolle er ihm und seiner Tochter das Leben nehmen. Da sprach der König seiner Tochter gut zu, sie möge zu ihm hinausgehen, damit sie ihm und sich das Leben rette. Da zog sie sich Weiß an, und ihr Vater gab ihr einen Wagen mit sechs Pferden und herrliche Diener, Geld und Gut.

Sie setzte sich in den Wagen und Hans mein Igel mit seinem Hahn und Dudelsack neben sie, dann nahmen sie Abschied und zogen fort, und der König dachte, er bekäme sie nicht wieder zu sehen. Es ging aber anders zu als er dachte, denn als sie ein Stück Weges von der Stadt waren, da zog Hans mein Igel der Königstochter die schönen Kleider aus und stach sie mit seiner Igelhaut, bis sie ganz blutig war, und sagte: „Das ist der Lohn für eure Falschheit, geh hin, ich will dich nicht.“ Damit jagte er sie nach Hause, und so war sie beschimpft für ihr Lebtag.

Hans mein Igel aber ritt weiter auf seinem Gockelhahn und mit seinem Dudelsack zum zweiten Königreich, wo er dem König auch den Weg gezeigt hatte. Der aber hatte bestellt, wenn einer käme wie Hans mein Igel, sollten sie das Gewehr präsentieren, ihn frei hereinführen, dann „Vivat!“ rufen und ihn ins königliche Schloss bringen. Als ihn nun die Königstochter sah, war sie erschrocken, weil er doch gar zu wunderlich aussah; sie dachte aber, es wäre nicht anders, und sie hatte es doch ihrem Vater versprochen. Da ward Hans mein Igel von ihr willkommen geheißen und mit ihr vermählt. Und er musste mit an die königliche Tafel gehen, und sie setzte sich an seine Seite, und sie aßen und tranken.

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Als es nun Abend war, und sie schlafen gehen wollten, da fürchtete sie sich sehr vor seinen Stacheln. Er aber sprach, sie solle sich nicht fürchten, es geschähe ihr kein Leid, und sagte zu dem alten König, er sollte vier Mann bestellen, die sollten vor der Kammertür wachen und ein großes Feuer anmachen. Und wenn er in die Kammer gehe und sich ins Bett legen wolle, würde er aus seiner Igelhaut heraus kriechen und sie vor dem Bett liegen lassen. Dann sollten die Männer hurtig herbei springen und sie ins Feuer werfen, auch dabeibleiben, bis sie vom Feuer verzehrt sei.

Als die Glocke nun Elfe schlug, da ging er in die Kammer, streifte die Igelhaut ab und ließ sie vor dem Bette liegen. Da kamen die Männer, holten sie geschwind und warfen sie ins Feuer. Und als sie das Feuer verzehrt hatte, da war er erlöst und lag im Bett als ein normaler Mensch, aber er war kohlschwarz wie gebrannt. Der König schickte nach seinem Arzt, der wusch ihn mit guten Salben und balsamierte ihn, da ward er weiß und war ein schöner, junger Herr. Als das die Königstochter sah, war sie froh, und am anderen Morgen standen sie mit Freuden auf, aßen und tranken, und nun wurde die Vermählung erst recht gefeiert, und Hans mein Igel bekam das Königreich vom alten König.

Als etliche Jahre herum waren, fuhr er mit seiner Gemahlin zu seinem Vater und sagte, er sei sein Sohn; der Vater aber sprach, er habe keinen, er habe nur einen gehabt, der sei aber wie ein Igel mit Stacheln geboren worden und sei in die Welt gegangen. Da gab er sich aber zu erkennen und der alte Vater freute sich sehr und ging sodann mit ihm in dessen Königreich.

➤ Kategorie: Grimms Märchen
➤ entnommen aus: Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm.Verlegt bei Eugen Diederichs. Jena 1912.
➤ angepasst an die zeitgemäße deutsche Sprache

Disclaimer

Liebe Leser*innen,

Grimms Märchen gehören zum kulturellen Erbe und deshalb möchten wir sie hier auch so stehen lassen, wie viele Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sie noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Dennoch: Für uns von familie.de gibt es nichts Wichtigeres, als eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Gesellschaft. Was ihr hier in Grimms Märchen teilweise lest oder vorlest, passt mit unseren Wertvorstellungen oftmals nicht überein.

Die Märchen wurden im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragen und waren auch damals nicht primär für Kinder gedacht. Sie sind voll von Brutalität und diskriminierenden Stereotypen. In den Geschichten finden wir nicht nur gruselige Märchengestalten wie Hexen oder Monster, sondern u.a. auch Gewalt an Kindern oder die Bevormundung von Frauen. Das ist nicht nur heute falsch, sondern war es auch damals schon. Zum Glück wachsen unsere Kinder in Zeiten auf, in denen ein Bewusstsein für diese Missstände herrscht.

Ihr kennt eure Kids am besten und daher ist es euch überlassen, ob ihr diese Erzählweise für euren Nachwuchs als angemessen anseht oder nicht; ob ihr Passagen auslasst oder abgeändert vorlest. In jedem Fall: Sprecht mit euren Kindern über das Gelesene und thematisiert das, was gegebenenfalls Angst macht oder Unrecht ist.